In weiten Bereichen der Wirtschaftswissenschaften gilt der homo oeconomicus, der individuelle Nutzenmaximierer, als grundlegende Modellannahme. Zwar wird häufig betont, dass das nur eine Modellannahme sei und keine empirische Beschreibung menschlichen Verhaltens, aber das klingt meist so, als ob Menschen eben manchmal „irrational“ handeln und daher vom Modell des homo oeconomicus abweichen.
Dass menschliche Rationalität nicht in der Rationalität des homo oeconomicus aufgeht, ist immer wieder kritisch angemerkt worden. Auf die Bücher „Die Optimierungsfalle“ von Julian Nida-Rümelin und „Ego“ von Frank Schirrmacher hatte in diesem Zusammenhang hier auf Gesundheits-Check schon hingewiesen. Beide Bücher veranschaulichen ihre Kritik an der Freundschaft, die, wenn sie nur auf den eigenen Vorteil bedacht ist, sich selbst zerstört. Wenn ich weiß, der andere betrachtet mich nur unter dem Gesichtspunkt seines Nutzens als „Freund“, fühle ich mich instrumentalisiert, zum Objekt gemacht, und eben gerade nicht als „Freund“.
Viel älter und literarisch schöner drückt Paulus das im Korintherbrief aus. Er beschreibt dort die Liebe so, dass ihre besondere Konstruktion als soziale Beziehung jenseits von individualistischen Nutzenkalkülen deutlich wird:
„Die Liebe ist langmütig, die Liebe ist gütig. Sie ereifert sich nicht, sie prahlt nicht, sie bläht sich nicht auf. Sie handelt nicht ungehörig, sucht nicht ihren Vorteil, lässt sich nicht zum Zorn reizen, trägt das Böse nicht nach. Sie freut sich nicht über das Unrecht, sondern freut sich an der Wahrheit. Sie erträgt alles, glaubt alles, hofft alles, hält allem stand. Die Liebe hört niemals auf.“
An dieser so uneigennützig gedachten Liebe macht Paulus den Tiefgang des Menschseins fest:
„Wenn ich in den Sprachen der Menschen und Engel redete, hätte aber die Liebe nicht, wäre ich dröhnendes Erz oder eine lärmende Pauke. Und wenn ich prophetisch reden könnte und alle Geheimnisse wüsste und alle Erkenntnis hätte (…), hätte aber die Liebe nicht, wäre ich nichts.“
Dass die das Menschliche ausmachenden sozialen Beziehungen nicht im Nutzenkalkül aufgehen, durchzieht das Denken eben seit jeher und ist nicht etwa erst Kants kategorischem Imperativ entsprungen, dass man nie einen Menschen nur zum Mittel machen dürfe, oder gar eine Erfindung der Rock Lyrics.
So weit, so gut. Wenn aber Freundschaft und Liebe „allem stand halten“ und „niemals aufhören“ sollen, sind sie dann von dieser Welt? Oder auch nur „Modellannahmen“, die gut etwas frische empirische Luft vertragen können? Vor kurzem hat mir jemand die Sache so übersetzt, „Freundschaft sei unbedingt“, an keine Bedingungen geknüpft. Das jedenfalls ist schlicht falsch. Auch soziale Beziehungen, die nicht in Nutzenkalkülen aufgehen, sind an vielfältige Bedingungen geknüpft. Das fängt bei den Pheromonen an und hört bei den Fundamenten der eigenen Weltanschauung auf. „Unbedingte“ Freundschaft, Nibelungentreue gewissermaßen, wäre voraussetzungs- und prinzipienlos. Und das wäre wirklich irrational.
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