Seit Mitte März hat die STIKO einen neuen Vorsitzenden: Thomas Mertens, Professor für Virologe aus Ulm. Er löst Jan Leidel ab, der den Vorsitz lange Jahre innehatte und davor Amtsarzt in Köln war.
In einem Interview mit der Ärztezeitung heute bewertet der neue STIKO-Vorsitzende eine Impfpflicht als kontraproduktiv: „Dadurch würden hartnäckige Impfgegner nur zu Märtyrern aufgewertet.“ In diesem Punkt folgt er seinem Vorgänger. In einer der Diskussionen hier auf Gesundheits-Check zum Thema Impfpflicht pro und contra wies Jan Leidel vor zwei Jahren darauf hin, dass es beim Thema Impfen viele Baustellen gibt, die man vorrangig zu bearbeiten habe: „Hausaufgaben machen, bevor man über Impfpflicht nachdenkt (…)“, war sein Fazit. Die Impfpflichtdebatte war kurz darauf jenseits ihrer jährlich rituellen Beschwörung nach Masernausbrüchen auf die politische Bühne zurückgekehrt, als der CDU-Parteitag Ende 2015 eine Impfpflicht für Kinder forderte.
Eine der Baustellen beim Thema Impfen ist die Personalsituation im Öffentlichen Gesundheitsdienst (ÖGD), den man für eine gute Impfaufklärung und Kampagnen in Kitas und Schulen ebenso braucht wie für die Durchsetzung einer Impfpflicht, die ja auch nicht allein dadurch Realität würde, dass sie auf dem Papier steht. Die Gesundheitsministerkonferenz hat sich im letzten Jahr übrigens daran erinnert, dass beim Thema ÖGD einiges im Argen liegt und einen weitreichenden Beschluss zur Stärkung des ÖGD verabschiedet. Mal sehen, was davon umgesetzt wird, wenn es an das dafür nötige Geld geht.
Thomas Mertens hat sich auch skeptisch gegenüber einer „No vaccination, no school“-Strategie geäußert: „Auch eine indirekte Impfpflicht wie in den USA – ohne Impfschutz werden Kinder nicht in eine Schule oder einen öffentlichen Kindergarten aufgenommen – wäre in Deutschland kaum durchsetzbar.“ Seit kurzem ist vor Aufnahme in die Kita der Nachweis über eine Impfberatung verpflichtend, schon das ist in der Praxis nicht ganz problemlos. Des Weiteren verweist Thomas Mertens zu Recht darauf, dass beim Impfen der eigentliche Kern des Problems nicht bei den Kindern liegt: „Die problematischsten Impflücken etwa bei Masern gibt es bei Jugendlichen und jungen Erwachsenen, da würde eine Impfpflicht für Kinder gar nicht helfen.” Dafür gibt es hier eine andere Baustelle: „Gezielte Impfprogramme in diesen Altersgruppen werden in Deutschland durch das föderale System erschwert.“ Der Nationale Impfplan und der Nationale Aktionsplan 2015-2020 zur Elimination der Masern und Röteln in Deutschland sollen das durch eine bessere Koordination unter den Ländern ändern. Einige der Hausaufgaben, die Jan Leidel angesprochen hatte, sind angegangen, abgeliefert sind sie noch nicht, wie die wiederholten Masernausbrüche der letzten Zeit zeigen.
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