Um die Frage, ob die Homöopathie „wirkt“, dreht sich der größte Teil der Diskussion um diese Behandlungsmethode in den sozialen Medien. Mit der Wirkungsfrage wird ein ganz bestimmter Zusammenhangstyp angesprochen: Es geht um kausale Zusammenhänge zwischen Ereignissen. Das ist nicht alles auf der Welt. Es gibt z.B. auch Begründungszusammenhänge bei Handlungen: „Ich habe das Licht angeschaltet, weil es dunkel war.“ Und so manches andere. In anderen Bereichen der Therapieforschung, z.B. der Psychotherapieforschung, müsste man das mitdenken, bei der Frage, ob Homöopathika wirken, nicht. Zumindest nicht, wenn wir das Placebothema einmal ausklammern.
Ursachen und Wirkungen: das Experiment entscheidet
Für Ursache-Wirkungszusammenhänge ist das Experiment der methodische Königsweg. Das gilt für die Physik genauso wie für die Medizin. Wenn es darum geht, ob ein Behandlungsverfahren „wirksam“ ist und direktere Nachweismethoden nicht sinnvoll sind, muss dazu die Randomisierte Klinische Studie, das berühmte RCT, herhalten. Die Grundidee ist einfach: Verteile die Patienten durch Zufall auf die Interventions- und die Kontrollgruppe und lass niemanden von den Beteiligten wissen, wer in welcher Gruppe ist. In dem Maße, in dem das gelingt, unterscheiden sich Interventions- und Kontrollgruppe systematisch dann eben nur durch die Intervention. Alles andere, vom Alter über das Geschlecht bis zu bösen Erfahrungen in der Kindheit sollte sich zufällig auf beide Gruppen verteilen.
Das können z.B. weder Anwendungsbeobachtungen noch meine individuelle Erfahrung leisten. Da aber auch RCTs nicht in der Idealform existieren, sondern in der realen Welt durchgeführt werden, kann man auch hier Fehler machen oder wichtige Dinge übersehen. RCTs sind so wenig unfehlbar wie alles, was Menschen tun. Aber man bürdet sich nicht zusätzlich noch vermeidbare Fehlerquellen auf.
Wirksamkeit und Unwirksamkeit: Asymmetrische Nachweismöglichkeiten?
Das war die Vorrede. Worum es mir geht, ist folgender Punkt. Man liest in der Homöopathiediskussion immer wieder die Frage, ob denn die Unwirksamkeit der Homöopathika nachgewiesen sei und als Antwort darauf, dies sei prinzipiell nicht möglich. Auch das verdienstvolle Informationsnetzwerk Homöopathie hat das gerade in einem offenen Brief an die Techniker Krankenkasse getan:
„Erstaunlich ist dann, dass (…) nachgefragt wird, ob es denn Studien gäbe, die die Unwirksamkeit bewiesen. Dass die Nicht-Existenz von etwas nicht beweisbar ist, sei nur kurz an einem Beispiel illustriert: Ich kann behaupten, mein Name stünde in der Wikipedia. Wenn das stimmt, kann ich ohne Weiteres dafür einen Nachweis liefern, indem ich die Textstelle genau nenne. Können Sie ermessen, wie Sie vorgehen müssten, um mir das Gegenteil zu beweisen, dass mein Name nicht in der Wikipedia steht, wenn es wie im realen Leben keine Suchfunktion gäbe?“
Ein ganz klein wenig Kritischer Rationalismus
Ich bin nicht ganz sicher, aber ich vermute, dahinter steht eine durch den Philosophen Karl Popper populär gemachte Einsicht: Aussagen, die sich auf alle Elemente eines unendlich großen Gegenstandsbereichs beziehen, können empirisch auch durch noch so viele bestätigende Beispiele nicht verifiziert werden. Unendlich viele Gegenstände kann man nicht durchgucken, daher kann auch nach 100.000 bestätigenden Fällen ein Gegenbeispiel auftauchen. Lange dachte man, alle Schwäne seien weiß, bis man auf schwarze Schwäne stieß.
Die Aussage, „X existiert nicht“, ist logisch der Aussage „Alles was existiert, ist ein Nicht-X“ gleichwertig. Es leuchtet sofort ein, dass empirisch der Nachweis der Aussage „X existiert nicht“ nicht möglich ist. Das war im Kern Poppers Einwand gegen den Versuch des „Wiener Kreises“, Theorien nur dann als wissenschaftlich zu akzeptieren, wenn sie „verifizierbar“ sind, also aus empirischer Beobachtung abzuleiten. Seitdem wird dem Selbstverständnis der Naturwissenschaften nach „falsifiziert“, also das widerlegende Beispiel gesucht. Zumindest im Prinzip, wie immer sind die Dinge etwas komplizierter und ganz so „popperianisch“ funktioniert die Wissenschaft natürlich nicht, aber das ist eine lange und ganz andere Geschichte.
Und jetzt das Finale
Zurück zur Homöopathie: Einerseits ist eine „Wirkung“ nichts, was man wie einen Schwan beobachten kann. Eine „Wirkung“ ist kein Ding, sondern ein Ereignis, dessen Spezifikum darin besteht, dass es kausal mit einem anderen Ereignis, der Ursache, verknüpft ist. Andererseits sind Ursache-Wirkungszusammenhänge vermutlich nicht ohne Allaussagen über unendliche Gegenstandsbereiche zu formulieren, so dass Popper irgendwo im Gefüge dieser Aussagen doch zur Geltung kommt und man mit Schwüren “das kann es garantiert nicht geben” vorsichtig sein sollte. Es besteht prinzipiell die Möglichkeit, dass da irgendwo irgendwann noch etwas Unerwartetes auftauchen könnte – ganz abgesehen von dem schon angesprochenen rein praktischen Vorbehalt, dass RCTs in der realen Welt zwar besser sind als ihre Alternativen, aber nicht perfekt (wie widersprüchliche RCTs zu gleichen Outcomes immer wieder zeigen).
Aber Aussagen über die Wirksamkeit und Nichtwirksamkeit von Homöopathika treffen wir nicht auf der Ebene, auf der Popper argumentiert. Die Wirksamkeit einer Behandlungsmethode zeigt sich im RCT, wenn man im Outcome einen Unterschied zwischen Interventions- und Kontrollgruppe sieht. Die Unwirksamkeit einer Behandlungsmethode zeigt sich im RCT analog, wenn man im Outcome keinen Unterschied zwischen Interventions- und Kontrollgruppe sieht. In beiden Fällen kann es sein, dass das nicht das letzte Wort war, aber nicht wegen Popper, sondern weil reale Welten keine ideale Welten sind. Mir scheint, auf der Ebene von RCTs sind Wirksamkeit und Unwirksamkeit symmetrischer Natur.
Oder doch nicht? Ring frei.
—————–
Mit Dank an G.U. und M.M. für wissenschaftstheoretischen Rat.
Kommentare (57)