Die Impfpflicht ist hier auf Gesundheits-Check inzwischen ein Dauerthema. Sie war wiederholt Gegenstand von Diskussionen, z.B. im Zusammenhang mit der Schwäche des Öffentlichen Gesundheitsdienstes oder im Hinblick auf das Abwägen von Pro- und Contra-Argumenten. Erst vor kurzem habe ich auf die Position des neuen STIKO-Vorsitzenden Thomas Mertens zur Impfpflicht bei Masern hingewiesen – er ist dagegen.

Jetzt hat die FDP auf ihrem Parteitag einen Antrag der Jungen Liberalen beschlossen. Der Antrag fordert eine „allgemeine Impfpflicht für Kinder bis 14 Jahre gemäß § 20 Absatz 6 Infektionsschutzgesetz“. In § 20 (6) IfSG heißt es:

„Das Bundesministerium für Gesundheit wird ermächtigt, durch Rechtsverordnung mit Zustimmung des Bundesrates anzuordnen, dass bedrohte Teile der Bevölkerung an Schutzimpfungen oder anderen Maßnahmen der spezifischen Prophylaxe teilzunehmen haben, wenn eine übertragbare Krankheit mit klinisch schweren Verlaufsformen auftritt und mit ihrer epidemischen Verbreitung zu rechnen ist. Das Grundrecht der körperlichen Unversehrtheit (Artikel 2 Abs. 2 Satz 1 Grundgesetz) kann insoweit eingeschränkt werden. Ein nach dieser Rechtsverordnung Impfpflichtiger, der nach ärztlichem Zeugnis ohne Gefahr für sein Leben oder seine Gesundheit nicht geimpft werden kann, ist von der Impfpflicht freizustellen; dies gilt auch bei anderen Maßnahmen der spezifischen Prophylaxe. § 15 Abs. 2 gilt entsprechend.“

Da bei Masernerkrankungen schwere Verlaufsformen auftreten können und es immer wieder regionale Masernausbrüche gibt, könnte eine Masernimpfpflicht womöglich so eingeführt werden, eine Impfpflicht gegen Tetanus, wie sie vor einiger Zeit die CDU wollte, dagegen nicht. Ob den Jungen Liberalen noch andere Infektionen vorschweben, gegen die verpflichtend geimpft werden soll, etwa die Windpocken, weiß ich nicht. Vielleicht gibt es ja demnächst zum Beschluss der FDP noch ein erläuterndes Papier.

Die Begründung der Jungen Liberalen orientiert zunächst ebenfalls auf die Masern:

„Erst durch die flächendeckende Impfung mehrerer Generationen konnten tödliche Krankheiten wie Pocken oder Kinderlähmung hierzulande weitestgehend ausgerottet werden. Doch die Impfquote in Deutschland nimmt inzwischen wieder ab: So werden beispielsweise durchschnittlich nur noch 37 Prozent der Kinder rechtzeitig und ausreichend gegen Masern geimpft. Zum Vergleich: 95 Prozent wären notwendig, um einen ausreichenden, populationsweiten Schutz sicherzustellen. Dieser alarmierende Zustand hat so weit geführt, dass es zuletzt in Deutschland wieder zu so vielen Masern-Ausbrüchen kam wie seit 10 Jahren nicht mehr – darunter auch zu mehreren Todesfällen.“

Allerdings ist diese Begründung nicht in jedem Punkt nachvollziehbar. „Die Impfquote“ gibt es nicht. Es gibt Impfquoten für einzelne Infektionskrankheiten und dazu liegen Daten meist nur für bestimmte Bevölkerungsgruppen vor. Die zitierten 37 % sind aus einer 2013 veröffentlichten und in den Medien vielfach aufgegriffenen Analyse des Zentralinstituts für die Kassenärztliche Versorgung in Deutschland (ZI) zur rechtzeitigen Masernimpfung im Sinne der STIKO. Die STIKO empfiehlt die erste Masernimpfung im Zeitraum vom 11. bis zum 14. Lebensmonat, frühestens jedoch ab dem 9. Lebensmonat, die zweite Impfung im Alter von 15 bis 23 Monaten. Die Analyse der Geburtskohorte des Jahres 2008 ergab, dass 37 % der Kinder genau den STIKO-Vorgaben entsprechend geimpft wurden. Allerdings waren immerhin etwa 60 % bis zum Ende des zweiten Lebensjahres zweimal geimpft. Bis zum Schulalter steigen die Impfquoten den aktuell vorliegenden Daten des RKI zufolge bis ca. 93 % an. Seit Oktober 2016 liegt eine neue Analyse des ZI zu den Impfungen entsprechend des STIKO-Zeitfensters vor, bezogen auf die Geburtskohorten 2009 bis 2012. Es wird ein Anstieg von 61 % auf 63 % berichtet (erste Zeile der Tabelle: STIKO-Zeitfenster, zweite Zeile: nach zwei Lebensjahren).

Masern_Impfraten_ZI

Wie die neuen Daten zur STIKO-gemäßen Impfung zu den 37 % aus der ersten Analyse passen, erschließt sich mir im Moment nicht, vielleicht weiß von den Mitlesenden jemand mehr dazu. Aber das ist letztlich nicht so wichtig. Insgesamt kann man bei den Masern sowohl mit Blick auf die rechtzeitigen Impfungen als auch mit Blick auf die Impfquoten im Einschulungsalter einen Anstieg feststellen. Viele Kinder werden demnach zwar nicht entsprechend der Zeitvorgaben der STIKO geimpft, aber bis zum Schulalter wird die von der Weltgesundheitsorganisation geforderte 95 %-Schwelle fast erreicht. Impflücken gibt es nach wie vor bei den nach 1970 geborenen Erwachsenen. Worauf sich die Aussage der FDP bezieht, dass es zuletzt zu „mehreren Todesfällen“ kam, weiß ich nicht.

So unstrittig einerseits der Sinn der Masernimpfung ist, so diskussionsbedürftig ist andererseits die Frage, ob eine Impfpflicht bei den Kindern zum gegenwärtigen Zeitpunkt das probate Mittel ist, die Impfquoten im Interesse der Herdenimmunität zu steigern. Die für die Herdenimmunität mindestens genauso wichtigen Impflücken bei den Erwachsenen werden damit nicht geschlossen. Auch das Argument des STIKO-Vorsitzenden, dass man mit einer Impfpflicht womöglich eher Widerstände provoziert (und in der Folge z.B. mehr Eltern Atteste über medizinische Kontraindikationen vorlegen), wiegt m.E. schwer. Hinzu kommen komplizierte rechtliche Abwägungsfragen, welche Infektionen aufgrund ihres Verlaufs Zwangsmaßnahmen wie die Impfpflicht rechtfertigen und ob weniger zwangsförmige Maßnahmen im Vorfeld einer als ultima ratio bemühten Impfpflicht auch wirklich ausgeschöpft sind. Ist die FDP mit ihrem Beschluss vielleicht doch etwas zu schnell von der Eigenverantwortungsrhetorik zum Zwang gekommen?

Kommentare (33)

  1. #2 Universallaie
    1. Mai 2017

    Zumindest regional scheint mangelnder Versicherungsschutz eine Rolle zu spielen.

    https://www.rp-online.de/nrw/staedte/duisburg/masern-noch-immer-auf-dem-vormarsch-aid-1.6778387

  2. #3 gedankenknick
    2. Mai 2017

    Ach, die “Jungen Liberalen” haben einfach keinen Plan, wollen aber unbedingt mitreden. So forderten sie neulich “endlich die Erlaubnis für den Versandhandel mit Arzneimitteln in Deutschland anzugehen”, unwissend, dass dies bereits 2004 passiert ist. https://www.apotheke-adhoc.de/nachrichten/politik/nachricht-detail-politik/fdp-julis-blamieren-sich-mit-apothekenschelte/?L=&cHash=158b6cc74fa4543779529598a4e70b6d

    Die kann man nicht so dolle ernst nehmen…

  3. #4 rolak
    2. Mai 2017

    keinen Plan

    Selbstverständlich nicht – immerhin ist erst Mai. Die brauchen noch zwei Monate…

  4. #5 Joseph Kuhn
    2. Mai 2017

    Update:

    Gesundheitsminister Gröhe plant Sanktionierung der erst seit kurzem eingeführten verpflichtenden Impfberatung:
    https://www.aerztezeitung.de/politik_gesellschaft/article/934774/impfberatung-kuenftig-bussgeld-sture-eltern.html?cm_mmc=Newsletter-_-Newsletter-C-_-20170502-_-Politik+%26+Gesellschaft

    Wer die Impfberatung verweigert, soll künftig ans Gesundheitsamt gemeldet werden und eventuell mit einem Bußgeld belegt werden. Ein Vorgeschmack darauf, was eine Impfpflicht nach sich zieht.

    In der Meldung gibt es auch eine noch aktuellere Impfquote: “73,7 Prozent des Geburtsjahrgangs 2013 seien am Ende ihres zweiten Lebensjahres gemäß STIKO-Empfehlung zweimal gegen Masern geimpft gewesen.”

  5. #6 Karl Mistelberger
    2. Mai 2017

    In Deutschland ist Impfen eine Frage der Ideologie.

    Meist seien es „ideologische Impfgegner“, die sich dennoch gegen den Pieks entschieden. Patienten, die ihr Heil schon immer in alternativen Methoden suchten.

    Daher tobt sich das Masernvirus besonders erfolgreich in Waldorfschulen und Montessori-Kindergärten aus. Anthroposophen impfen nicht gern, lieber setzen sie auf Heil-Eurhythmie, homöopathische Zuckerkugeln und die stärkende Wirkung einer durchlebten Masernerkrankung: „Im Fieber, in der selbst gebildeten Wärme“, heißt es in einem Masern-Merkblatt der „Gesellschaft anthroposophischer Ärzte“, sei die „geistig-seelische Individualität des Kindes in gesteigertem Maße leiblich tätig“. Das Kind bilde „neue, stabilere Leibesgrenzen aus“.

    Dabei handelt es sich bei der grassierenden Impfskepsis vor allem um ein Phänomen hochgebildeter Schichten – um Eltern, die das Beste für ihr Kind wollen.

    Siehe: https://magazin.spiegel.de/EpubDelivery/spiegel/pdf/132040361

    GRUSELIG!

  6. #7 CM
    2. Mai 2017

    Sehr interessanter von Karl Mistelberger – in den USA wird doch mehr epidemiologisch erfasst, als ich für möglich hielt.

  7. #8 Karl Mistelberger
    2. Mai 2017

    > #5 Joseph Kuhn, 2. Mai 2017
    > Gesundheitsminister Gröhe plant Sanktionierung der erst seit kurzem eingeführten verpflichtenden Impfberatung

    Nicht die Beratung wird sanktioniert, sondern einzelne Fälle besonders hartnäckige Verweigerung derselben können mit Bußgeld sanktioniert werden.

  8. #9 roel
    *******
    2. Mai 2017

    @Joseph Kuhn #5 “Wer die Impfberatung verweigert, soll künftig ans Gesundheitsamt gemeldet werden und eventuell mit einem Bußgeld belegt werden.”

    Und zwar soll die Kita die Impfverweigerer melden. Böse gedacht, die Kita kann so einiges melden.

    43% (siehe unten) der Eltern wünschen sich einen KITA-Platz für ihre Kinder. Mehr als die Hälfte also nicht. Ich denke die Meldepflicht der Kitas sollte durch eine Kita-Pflicht ergänzt werden, ansonsten wird es sich so einspielen, dass Eltern ihre geimpften Kinder in die Kita schicken, Eltern mit ungeimpften Kindern die Kita meiden.

    Aus https://www.kindergartenpaedagogik.de/1650.html

    “Laut einer Studie des Instituts der deutschen Wirtschaft Köln fehlen für 10,4% der unter dreijährigen Kinder Betreuungsplätze, wenn man von den Wünschen der Eltern ausgeht. Der Prozentsatz variiert je nach Bundesland:

    […]

    Zum einen konnte noch nicht das auf dem “Krippengipfel” von 2007 beschlossene Ziel erreicht werden, 750.000 Betreuungsplätze für Kinder unter drei Jahren bis zum Jahr 2013 zu schaffen. Zum anderen ist damals von einem zu geringen Bedarf ausgegangen worden: Statt 35% der Eltern unter dreijähriger Kinder wünschen sich mehr als 43% einen Betreuungsplatz.

    Quelle: Institut der deutschen Wirtschaft Köln: Bund muss Kita-Lücken schließen (30.12.2016). https://www.iwd.de/artikel/bund-muss-kita-luecken-schliessen-319262/.”

    • #10 Joseph Kuhn
      2. Mai 2017

      @ roel:

      Danke für den Hinweis auf die Kita-Betreuungsquote. Das Statistische Bundesamt weist zum 1.3.2016 bei den Unter-3-Jährigen bundesweit eine Betreuungsquote von 32,7 % aus (in den neuen Ländern 51,8 %). Was die – gemessen an den STIKO-Vorgaben – rechtzeitige Impfung gegen Masern angeht, wird mit Meldungen der Kitas an die Gesundheitsämter für die Kleinkinder in der Tat kein flächendeckender Effekt zu erreichen sein. Bei den 3-6-Jährigen lag die Betreuungsquote zwar bei 93,6 %, aber wie gesagt, zum Einschulungsalter hin schließen sich die Impflücken bei den Kindern ohnehin.

      Was den FDP-Beschluss angeht, frage ich mich außerdem, ob man bei der Orientierung auf die STIKO-Empfehlungen auch an die “abtrünnigen” Sachsen gedacht hat. Sachsen hat eine eigene Impfkommission und die empfiehlt wie manche andere europäische Länder die 2. Masernimpfung für einen viel späteren Zeitpunkt (um den 4. Geburtstag, spätestens zur Einschulungsuntersuchung).

  9. #11 RPGNo1
    2. Mai 2017

    Dabei handelt es sich bei der grassierenden Impfskepsis vor allem um ein Phänomen hochgebildeter Schichten – um Eltern, die das Beste für ihr Kind wollen.

    Das “hochgebildet” würde ich in diesem Fall aber in Anführungszeichen setzen. Oder noch besser, ein pseudo- davorsetzen. Denn wer wirklich gebildet ist, sollte wissen, dass die Impfschäden und -gefahren von den Impfgegnern aus ideologischen Gründen auf ein groteskes Maß aufgeblasen werden.

  10. #12 CM
    2. Mai 2017

    Nun ja, gebietsweise muss die Kita-Betreuungsquote höher sein. Bei uns im Kreis beispielsweise.

    Und wenn ich dann lese, dass Eltern ihr Einverständnis geben sollen, dass Arnikakügelchen bei Blessuren gegeben werden und ein paar Wochen später Pertussis grassiert – dann fehlt mir das Verständnis.

    Insofern wünsche ich mir schon etwas mehr Druck auf und über die Kindergärten / Kitas. Allerdings frage auch ich mich, was ein gutes Maß ist.

  11. #13 gedankenknick
    2. Mai 2017

    Vielleicht sollte man die “alte” Polio-Schluckimpfung doch wieder reaktivieren und damit die Arnika-Globuli tränken – dann könnte man doch das Angenehme mit dem nützlichen verbinden…

    *Achtung, dieser Kommentar könnte Spuren von Ironie enthalten. Für Allergiker NICHT geeignet!*

  12. #14 Kassandra
    3. Mai 2017

    Das “hochgebildet” würde ich in diesem Fall aber in Anführungszeichen setzen. Oder noch besser, ein pseudo- davorsetzen.

    Formale Bildung ist eine messbare Größe, deshalb widerspreche ich. Es ist außerdem wichtig, der verbreiteten Illusion keinen Vorschub zu leisten, die “Dummheit der Andersdenkenden” sei ja schon an ihren niedrigen Bildungsabschlüssen erkennbar.

  13. #15 Kassandra
    3. Mai 2017

    So unstrittig einerseits der Sinn der Masernimpfung ist, so diskussionsbedürftig ist andererseits die Frage, ob eine Impfpflicht bei den Kindern zum gegenwärtigen Zeitpunkt das probate Mittel ist, die Impfquoten im Interesse der Herdenimmunität zu steigern.

    Ich würde eher bei denen ansetzen, bei denen die Impfung aus anderen Gründen (von Schlamperei bis zur fehlenden Impfmöglichkeit in einem anderen Herkunftsland) unterblieben ist, denn die machen vermutlich nicht nur bei den Erwachsenen, sondern in allen Altersgruppen den größeren Teil der Nichtgeimpften aus. Wenn es möglich ist, bin ich aus grundsätzlichen Erwägungen heraus immer für einen Weg, der ohne Zwang auskommt.

  14. #16 Roland B.
    4. Mai 2017

    “Formale Bildung ist eine messbare Größe”
    Und wie misst man die? Wie definiert man sie überhaupt?
    Hierzulande gelten doch Menschen als gebildet, die Altgriechisch können aber null Ahnung haben von Naturwissenschaften. Während umgekehrt MINT-Experten ohne humanistische Bildung eher nicht als “gebildet” anerkannt werden.
    Für mich gehört zur Bildung beides.

  15. #17 Primergy
    4. Mai 2017

    @Roland
    Also zumindest in meiner Generation (89er) habe ich nicht das Gefühl, dass der ‘klassische Bildungskanon’ noch viel Bedeutung hat. Aus meiner Historiker-Perspektive kann man das gut daran ablesen, dass Forschung zur Antike bis zu den 80er Jahren zahlenmäßig die stärkste Richtung war, dann stark eingebrochen und nun die Zeitgeschichte meilenweit führt.

    Generell bezweifle ich ebenfalls, dass Bildung eine messbare Größe ist. Was bringt mir viel Wissen in einem Bereich, wenn ich es nicht mit anderen verknüpfen kann? Viele laufen dann auch Gefahr, nach dem Motto “One size fits it all” ihre erlernte Denkweise auf alle anderen Probleme anzuwenden.

  16. #18 Trottelreiner
    5. Mai 2017

    @Primergy:
    Aber zumindest für einige Dinge die unter “Bildung” firmieren kann man eine “Metrik”, um mal Mathematikersprech zu verwenden aufstellen, z.B. erreichter Abschluß, passiver/aktiver Wortschatz, von mir aus auch IQ oder was auch immer.

    Interessanter wäre jetzt die Frage, ob irgendeines dieser Konstrukte die Wahrscheinlichkeit Impfgegner zu sein besser voraussagt als andere sozioökonomische Faktoren, also z.B. das Einkommen oder das Wohnen in einer “besseren” Wohnlage oder ein bestimmter Erziehungsstil oder…

    Zumindest in den USA gibt es da wohl gewisse Zweifel:

    https://arstechnica.com/science/2015/12/anti-vaccine-californians-are-rich-white-but-not-necessarily-highly-educated/

    • #19 Joseph Kuhn
      5. Mai 2017

      @ Trottelreiner:

      Wobei man bei dem Thema mit der Übertragung von Studienergebnissen aus den USA vorsichtig sein muss, man hat es ja nicht mit einem biologisch bedingten Zusammenhang zu tun, sondern mit einem kulturell geprägten Phänomen.

  17. #20 Joseph Kuhn
    5. Mai 2017

    Offene Frage:

    Die Meldung vom Beschluss der Impfpflicht ging zwar letztes Wochenende durch alle Medien, die Impfpflicht findet sich aber nicht im Beschlusspapier “Schauen wir nicht länger zu!”. Darin kommt das Thema Impfen insgesamt nicht vor. Eine Anfrage meinerseits dazu bei der FDP blieb bisher unbeantwortet.

  18. #21 Kassandra
    5. Mai 2017

    “Formale Bildung ist eine messbare Größe”
    Und wie misst man die? Wie definiert man sie überhaupt?
    Hierzulande gelten doch Menschen als gebildet, die Altgriechisch können aber null Ahnung haben von Naturwissenschaften. Während umgekehrt MINT-Experten ohne humanistische Bildung eher nicht als “gebildet” anerkannt werden.
    Für mich gehört zur Bildung beides.

    Formale Bildung ist messbar, weil es der messbare Teil der Bildung ist. Sie hat nichts mit dem zu tun, was Sie oder ich oder sonst jemand als über das Messbare hinaus zur Bildung gehörig betrachten, sondern betrifft alleine die Bildungsabschlüsse und formalen Qualifikationen.

    Formale Bildung ist das, wovon zum Beispiel die Rede ist, wenn Rauchen als Unterschichtenverhalten charakterisiert wird (Bauarbeiter und vergleichbare Berufsgruppen geben im Mikrozensus häufiger an, Raucher zu sein, als Lehrer und vergleichbare Berufsgruppen) oder wenn aus der Verteilung der Bildungsgrade bei Arbeitslosen geschlossen wird, dass es einem Großteil der Arbeitslosen an Bildung fehle. Und natürlich auch, wenn festgestellt wird, dass Impfskeptiker überdurchschnittlich gebildet sind.

    Dass sämtliche Bemühungen diverser Regierungen um “mehr Bildung” ein Etikettenschwindel sind, weil sie in Wirklichkeit darauf abzielen, Fachidioten zu erzeugen, denen jedes Rüstzeug dafür fehlt, Verbindungen zwischen Informationen aus unterschiedlichen Wissensgebieten herzustellen, was ich für eine Grundvoraussetzung echter Bildung halte, steht auf einem ganz anderen Blatt. Diese Art von Bildung erfordert erstens Muße und ist damit gerade für die sogenannten Leistungsträger unserer Tage – und Leute, die so was werden wollen – kaum zu erwerben. Man erwirbt sie außerdem nur aus eigenem Antrieb, es kommt also auch darauf an, wie man diese Muße nutzt. Und es liegt drittens in der Natur der Sache, dass man umso gebildeter wird, je älter man wird.

    Back to topic:

    @Joseph Kuhn:
    Die Medien bringen den Programmentwurf samt zugehörigen Beschlussanträgen aus allen möglichen innerparteilichen Richtungen häufig mit einem bereits beschlossenen Programm durcheinander. Offenbar ging es bei der Impfpflicht also nur um einen Antrag, der – in der FDP nicht weiter überraschend – keine Mehrheit gefunden hat und somit nicht in das Wahlprogramm mit einging.

    Gehe ich nach dieser Grafik:

    https://data.worldbank.org/indicator/SH.IMM.MEAS?locations=DE

    sind nicht geimpfte _Kinder_ sowieso nicht das Problem, wie Sie auch schon erwähnt hatten. Nach dieser Quelle wurde für Kleinkinder im Alter zwischen 12 und 23 Monaten der Wert von 95 % im Jahr 2003 erreicht und seitdem kontinuierlich überschritten. Seit 2007 liegt er nach diesen Angaben stabil bei 97 Prozent.

    Da wäre eine Kampagne, mit der bei Erwachsenen um Überprüfung des eigenen Impfstatus und ggf. einer Nachimpfung geworben wird, sicherlich viel erfolgversprechender als ausgerechnet eine Impfpflicht, denn dass drei Viertel der 1980 Geborenen in der Wolle gewaschene Impfgegner sein sollen, halte ich für ausgeschlossen.

    Mit drei Prozent Nichtgeimpften, darunter sicher auch nicht alle ideologische Impfverweigerer, muss eine Gesellschaft meiner Meinung nach leben können.

    • #22 Joseph Kuhn
      5. Mai 2017

      @ Kassandra:

      Die verlinkte Weltbank-Grafik kann ich spontan nicht erklären. Die Daten widersprechen aber allem, was man über den Impfstatus der Kinder in Deutschland weiß. 97 % werden nicht einmal bei der einmaligen Masernimpfung zu Einschulungsalter erreicht und die einzigen belastbaren Daten, die man zum Impfstatus von Kindern unter zwei Jahren, sind die von mir verlinkten Daten des ZI mit viel niedrigeren Werten. Ich vermute einmal, da ist der Weltbank etwas durcheinander geraten.

  19. #23 gedankenknick
    5. Mai 2017

    @Joseph Kuhn:
    Impfpflicht kommt zwar nicht (mehr) vor, dafür aber die Abschaffung des Fremdbesitzverbots für Apotheken sowie die Ablehnung eines Rx-Versandverbots. Wenn dies beides umgesetzt ist, werden die Patienten in ein paar Jahren die volle Wucht der Marktmacht von GlobalPlayern zu spüren bekommen – und damit auch die volle Wucht der “Eigenverantwortung”, inbesondere bei den Therapiekosten. Das wird lustig werden…

  20. #24 Hobbes
    5. Mai 2017

    Meiner Meinung nach wäre es Sinnvoll den Anspruch auf einen KITA-Platz mit einer Impfung (sofern möglich) zu koppeln. Man kann es ja einfach damit begründen das der Staat auch dem Kindeswohl der anderen Kinder verpflichtet ist.

    Wie ist das generell eigentlich? Nicht geimpfte Kinder sind ja ein Gesundheitsrisiko. Ein Angebot welches ein solches Risiko einschließt kann ja als unzumutbar angesehen werden. Wäre damit nicht ein Grundstein für eine Klage gelegt, das eine KITA mit nichtgeimpften Kindern das Recht auf einen KITA-Platz nicht erfüllt.

    Reiche können ihre Kinder dann immernoch auf Privatkitas schicken. Aber da sind die Masernschleudern dann ja unter sich und es gibt wenigstens keine Fördergelder für Impfleugner.

  21. #25 Kassandra
    5. Mai 2017

    @Joseph Kuhn:
    Auf der bei der WTO verlinkten Unterseite des WHO-Webauftritts fand ich dieses Dokument hier, das offenbar die Quelle ist: https://www.who.int/immunization/monitoring_surveillance/data/deu.pdf

    Ich habe nur einen flüchtigen Blick darauf geworfen, denn ich nehme an, Sie werden schneller schlau daraus als ich. Vielleicht können Sie ja sogar nachvollziehen, warum die Zahlen der WHO so und nicht anders ausfallen?

    Ich bin kein ausgewiesener Fan der Weltgesundheitsorganisation, aber irgendwie fällt mir trotzdem kein Grund ein, warum sie ihre Zahlen ausgerechnet in dieser Frage frisieren sollte. Deshalb ging ich davon aus, dass ich sie für bare Münze nehmen könne. Wenn sie falsch sein sollten, interessiert mich, wie das zustande gekommen ist.

    • #26 Joseph Kuhn
      5. Mai 2017

      @ Kassandra:

      Danke für den Link. Richtig schlau werde ich daraus auch nicht. Bei den ersten Jahren steht bei MCV noch dabei “birth cohort on school entry”, also nicht im Alter unter 2 Jahren, sondern zur Einschulung. Für 2007 kommen mir 97 % etwas zu hoch vor, aber für die letzten Jahren passt es einigermaßen: Die Impfquote für die erste Masernimpfung im Einschulungsalter liegt nach den aktuellen Daten bei knapp 97 %: https://www.rki.de/DE/Content/Infekt/EpidBull/Archiv/2017/Ausgaben/16_17.pdf?__blob=publicationFile. Vielleicht ist in der anderen Grafik einfach die Altersangabe mit den 23 Monaten falsch?

      Ist aber alles etwas aus dem hohlen Bauch, ich muss mir das bei Gelegenheit einmal näher ansehen. Woher die Weltbank die alten Daten vor 2005 hat, ist mir nämlich auch unklar. Dem RKI lagen die Impfquoten aus den Schuleingangsuntersuchungen in den Jahren zuvor meines Wissens gar nicht vor.

  22. #27 Joseph Kuhn
    5. Mai 2017

    Offene Frage beantwortet:

    Die offene Frage aus Kommentar #20 ist beantwortet. Die FDP-Pressestelle hat mir heute den Beschluss “Kindeswohl schützen – Recht auf Impfung für alle Kinder” zur Impfpflicht geschickt. Es gibt ihn also wirklich, inhaltlich folgt er dem oben verlinkten Antragstext.

  23. #28 Trottelreiner
    6. Mai 2017

    @Joseph Kuhn:
    ACK, wobei man dann der Fairness halber aber auch feststellen sollte, daß Untersuchungen über “liberal hippies in California”

    https://en.wikipedia.org/wiki/Vineland

    nicht unbedingt auf “keep away from our precious bodily fluids”-Milizionären aus dem mittleren Westen, aka Minnesota

    https://rationalwiki.org/wiki/Theodore_Beale

    übertragbar sind.

    Wobei ich bei ersteren schon eine gewisse kulturelle Nähe zum Prenzlauer-Berg-Millieau vermuten würde (Antiamerikanismus bei Hipstern ist eh eher ein Symptom für das IronieverständnisDefizitSyndrom), Beale et al. wären eventuell ein gutes Modell für Reichsbürger

    https://www.sonnenstaatland.com/2017/04/26/impfungen-haben-erstaunliche-wirkungen/

    Obwohl, waren die mit der USA GmbH nicht eher die “Souvereign Citizens”?

    https://en.wikipedia.org/wiki/Sovereign_citizen_movement

    Oder erinnert deren (bzw. das der verwandten ” Freemen”) magisches Denken bezüglich Eidesformeln

    https://rationalwiki.org/wiki/Freeman_on_the_land

    nicht doch wieder an esoterikgläubige Prenzlauer?

    Und wären die Reichsbürger die afroamerikanische “Nation of Islam”, die zeitweise ein eigenes “homeland” anstrebte und seit einiger Zeit ebenfalls Impfgegner-Positionen vertritt?

    https://de.wikipedia.org/wiki/Nation_of_Islam

    Oder wären das Salafisten? Pegida, wenn man die neuen Bundesländer mit den Südstaaten und Ossis mit Afroamerikanern gleichsetzt? Oder doch wieder Reichsbürger, so von wegen Antisemitismus etc?

    Fragen über Fragen. 😉

    Eigentlich hatte ich die Studie auch eher als Beispiel gedacht. Um noch mal ein anderes Beispiel zu wählen, die traditionalistischen Katholiken die ich kenne sind auch überdurchschnittlich gebildet. Wenn ich jetzt die These aufstelle das Bildung dazu führt das man konservativer als der Ratz wird…

    BTW sorry wenn der Text mehrmals auftaucht, irgenwie mag Opera Mini keine Foren.

    • #29 Joseph Kuhn
      6. Mai 2017

      @ Trottelreiner:

      Der Kommentar war drei mal im Spamordner, zum Glück ganz oben (die erste Seite scrolle ich meistens mal runter). Die vielen Links hätten ihn eigentlich nur in den Moderationsordner bringen dürfen, weiß nicht, warum er im Spamordner gelandet ist.

  24. #30 Trottelreiner
    6. Mai 2017

    @Joseph Kuhn:
    Danke dafür, das der Beitrag in der Moderation landen würde war mir schon klar, nur erscheint der Artikel dann meistens AFAIK (evtl verwechsel ich da sb.de mit einem der zwei anderen Blogsites die ich regelmäßig besuche) mit der Benachrichtigung daß er in Moderation sei.

    Fehlte diesmal, entsprechend dachte ich das God-Opera of Mankind[1] Mini da was verhauen hatte. Noch mal entschuldigung für die Umstände.

    [1] Sorry, Koffeinentzug führt bei mir regelmäßig zu gelockerten Assoziationen:

    https://1d4chan.org/wiki/God-Emperor_of_Mankind

    • #31 Joseph Kuhn
      6. Mai 2017

      @ Trottelreiner:

      Ja, wenn ein Kommentar in den Moderationsordner geht, gibt es eine Benachrichtigung an den Autor und eine an mich. Aus dem Spamordner nicht, und das kann ich auch nicht durchsehen.

  25. #32 rolak
    6. Mai 2017

    Aus dem Spamordner nicht

    Na selbstverständlich gibt es deswegen keine besondere Benachrichtigung, Joseph, denn bekanntermaßen ist bei allem unweigerlich spam dabei (auch wenn es anfangs anders klingen mag).

  26. #33 Joseph Kuhn
    16. Mai 2017

    Kurioses am Rande:

    Oben im Blogbeitrag habe ich für die von der FDP zitierten 37 % Impfquote eine Quelle genannt, aber es scheint damit eine ganz andere Bewandnis zu haben, wie man bei der Tagesschau nachlesen kann:

    So wurde behauptet, “die Impfquote in Deutschland” nehme ab, “durchschnittlich nur noch 37 Prozent der Kinder” würden “rechtzeitig und ausreichend gegen Masern geimpft”. (…) Zunächst einmal unterlief den “JuLis” laut Pressesprecher Florian Ott ein “bedauerlicher Zahlendreher”. In Wirklichkeit seien 73 Prozent gemeint gewesen, dies habe man “auf dem Parteitag mündlich korrigiert”.

    Wo kommen jetzt eigentlich die 73 Prozent her?