British American Tobacco (BAT) baut in seinem Werk in Bayreuth, dem größten BAT-Werk, 950 Arbeitsplätze ab und verlagert die Produktion nach Osteuropa, nach Polen, Ungarn, Rumänien und Kroatien. Das ist profitabler. Wie schreibt der Konzern so schön auf seiner Internetseite: „Verantwortungsbewusstes Handeln ist für uns mehr als ein Lippenbekenntnis – es ist fester Bestandteil unseres täglichen Geschäfts.“ Aber wenn es ums Geschäft geht, werden solche Corporate Responsibility-Sprüche schnell Makulatur. 5,4 Milliarden Euro Gewinn hat der Konzern im letzten Jahr gemacht, es darf künftig gerne ein bisschen mehr sein. Nun gut, die Tabakindustrie nimmt eben keine Rücksicht auf Menschen, nicht auf ihre Kunden und nicht auf ihre Beschäftigten.

Dagegen kann die Politik ihre gesellschaftliche Verantwortlichkeit nicht so einfach abstreifen, diese Verantwortlichkeit ist ja das – wenn auch oft genug verfehlte – Wesen politischen Handelns. Medienberichten zufolge soll nun ein millionenschweres Förderprogramm für die Region aufgelegt werden. Ich finde das richtig. Die Gesundheitspolitik möchte das Rauchen zurückdrängen, insbesondere Jugendliche vor einem Einstieg in eine Raucherkarriere bewahren und Nichtraucher schützen. Man schätzt, dass allein in Deutschland jährlich 120.000 Menschen vorzeitig an den Folgen des Rauchens sterben, in Bayern 15.000 bis 18.000. Die Tabakindustrie produziert keine gesellschaftlich nützlichen Produkte, sie produziert Krankheit und Tod. Daher kann man diese Art „Produktion“ ohnehin nicht mehr guten Gewissens befürworten, so dass eigentlich auch ohne die Entscheidung von BAT eine Art Konversionsprogramm für die Tabakindustriestandorte politisch durchaus konsequent gewesen wäre.

Auch wenn im Falle Bayreuth der gesundheitspolitische gewollte Rückgang des Rauchens in Deutschland letztlich nicht ausschlaggebend für den Stellenabbau war – zwei Drittel der Produktion gingen in den Export und der Konzern verweist explizit auf die Produktionskostenvorteile in Osteuropa, somit hier zunächst einmal BAT seine Corporate Responsibility in einen guten Sozialplan umzusetzen hat: Sollte die Politik nicht trotzdem die veränderte gesellschaftliche Haltung gegenüber der Tabakindustrie auch wirtschaftspolitisch flankieren? Und wenn Konzerne bei den Freihandelsabkommen CETA und TTIP weitreichende Investorenschutzklauseln zur Absicherung gegen politische Kehrtwenden fordern, haben die Beschäftigten, für die ein Arbeitsplatz ja wirklich existentiell ist, in solchen Fällen nicht viel berechtigtere Ansprüche auf Kompensation?

Kommentare (9)

  1. #1 Mars63
    16. Juli 2016

    ich weiss nicht genau, ob die deutschen tabakanbauer immer noch so viel Subventionen beziehen wie vor 10 jahren, aber wenn man da etwas umschichtet, wärs für alle gesünder und könnte in Bayreuth sicher viel gutes damit schaffen
    nix für ungut

  2. #2 Alexander
    16. Juli 2016

    Herr Rainer Spiering (SPD) hat sich im Januar im Rahmen einer Rede anlässlich der ersten Beratung des Entwurfs des Tabakerzeugnisgesetzes wie folgt geäußert:

    Ich glaube – das ist für mich eigentlich der Antrieb, für die Verordnung in die Bütt zu gehen – , dass Deutschland ein Standort ist, der ordnungsgemäß produziert. Nur wenige wissen, dass 65 Prozent der Zigaretten, die in ganz Europa konsumiert werden, in Deutschland hergestellt werden – in deutschen Fabriken, nach deutschen Standards, von deutschen Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern – und von deutschen Labors untersucht werden. Ich möchte, dass sich das nicht ändert.

    Das Forum Rauchfrei kommentiert dazu:

    Wir wollen nicht weiter darauf eingehen, dass der Redner das Rednerpult als „Bütt“ bezeichnet, der Aussprache also den Charakter einer Karnevalsveranstaltung beimisst, sondern uns die Zahl nochmals genauer anschauen. Wenn 65 Prozent der in ganz Europa konsumierten Zigaretten aus Deutschland stammen und jedes Jahr 700.000 Menschen in Europa an den Folgen des Rauchens sterben, dann sterben davon jährlich rund 450.000 an Produkten aus deutschen Fabriken, von deutschen Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern nach deutschen Standards hergestellt. Die Aussage von Herrn Spiering führte laut Protokoll übrigens zu Beifall bei Abgeordneten der SPD.

    Gleich darauf erklärte Herr Spiering, die Produktion in Deutschland bedeute „Produktsicherheit“. Das Wort Produktsicherheit bedeutet, dass ein Konsument ein Produkt verwenden kann, ohne Angst vor gesundheitlichen Schäden haben zu müssen. Im Zusammenhang mit Zigaretten von Produktsicherheit zu sprechen, so weit geht nur die Tabakindustrie. Benutzt ein Politiker diesen Ausdruck in diesem Zusammenhang, heißt das, er versteht nichts von der Sache, oder er will nichts davon verstehen.

    https://www.forum-rauchfrei.de/de/2016/01/18/der-tod-kommt-aus-deutschland-teil-ii/

    Im Gegensatz zum Herrn Spiering von den Agenda-Genossen freue ich mich, wenn “sich das ändert”, denn durch Schließung von Produktionsstandorten dürfte auch der Einfluss der Tabaklobby auf Politiker abnehmen, was wiederum die Chancen erhöhen dürfte, dass in Deutschland endlich wirksame Maßnahmen zur Tabakkontrolle durchgesetzt werden können! Zur Erinnerung: Laut der Association of European Cancer Leagues belegt Deutschland bei einem Vergleich von 34 europäischen Staaten bei der Tabakkontrolle nur einen beschämenden vorletzten Platz!

    https://www.europeancancerleagues.org/images/TobaccoControl/TCS_2013_in_Europe_13-03-14_final_1.pdf
    (S.8)

  3. #3 Pluto
    16. Juli 2016

    > Und wenn Konzerne bei den Freihandelsabkommen CETA und TTIP weitreichende Investorenschutzklauseln zur Absicherung gegen politische Kehrtwenden fordern, haben die Beschäftigten, für die ein Arbeitsplatz ja wirklich existentiell ist, in solchen Fällen nicht viel berechtigtere Ansprüche auf Kompensation?

    Klar, aber trifft das nicht für alle Sparten zu?

  4. #4 Dr. Webbaer
    17. Juli 2016

    Blöd halt, dass in der BRD keine einzige Zigarette weniger geraucht wird, wenn die Produktion nach Osteuropa verlagert wird.
    Auch, ob es richtig ist Subventionen für die betroffene Region aufzulegen, darf bezweifelt werden.
    Zudem geht es den Staat nichts an, wenn Unternehmen erlaubte Produkte herstellen.


    Insgesamt geht es hier natürlich wieder einmal in der BRD um Symbolpolitik, nichts wird besser, aber es wird moralisch gemaßregelt und Subventionen verteilt, einzig und allein, damit Politiker, in diesem Fall wohl Regionalpolitiker ihre Chancen auf Wiederwahl aufrecht erhalten oder gar bessern können.
    Was ist mit der Waffenproduktion in der BRD? Was mit diesem Heuchel-Bruder? :
    -> https://www.spiegel.de/politik/deutschland/waffen-exporte-sigmar-gabriel-verkuendet-glaenzende-verkaufszahlen-a-1078393.html

  5. #5 Christian Berger
    17. Juli 2016

    Vielleicht sollte man sich überlegen die maximale Größe von Unternehmen zu limitieren. Dadurch könnte man vermeiden, dass der Wegfall einer einzigen Firma eine Region verletzt.

  6. #6 Dr. Webbaer
    18. Juli 2016

    Wer die Größe von Unternehmen beschränken will, muss bei Konzernen an die Inhaberverhältnisse ran, muss “sozialistisch” werden.
    Muss Personen und familiären Verhältnissen nachschnüffeln etc.


    Gelegentlich macht es womöglich Sinn sogenannten Monopolen Einhalt zu gewähren, gerade dann, wenn es einen Kriegszustand auszurufen gilt, an und für sich dürfen, aus freiheitlicher Sicht, Unternehmen so groß werden wie sie können.
    Nicht vergessen werden darf hier auch die Erbnachfolge, die zu Umverteilung i.p. Besitz zu führen hat, es sind ja Sterbliche, die Unternehmen führen.
    Bei Jungkräften oder Jungspunden wie bspw. Marc Zuckerberg darf womöglich wohlbegründet gelegentlich anders überlegt werden.
    Allerdings sind auch diese Leutz in der Lage sich hinter sogenannten Stiftungen zu verschanzen, wie bspw. Bill Gates oder George Soros.

    Letztgenannter ist, wie abgestuft auch Bill Gates, problematisch, wenn er sich wie bspw. auch Michail Borissowitsch Chodorkowski ins Politische einmischt.
    Gar seine Spekulationen darauf gründet.


    In Russland, dort wo es einen unausgesprochenen Vertrag gibt zwischen FSB (ehemals: KGB) und sogenannten Oligarchen, sich nicht ins Politische einzumischen, um den herrschenden FSB nicht zu belasten [1], wird so vorgegangen.
    Wäre dies richtig?`

    MFG
    Dr. Webbaer

    [1]
    Wie der Zufall so will, kennt sich Dr. Webbaer im Russischen ein wenig aus, Sie werden, Herr Berger, bei geeigneter Nachfrage, Antworten erhalten, die Sie woanders nicht lesen werden.

  7. #7 Alexander
    23. Juli 2016

    Die Süddeutsche Zeitung berichtet, dass “die Branche offenkundig die Kraftprobe mit der Politik” sucht:

    “Insgesamt gilt, dass insbesondere in der Zukunft eine verlässliche, standortfreundliche Gesetzgebung in Deutschland passieren muss”, sagt eine Reemtsma-Sprecherin. “Und Standortsicherheit entsteht auch über Gesetzgebung.” Solche Formulierungen sind nichts anderes als mühsam kaschierte Drohungen an die Politik: Entweder ihr nehmt mehr Rücksicht auf uns, oder wir hauen ab und nehmen tausende Arbeitsplätze mit.

    https://www.sueddeutsche.de/wirtschaft/tabakindustrie-eingenebelt-1.3090372

    Mein Vorschlag wäre, mit einem ausnahmlosen Werbeverbot ohne Übergangsfrist, konsequenten Nichtraucherschutzgesetzen in allen Bundesländern, dem Verbot von Zigarettenautomaten, dem Einführen von Einheitsverpackungen sowie Tabaksteuererhöhungen, die zu Packungspreisen von über 10€ führen, zu reagieren!

    • #8 Joseph Kuhn
      23. Juli 2016

      “Verbot von Zigarettenautomaten”

      Schon seltsam, die 24-Stunden-Verfügbarkeit dieses Produkts an allen Straßenecken, ein Zugeständnis an die Unaufschiebbarkeit eines Suchtverhaltens. Welche andere Produkte können eine solche Verfügbarkeit vorweisen? Geld und Benzin fallen mir ein.

  8. #9 rolak
    23. Juli 2016

    Geld und Benzin

    Luft, seit dem ‘in Dosen’ ja auch irgendwie ein Produkt.

    Etwas ernster: Süßkram in Form von <Kaugummi>-Automaten, Aussicht auf Notfallhilfe (110) bzw körperliche (112) oder geistige (116123) Besserung – und wenn die TelNrn unbekannt sein sollten, Auskunft gibts auch 24/7.

    Und sicherlich noch vieles andere mehr.