Kleine Fachzeitschriften sind in der Regel nicht nur ökonomische Verlagsprodukte mit wissenschaftlichem Beiwerk, sondern Kommunikationsplattformen fachlich engagierter Redaktionen bzw. Herausgeber. Ich weiß nicht, ob das zu einem besonderen Lebenszyklus solcher Zeitschriften führt, aber innerhalb kurzer Zeit haben zwei Zeitschriften ihre Arbeit eingestellt, die mich in unterschiedlicher Weise über viele Jahre begleitet und angeregt haben, mir auch Raum gegeben haben, eigene Gedanken zur Diskussion zu stellen.

Schon Ende 2015 hat die Herausgeberrunde der Zeitschrift „Prävention“, in der ich selbst Mitglied war, aufgehört. Die Zeitschrift verstand sich als Brücke zwischen Theorie und Praxis der Prävention und hat dabei vor allem versucht, konkrete Problemlagen aus der Praxis aufzugreifen und zu reflektieren. In den letzten Jahren ist die Zeitschrift zunehmend an verlagstechnische Grenzen gestoßen, was die Balance zwischen inhaltlichem Engagement der Herausgeberrunde und den Anforderungen des modernen Wissenschafts- und Verlagsgeschäfts (Medline-Listung, Impact-Faktor, Bibliotheksverankerung etc.) angeht. Die Zeitschrift bestand 38 Jahre. Lange Zeit war sie die einzige deutschsprachige Zeitschrift, die sich auf das Thema Prävention und Gesundheitsförderung spezialisiert hatte und vor allem die einzige, in der Praxisprobleme einen nicht nur randständigen Platz hatten. Heute haben sich andere Zeitschriften diesem Thema geöffnet, es gibt dazu außerdem eine Reihe von Infodiensten von Organisationen aus der Prävention und Gesundheitsförderung, so dass man vielleicht auch das Resümee ziehen kann, die Zeitschrift habe ihre „historische Mission“ erfüllt und könne guten Gewissens in den Ruhestand treten. Ihr Anliegen wird schließlich von anderen fortgesetzt. Die Homepage der Zeitschrift existiert zwar noch, aber ob der Verlag sie mit neuem Team fortsetzen wird oder nicht, ist nicht bekannt.

Nach etwa genauso vielen Jahren, nach 39 Jahren, hat jetzt auch das „Forum Kritische Psychologie“ seine letzte Ausgabe herausgebracht. Das Ende der Zeitschrift hat hier nichts mit verlagstechnischen Gründen zu tun – der Argument-Verlag, der sie verlegt, ist zwar klein aber durchaus professionell, sondern mit einer inhaltlichen Bilanz. Im Editorial des Heftes heißt es:

„Dass wir jetzt, nach 39 Jahren, die Zeitschrift einstellen, ist u.a. einer wachsenden Unzufriedenheit mit der Entwicklung der Zeitschrift geschuldet, die in den letzten Jahren den Gründungsanspruch mehr und mehr aus dem Blick verloren zu haben scheint. Auseinandersetzungen um die spezifischen Erkenntnisinteressen Kritischer Psychologie sind weitgehend unterblieben, mit der Konsequenz, ‚dass wir Selbstverständlichkeiten transportierten, wo selbstkritische Fragen am Platz gewesen wären.’ (Holzkamp, 1996, S. 98) Kritische Psychologie scheint demzufolge zunehmend als ein fertiges Begriffssystem genutzt/gesehen worden zu sein, an dem sich andere Ansätze und Vorgehensweisen zu messen haben; dies impliziert zugleich die Gefahr, die kritisch-psychologische Begrifflichkeit der eigenen Praxis anzupassen statt zu deren Analyse zu verwenden und damit zur Entwicklung kritischer psychologischer Theorie und Methodologie beizutragen. Ganz aufgegeben schien uns die aus der Gründungsphase starke Verankerung in der Naturgeschichte des Menschen (…).“

Das Anliegen der Kritischen Psychologie, Psychologie aus der Sicht des Subjekts emanzipatorisch zu betreiben und dafür eine tragfähige wissenschaftliche Grundlage bereitzustellen, ist allerdings nach wie vor up to date. Die akademische Psychologie ist bis heute ein Sammelsurium aus den unterschiedlichsten Theorieversatzstücken, die Spannbreite reicht von neuropsychologischen Positionen, die alles Psychische allein aus dem Gehirn heraus erklären wollen, als gäbe es keine Umwelt, keine Gesellschaft und keine Geschichte, bis hin zu Positionen, die von allen evolutionsbiologisch gegebenen Sachverhalten abstrahieren und psychologische Erklärungen aus ad hoc-Ansätzen des gedanklichen Anrennens gegen das, was man erklären will, zu ziehen versuchen. Psychologie muss aber den Spagat zwischen dem Menschen als Naturwesen und der Gesellschaft als Lebensform dieses Naturwesens überbrücken, die „gesellschaftliche Natur“ des Menschen auf den Begriff bringen, will sie keine wissenschaftlich halbierte Psychologie sein. Und das nicht nur in den Vorworten, bevor man etwas anderes macht, sondern konkret in Forschung und Praxis.

Ein Forum, bei dem sich Arbeiten mit solchem Hintergrund versammelt finden, ist weiter notwendig. Es ist daher geplant, mit einer neuen Redaktion und unter dem neuen Namen „Kritische Psychologie. Neue Folge“ ein Relaunch zu starten. Möge es gelingen. Die neue Zeitschrift wäre ein notwendiger Beitrag zu einer Debattenkultur in der Psychologie, deren Mainstream z.B. die aktuelle Replikationskrise nicht einmal ansatzweise auf einem der Psychologie angemessenen methodologischen Niveau analysieren kann, allzu oft in neobehavioristische Denkmuster zurückfällt und auch mit der angesprochenen „gesellschaftlichen Natur“ des Menschen forschungsmethodisch nichts anzufangen weiß.

Zwei fachlich in besonderer Weise motivierte Zeitschriften, zwei Entwicklungen. Insofern bin ich gespannt, wie es mit den kleinen Fachzeitschriften weitergeht.

Kommentare (5)

  1. #1 Dichter
    17. Juni 2017

    Herr Kuhn,
    nicht nur die kleinen Fachzeitschriften schließen, die kleinen Lokalzeitungen sind auch betroffen. Ob das an den wirtschaflichen Gegebenheiten liegt, zu niedrige Auflage, oder ein “allgemeiner Zeitungsverdruss” liegt, weiß ich nicht.
    Rupert Murdoch sei Dank (Ironie) , sind auch im englischsprachigen Raum viele kleine Fachzeitschriften verschwunden. “Popular Mechanics” war einmal ein Stern am Fachzeitschriftehimmel, heute nur noch gefüllt mit Werbung.

    • #2 Joseph Kuhn
      17. Juni 2017

      @ Dichter:

      “nicht nur die kleinen Fachzeitschriften schließen, die kleinen Lokalzeitungen sind auch betroffen”

      Weder bei der Zeitschrift “Prävention” noch beim “Forum Kritische Psychologie” ging es um die Auflage. Die Denkschablone “Medienkrise” ist hier nicht einschlägig.

  2. #3 Beate Blättner
    20. Juni 2017

    Zum Überleben brauchen Zeitschriften einerseits Flexibiliät, sich auf Veränderungen in Nutzungsgewohnheiten einzustellen, anderseits die Bereitschaft, konzeptionelle Ideen konsequent weiter zu verfolgen. Da kriselt auch andernorts. Ich vermisse die “Prävention” auch deshalb, weil man da mal anders schreiben konnte. Aber nur print, das geht heute nicht mehr.

  3. #4 Rosenkohl
    26. Juni 2017

    Bitte um Verzeihung, wollte in diesem Blog zuerst nur anlässlich Masern-Debatte kommentieren.

    Was hier “Spagat zwischen dem Menschen als Naturwesen und der Gesellschaft als Lebensform dieses Naturwesens” genannt wird würde vermutlich die von Marx initierte (spätestens 1990 stark in Vergessenheit geratene) Kritik der politischen Ökonomie mit beinhalten, bei der es in psychologischer Hinsicht an zentraler Stelle um den Warenfetisch geht.

    Bei der Kritik der politischen Ökonomie handelt es sich laut Dieter Wolf um eine “logisch-systematische” Darstellung der “contemporären Geschichte des Kapitals”, worin “mittels methodisch bedeutsamer Abstraktionen das reale Stück Zeitgeschichte des Kapitals auf seinen idealen Durchschnitt bzw. seine Kernstruktur beschränkt ist, womit zugleich das allen unterschiedlichen Stücken Zeitgeschichte Gemeinsame erfasst ist”, vergl. http://www.dieterwolf.net/pdf/Methodenstreit_Haug_Heinrich.pdf, S. 17.

    Gerade Interpretationen der Marxschen Darstellungsmethode als einer “logisch-historischen”, wie sie Wolfgang Fritz Haug oder Klaus Holzkamp vertreten haben, sind aber von Wolf und anderen kritisiert worden, vergl. dazu auch Ingo Elbe: Marx im Westen, S.91 ff. https://books.google.de/books?id=9rjmBQAAQBAJ&pg=PA91

    • #5 Joseph Kuhn
      26. Juni 2017

      @ Rosenkohl:

      Mir geht es um den Spagat an sich, den man aus unterschiedlichen theoretischen Blickwinkeln heraus untersuchen kann. In dem Zusammenhang kommt mir die von Ihnen angesprochene Debatte vor wie der Streit darüber, wie viele Engel auf eine Nadelspitze passen. Bei Holzkamp geht es allerdings nicht nur um eine “logisch-systematische” Darstellung, er versucht vielmehr, die Grundkategorien der Psychologie durch einem Gang durch die Phylogenese inhaltlich aufzubauen. Das wird nicht mehr auf dem evolutionstheoretisch letzten Stand sein, Wissenschaft entwickelt sich schließlich weiter, aber den Ansatz halte ich nach wie vor für wegweisend.