Jeder, der hier oder in einem Skeptikerforum eine Zeitlang mitgelesen oder mitdiskutiert hat, kennt es: Man trifft auf meinungsstarke Diskutanten, die jedes Argument mit einem „Ja, aber bei den Eskimos ist das genauso“ parieren. Wenn man über die die Unwirksamkeit der Homöopathie diskutiert, wird man auf die Unwirksamkeit anderer Medikamente hingewiesen, wenn alternativmedizinische Scharlatanerie wieder einmal Menschenleben gekostet hat, wird man aufgefordert, sich doch einmal die tödlichen Krankenhausinfektionen anzusehen, wenn es um den Nichtraucherschutz geht, kommt ein fiktives Verbot des Schweinebratens als Einwand und wenn man ekelhafte tweets von AfD-Politikern kritisiert, wird zurückgefragt, ob man die Silvesternacht in Köln 2016 vergessen habe.

In der Auseinandersetzung mit den Meinungsstarken haben wir uns angewöhnt, das als „Whataboutism“ zu brandmarken, als Ablenkungsmanöver vom eigentlichen Thema. Auf der anderen Seite ist unstrittig, dass Vergleiche den Blick weiten können und ein probates Mittel gegen scheuklappenverengte Diskussionen sind. Wenn in der Diskussion über Glyphosat auf deutschen Feldern angeführt wird, dass es da ein erhebliches Krebsrisiko gäbe, warum nicht neben dem Verweis auf die Studienlage auch sagen, dass die relevanten Krebsrisiken sicher ganz andere sind, z.B. das Rauchen? Und wenn einem von Homöopathen vorgehalten wird, dass Kritik an homöopathischen Mitteln doch vor allem von der Pharmalobby käme, weil die Pharmaindustrie an ihren Medikamenten verdienen will, warum nicht darauf hinweisen, dass auch Homöopathika von Pharmafirmen hergestellt werden, die daran verdienen wollen und die gleichen Lobbyaktivitäten praktizieren?

Wann also sind Vergleiche legitim, wann nicht? Wann hat man es mit Whataboutism zu tun, wann mit einer Erweiterung des Blickwinkels? Und – ein spezieller Fall – ist man gut beraten, in der Diskussion mit AfD-Anhängen diese pauschal als „Nazis“ abzustempeln, oder umgekehrt, beim Vergleich mit den Nazis gleich „Godwin“ zu rufen? Schließlich haben nicht nur die Nazis aus ihrer Sicht „lebensunwerte“ Menschen ermordet, die Eskimos haben doch angeblich auch ihre Alten ausgesetzt, wenn die Nahrung knapp wurde.*

Kann man allein aus der Form des vergleichenden Einwands sehen, wie viel ein Vergleich taugt? Oder ist das, wenn es nicht um offenkundig hinkende Vergleiche geht, eher eine Frage der Motivforschung, d.h. des gesamten Kontextes, aus dem heraus etwas gesagt wird?** Bei Wikipedia kann man zum Thema Whataboutism nachlesen, dass er häufig als rhetorisches Mittel in der politischen Propaganda dient. Ich vermute, noch häufiger gibt es Whataboutism im Ehestreit. Aber was sagt uns nun dieser Vergleich?

————
* Das Original sind die Indianer, die von den Amerikanern umgebracht wurden.
** Wie sicher lässt sich der Kontext eigentlich beurteilen?***
*** Oder ist das egal, weil wir ja auch sonst nichts mit Sicherheit beurteilen können?

Kommentare (31)

  1. #1 Norbert Aust
    7. Januar 2018

    Interessante Fragestellung. Es gibt natürlich die einfache Definition: Wenn ich den Vergleich anstelle, dann ist es sicher kein Wahtaboutism, wenn jemand anderes einen Vergleich bringt, der mir nicht in den Kram passt, dann ist es einer. Aber ich glaube nicht, dass dies gemeint ist.

    Sind denn die genannten Beispiele des “guten” Vergleichs wirklich Whataboutism? “Hersteller von Homöopathika sind Pharma!” ist nach meinem Dafürhalten keiner. Ganz eindeutig greift man ja das Argument des Gegenübers auf und bringt ein entkräftendes Gegenargument.

    Auch in dem Vergleich mit dem Rauchen sehe ich, sorry, keinen Whataboutism. Ganz im Gegenteil sind Vergleichszahlen eine Notwendigkeit, irgendwelche Zahlenwerte begreifbar zumachen und ins Verhältnis zu setzen. Das Risiko, einen schweren Impfschaden zu erleiden, mit dem Risiko zu vergleichen einen schweren Verkehrsunfalls zu erleben, halte ich für essenziell notwendig, um die Relationen nicht zu verlieren.

  2. #2 Alisier
    7. Januar 2018

    Vielleicht hast du gerade DEN Grund an sich für Whataboutismus gefunden und erwähnt.
    Jeder deftige Beziehungsstreit läuft irgendwann zwingend auf dergleichen hinaus.
    Und somit ist auch fast jeder aufgrund seiner Erfahrung der Überzeugung, dass es das Normalste der Welt ist, alles gegeneinander aufzurechnen.
    Und das würde auch die Aggressivität und Harnäckigkeit erklären mit der manche hier auftreten.
    Zuhause kriegen sie beim Ehepartner keinen Fuß auf den Boden, aber hier wähnen sie eine Chance….
    Hach, psychologisieren macht einfach Spass….

  3. #3 rolak
    7. Januar 2018

    gleich “Godwin” zu rufen?

    Wenns das erste Mal im thread ist, warum nicht? Ist doch per se nicht wertend, sondern das Anmerken eines Fortschreitens dahin, Godwins Gesetz ehern zu machen.

    allein aus der Form?

    Falls irgendwo überhaupt, dann nicht unter Menschen, wage ich zu postulieren. Dafür dürfte die Sprache viel zu flexibel sein.

    Deine beiden Gegenbeispiele überzeugen mich nicht so richtig (disclaimer: mit hoher Wahrscheinlichkeit dürfte dergleichen Vergleiche auch von mir mal gemacht worden sein..). *räusper* Rein formal können das ja bei passend spezieller Bewertung von ‘erheblich’ und ‘vor allem’, also dem ‘x’ in ‘zu mindestens x%’, schlicht wahre Aussagen sein (wenn beim 2.Beispiel die behauptete Intention ausgeklammert wird).

    Das zweite Konstrukt scheint mir robuster, doch warum nicht statt dessen Belege für ‘vor allem’ fordern und auf die Intentionierung(?) eingehen? Besagt letztere, daß die Kritik ansonsten inhaltsleer sei?
    Und ein wenig klingt es trotzdem nach Sandkastens ‘der aber auch!’

    Der erste Vergleich geht imho am Thema vorbei. Ja, Risiken sollten eingeordnet werden und beide Verursacher von Schäden Anderer könnten auch anders. Doch der unerwähnte Knackpunkt sind die Risiken des ‘anders’, ‘andere Herbizide’ wie ziemlich wahrscheinlich ist da nicht so dolle. Oder letztendlich (Totalverbot) die unerquickliche, doch wohl notwendige² Grätsche in den Aufwandsvergleich, das ethische Minenfeld der Lebensbewertung.
    Es wäre vielleicht deutlich zielführender, nach der an sich durchaus berechtigten Mahnung zur Einordnung direkt am Kern nachzuhaken, statt einen solchen Vergleich in der Luft hängen zu lassen.

    Die ganze Einschätzung gilt selbstverständlich nur für Diskussionen, nicht für Brüllen.

    ______________________
    ² Es wird ja auch keiner Bretter verbieten, nur weil Holzstaub krebserregend ist.

  4. #4 anderer Michael
    7. Januar 2018

    Die Bundesregierung sieht kein Problem darin, wenn ihr diplomatischer Dienst davon redet, dass sich nun “Nazis” im Bundestag befinden.
    Habe ich ,Ihrem Ratschlag folgend, dem Twitter Account der Frau Weidel entnommen.

  5. #5 rolak
    7. Januar 2018

    folgend

    Irgendwas in Richtung ‘(als sinnvoll) entnehmen’ hat er nicht gesagt, aM. Falls Du allerdings seinem Rat tatsächlich gefolgt sein solltest, dann ist das, was wir hier bei Dir sehen können, Deine Schlußfolgerung aus dem von Dir Gesehenen.

  6. #6 Joseph Kuhn
    7. Januar 2018

    @ anderer Michael:

    “dem Twitter Account der Frau Weidel entnommen”

    Und, ist was dran mit den Nazis im Bundestag? Einer scheint zumindest ein Halbnazi zu sein.

    Mir gefällt ihr neuester tweet gut, eine Reaktion auf die AfD-Kritik des drittklassigen Proleten Peter Fischer von Eintracht Frankfurt: “Ja, da schau her! Der wackere “Antifaschist” muss nun kleinlaut eingestehen, dass ein Ehrenpräsident seines Vereins Waffen-SS-Mitglied war!”

    Ob Gauland stolz auf dessen Leistungen ist, hat sie leider nicht gesagt. Rudolf Gramlich, um den es hier geht, ist Wikipedia zufolge 1988 gestorben. Da hat die Ärzteschaft mit ihrem Nazi-Präsidenten Sewering doch deutlich länger durchgehalten. Ich habe gehört, zwischen 1933 und 1945 sollen Nazis sogar an der Regierung gewesen sein. Ob darunter auch ein paar Halbnazis waren?

  7. #7 Alisier
    7. Januar 2018

    An der Regierung? In Deutschland?
    Ach komm, diese linksgrünversifften Märchen müssen wir jetzt nicht schon wieder hervorholen.
    Es hat das dritte Reich nie gegeben. Punkt.
    Und was Nazis sind, weiß jeder: vom jüdischen Hollywood erfundene Prügelknaben.

  8. #8 2xhinschauen
    https://www.homöopedia.eu
    7. Januar 2018

    Die Frage, scheint mir, ist, was mit dem Vergleich bewirkt werden soll: eine zugespitze Verständlichmachung (so arbeite ich jedenfalls gern), ein Insverhältnissetzen, wie Norbert korrekt einwirft, oder eine Verharmlosung nebst Ablenkung vom Thema. Nur letzteres ist m.E. ein “whataboutism”.

    Mein Lieblingsbeispiel für letzteres: “Wir haben dreitausend Verkehrstote im Jahr, aber nur dreihundert Opfer von Gewalttaten. Lasst doch endlich die armen Mörder in Ruhe.” Ich meine sogar, das stammt aus einem Kommentar hier bei JK.

    Was ich nicht so gern lese, ist das manchmal rituelle Abbügeln von Argumenten (und “Argumenten”) mit “whataboutism!” (oder auch “Godwin!” und “DK!” usw.) Wer mit dem Szenejargon und/oder dem Sachverhalt nicht vertraut ist, wähnt (womöglich auch mal zu recht?) kurzangebundene, magengeschwürige Besserwisser am Werk und wendet sich lieber den anderen zu, die ihren Glauben geduldig und plausibel erklären. Eigentlich geht es uns doch um dieses mitlesende, um Information bemühte Publikum.

    Und schließlich würde ich die deutsche Version “Watismitismus” bzw. “Unwatismitismus” bevorzugen. Aber der Zug ist wohl abgefahren. Wo das “Un-” doch so ein schönes Wortspielchen ist 🙂

  9. #9 anderer Michael
    7. Januar 2018

    Okay
    Man kann die AfD ablehnen, und dies auch mit deftigen Worten. Kein Problem.
    Ist es in Ordnung” Die Linke” zu kritisieren, kräftig und etwas polemisch ? Gewiß ! Aber es sollte schon noch etwas mit der Realität zu tun. Sie einfach als stalinistisch zu bezeichnen , ist absolut daneben. Stalinismus steht für Massenmord in zweistelliger Millionenzahl. Und solche Altstalinisten , die das leugnen, und Stalin hochjubeln ,gibt es Vielleicht sogar bei der ” Die Linke”. Aber bei aller Kritik “Die Linke” will keinen mörderischen Stalinismus. Wer das behauptet, ist entweder unwissend oder nur polemisch.
    Genauso sehe ich das mit der AfD . Pauschal diese Partei als Nazis zu bezeichnen, sehe ich als falsch an. Unzweifelhaft gibt es Gedankengut, welches ins Rechtsextremistische geht. Und ev. ist der eine oder andere bei der NPD besser aufgehoben. Und ev. existieren Mitglieder, die innerlich nichts anderes als Nazis sind.
    Das Parteiprogramm ist nicht nationalsozialistisch (das bedeutet nicht , dass ich es für richtig halte). Gewalt gegen die AfD wird toleriert ( nicht hier im Blog!)Argumente der AfD werden als falsch angesehen, nur weil sie von dieser Partei kommen. Dabei werden dann Realitäten ignoriert und in das Gegenteil gekehrt.

    Ich finde das nicht richtig. Die Diskussion über Weidels E-Mails ist für mich beispielhaft. Die besagten fraglichenE -Mails lehne ich inhaltlich ab, für mich ist das Reichsbürgerrethorik. Weidel sagt, sie stammen nicht von ihr.
    Die Neujahrstweets der Damen v.Storch und Weidel sind politische Übung mit einem Kern Wahrheit und durchaus abzulehnender Polemik. Dieser Kern wird ignoriert, unsinnige Äußerungen las ich.Auch Whataboutism. Gut, ich bin auch nicht immer schlau, drum sitze ich im Glashaus. Aber es war einiges Abgründiges und Märchen oder Verallgemeinerungen zu lesen.
    Das fand ich nicht gut. Ich hatte die Frage gestellt, ob man auch seriös und sachlich gegen die AfD sein kann. Nur Basilios hat mit ja geantwortet ( falls nichts von mir überlesen).

    Das pauschale Abtun der AfD als Nazis und das Ignorieren der Probleme ,ist ein Bärendienst.

  10. #10 ajki
    7. Januar 2018

    Mein (sehr) subjektiver Eindruck in den letzten Monaten war eigentlich der, dass “Whataboutism” ein rhetorischer Modetrend bei den “Skeptikern” wurde (ist?). Untaugliche Vergleiche/Relationssetzungen vom Schlage “… wie bei den Nazis” sind an sich wohl eher ein Regelfall beim vergleichen oder zumindest darf man schon sagen, dass irgendwo alle Vergleiche auf mindestens einem ihrer diversen Beine lahmen. Der Zweck der Relationierungen soll ja sein, irgendwas (=die Ansicht des Äußernden) überpointiert zu verdeutlichen (einem Hörer). Dabei schlägt man gerne mit größtmöglichen Keil in ein sehr fein(stofflich)es Holz.

    Die Mode bei den “Skeptikern” hinsichtlich der Nutzung des Totalverdikts “Whatabou….” scheint mir persönlich eher nicht so gut geeignet im Diskursverlauf. Von außen gesehen wirken solche rhetorischen Figuren leicht und gerne als hilflose Ätschibätschis oder als unbeeindruckbares “wer heilt hat recht. So. EoD!1!11!!”.

    Ich denke, man sollte den Begriff in einer Auseinandersetzung nur sehr selten, sehr gezielt und sehr gut begleitet mit Begründung verwenden.

  11. #11 Basilios
    Freezing
    7. Januar 2018

    @anderer Michael

    Ich hatte die Frage gestellt, ob man auch seriös und sachlich gegen die AfD sein kann. Nur Basilios hat mit ja geantwortet ( falls nichts von mir überlesen).

    Das war aber in einem Kommentar-Thread unter einem anderen Artikel als der hier oben stehende.
    https://scienceblogs.de/gesundheits-check/2017/12/29/alice-weidels-vergessene-flaschenpost/#comment-68313

  12. #12 lindita
    7. Januar 2018

    ” “Whataboutism” ein rhetorischer Modetrend”

    Wer hat Kinder? Ich habe.

    Da sage ich: “geh schlafen!”
    Kind: aber ihr seid doch auch bis späht in die Nacht wach.
    Ich: und wo siehst du jemanden von uns tausend Gläser an einem Tag nutzen, nur um Wasser zu trinken, wie du es machst?. ..

    ***

    Zwei Dinge mehme ich daraus: so zu argumentieren lernen wir schon in unserer Kindheit.
    Und zweitens: die Pädagogen/Psychologen machen es sich zu einfach, wenn sie sagen, man müsste als Eltern einfach etwas “vorleben” und Kinder würden es schon nachmachen.

    Also, mein Kind darf whataboutismen, wenn es denn auch den “Anhang” mitmacht. Wenn es sich nur die Rosinen rauspikt, gibt es klare Kante. Dem “Anhang” bewusst zu werden sehe ich für (m)ein Kind lehrreicher, als “klare Kante”, denn dann lernt es (hoffentlich) dieses rhetorische Mittel nicht in die Leere zu benutzen, sondern ins Schwarze.

  13. #13 Alisier
    7. Januar 2018

    Das war jetzt kein Whataboutism lindita, sondern Äpfel und Birnen, oder eher Äpfel und Heringe.
    Und die Kinder machen es doch nach: sie wollen genauso lange aufbleiben.

  14. #14 ralph
    8. Januar 2018

    Die gezielte Anwendung von Whataboutism und anderer rhetorischer Kniffe ersparen es dem Anwender seine eigenen Wahrheiten gelegentlich zu hinterfragen.
    Andersrum zwingt der intelligent und kreativ eingesetzte Whatoutism den Gegenüber in die Defensive und zum Nachdenken, falls der ein nachdenklicher Mensch ist. Der nachdenkliche Mensch ist zwar in Diskussionen oft in der Defensive, aber lernt ständig dazu.

  15. #15 foobar407
    11. Januar 2018

    Die Einteilung von Argumenten in Fallacies anhand ihrer Form halte ich nicht für hilfreich. Wenn wir alles mögliche verbieten wollen, landen wir irgendwann bei klassischer Logik, und selbst die wird bestimmt bestritten.

    Ein Argument ist gut oder “erfolgreich” wenn es überzeugend ist. Und das kann auch ein Whataboutism oder gar ein Ad Hominem sein. Wenn man Argumente anhand ihrer Form analysiert, ist es hilfreicher einfach die Angriffspunkte, in der Regel ihre Prämissen oder versteckte Prämissen, zu kennen.

    Zum Beispiel Ein “Expertenargument”: Wenn jemand als Experte etwas äußert, kann man hinterfragen, ob er wirklich Experte in dem Gebiet ist. Das wäre dann zwar Ad Hominem, aber doch berechtigt, oder nicht?

  16. #16 Basilios
    Freezing
    11. Januar 2018

    @foobar407
    Ein “Expertenargument” ist nicht verboten. Aber es ist kein Argument.
    Ich denke Du solltest Dir zuerst die Frage stellen, ob Du eine ehrliche Diskussion, oder lieber Rethorik betreiben möchtest.

  17. #17 foobar407
    12. Januar 2018

    @Basilios
    Ein Expertenargument ist natürlich ein Argument. Alles, was Prämissen und einen Schluss hat ist ein Argument. Und es ist in den meisten Fällen ein gutes Argument: In Rechtsstreitigkeiten werden ständig Gutachter zu Themen hinzugezogen und wenn hier auf scienceblogs jemand zu seinem Fachgebiet etwas schreibt, dann glaube ich ihm doch auch erst ein mal. Es ist in vielen Fällen überzeugend ohne dass vor Gericht oder hier auf Scienceblog bloße Rethorik im Sinne der Sophisten betrieben wird. Oder ist das alles unehrlich?
    Was für Argumente willst du denn erlauben, damit es eine ehrliche Diskussion ist? Und was ist denn dein Argument? Ad Hominem (… Du solltest dir die Frage stellen …)? Ehrlich? Oder Ironie?

  18. #18 Joseph Kuhn
    12. Januar 2018

    @ foobar407

    “Was für Argumente willst du denn erlauben”

    1. Die Erlaubnis für Argumente ist schriftlich bei der zuständigen Argumentenprüfstelle zu beantragen.
    2. Vorzulegen ist das ungebrauchte Argument in dreifacher Ausfertigung.
    3. Vorlageberechtigt ist, wer mindestens einen Hauptschulabschluss hat, eine Heilpraktikererlaubnis besitzt oder den Nachweis für ein unfallfrei nachgekochtes Meefischli-Rezept vorlegen kann.
    4. Die erteilte Erlaubnis ist nicht übertragbar.

    Im Übrigens verweise ich auf das argumentationshistorisch gut begründete Prinzip, Argumenten gegenüber die erforderliche Widerständigkeit zu zeigen und seiner Meinung so gut es geht treu zu bleiben.

  19. #19 foobar407
    12. Januar 2018

    @Joseph Kuhn
    Auch wenn hier in den Kommentaren selten jemand vom Gegenteil überzeugt wird, lesen ja erstens noch viele weitere Leute mit, bei denen wir nicht sehen, wie die Argumente wirken, und zweitens ist es doch für eine gute Diskussionskultur wichtig, dass die Diskussion im Gang bleibt.
    Und ich erlebe viele Diskussionen heutzutage schon so, dass dieThemen polarisieren und man durch das “Entlarven” der Gegenargumente den schon schwierigen Gesprächsfortschritt weiter einschränkt. Wenn jemand etwas Gesagtes als Whataboutism klassifiziert, ist es damit doch als irrelevant abgestempelt. Man braucht sich nicht mehr mit dem Gesagtem auseinandersetzen und sogar der Gesprächspartner wird dadurch herabgesetzt und kann ignoriert werden.
    Genau dieses “Entlarven” scheint etwas mehr in Mode gekommen zu sein. Jetzt ist es Whataboutism, vor kurzem gab es diese “ich bin nicht x, aber y”-Sätze. Viele wissen auch, was ein Ad Hominem oder kennen Slippery Slope. Es ist sozusagen ein “Entlarvenism” 😉

    Und ich wiederhole mich: Was wäre die Folge, wenn wir solche Argumente ausschließen wollen? Wenn man alle vermeintlichen Fehlschlüsse vermeidet, was bleibt dann übrig? Wollen wir uns nur noch durch den Austausch von formalen Beweisen miteinander unterhalten? Dann müssten wir noch klären, ob klassische oder intuitionistische Logik? Oder noch was anderes?

    • #20 Joseph Kuhn
      12. Januar 2018

      @ foobar407:

      “Wenn man alle vermeintlichen Fehlschlüsse vermeidet, was bleibt dann übrig?”

      Klügere Argumente. Falls es wirklich Fehlschlüsse waren und nicht nur “vermeintliche”. Andernfalls kann man sich alles Argumentieren sparen.

  20. #21 Basilios
    Freezing
    13. Januar 2018

    @foobar407
    Ich wolte Dich ganz bestimmt nicht angreifen. Ich meinte das ganz ehrlich und ernst. Mich würde erst mal interessieren, was Du genau diskutieren möchtest und was die jeweiligen Begriffe für Dich bedeuten. Ich habe nämlich den Eindruck, daß wir aufgrund unterschiedlicher Begriffsdefinitionen aneinander vorbeireden.

  21. #22 PDP10
    13. Januar 2018

    Da Birnen schon erwähnt wurden:

    Ich nenne die Sache mit den Eskimos et al. gerne den Apfelkuchen-Birnen-Fail.

    Ich: “Ich finde für einfachen Apfelkuchen vom Blech nimmt man am besten Cox.”

    Und dann kommt garantiert irgendeiner an und meint: “Und was ist mit Birnen? Da kann man auch Kuchen draus machen! !1ELF!!!”

    Das argumentieren mit Risikovergleichen halte ich übrigens für keinen solchen Fail.

    Mein Lieblingsbeispiel ist die Nummer mit dem Glyphosat im Bier die vom Münchner Umweltinstitut losgetreten wurde. Nach allem, was ich darüber gelesen habe, war das irgendwas, aber kein Studie, die den Namen verdient. Die haben von ungefähr einem Dutzend Sorten Bier je eine Flasche gekauft und dann geguckt, ob da Glyphosat drin ist.
    Heutzutage kann sich jedes mittelgroße Labor Gerätschaften leisten (Massenspektrometer zB.), die solche Analysen in einer Genauigkeit ermöglichen, von der man vor 20 Jahren nur träumen konnte. Gadgets, mit denen man beinahe buchstäblich Sachen Atömchen für Atömchen untersuchen kann.
    Natürlich findet man da was …

    Der Risikovergleich ist hier:
    Liebe Leute: In Bier ist Alkohol! Und zwar ca. 25 ml pro 0,5 Liter Flasche. Und anders als bei Glyphosat weiß man, dass das Zeug sicher krebserregend ist. Und anders als beim Alkohol ist nicht rauszufinden in welchen Konzentrationen denn nun das Glyphosat vom Umweltinstitut in besagtem Bier gefunden wurde.

    … Prost!

  22. #23 Basilios
    Freezing
    14. Januar 2018

    @PDP10
    Sehe ich auch so. Risiken zu vergleichen kann durchaus sehr sinnvoll sein. Mann muss natürlich aufpassen, daß man die Risiken auch tatsächlich in vergleichbarer Form vergleicht. Sonst wundert man sich, warum sich der Elster so schlecht mit der Kiste Abate Fetel vergleichen lässt.
    Aber dafür gibt es ja diverse Hilfsmittelchen.

  23. #24 foobar407
    14. Januar 2018

    Ein Beispiel:
    Man diskutiert über die Mauer zu Mexiko, die Donald Trump bauen möchte. Dann kommt irgendwann die Antwort, dass Clinton ja auch eine Mauer bauen möchte.
    So, das ist der Form nach ein Whataboutism. Aber ist es ein berechtigtes Argument?
    Wenn man rein über die Sinnhaftigkeit oder Notwendigkeit der Mauer diskutiert ist der Einwurf natürlich völlig daneben. Aber ich behaupte mal, so etwas würde auch kaum jemand machen.
    Wenn die Diskussion aber im Kontext der US-Wahlen stattfindet, da ist es doch völlig berechtigt einen Kandidaten mit einem anderen zu vergleichen. Denn wenn man Trump wegen der Mauer ablehnt, müsste man ja auch Hilary ablehnen. Das fände ich zumindest völlig überzeugend und würde den Whataboutism an der Stelle nicht ablehnen.
    Herr Kuhn hat oben auch ein Beispiel zu Hömöopathie und der Pharmalobby gegeben, was ich als Argument völlig akzeptieren würde, obwohl es ein Whataboutism ist.

    Anstatt also ein Argument seiner Form wegen abzulehnen, kann man anhand seiner Form einfach versuchen kritische Fragen zu stellen.
    Beim Whataboutism kann man nicht generell ausschließen, dass das “about” nicht doch einen relevanten Zusammenhang zum eigentlichen Thema hat. Da lohnt es sich einfach diesen Zusammenhang kritisch zu prüfen anstatt das ganze Argument zu verwerfen. Man kann ja auch Äpfel mit Birnen vergleichen, wenn es um Obstsalat geht.

  24. #25 Basilios
    Freezing
    16. Januar 2018

    @ foobar407

    Anstatt also ein Argument seiner Form wegen abzulehnen, kann man anhand seiner Form einfach versuchen kritische Fragen zu stellen.

    Ehrlich gesagt verstehe ich diesen Einwand nicht. Wo siehst Du hier ein Problem?
    Im Artikel ganz oben wird doch gar nicht verlangt, daß man ein Argument nur der Form wegen sofort ablehnen solle. Kritische Fragen zu stellen ist das erste, was ich auch tun würde (wie auch oben mit PDP10 schon andiskutiert).
    Wenn die Antworten auf die kritischen Fragen zum Argument allerdings ergeben, daß der Hintergrund des Argumentes ausschließlich in einem Ablenkungsmanöver besteht, dann werde ich dieses Argument in der Diskussion eben auch nicht mehr gelten lassen.

    Und ungefähr so habe ich den Artikel da oben auch verstanden.

  25. #26 PDP10
    16. Januar 2018

    @foobar407:

    Man kann ja auch Äpfel mit Birnen vergleichen, wenn es um Obstsalat geht.

    Ich verstehe auch nicht, was du uns eigentlich sagen willst …

    Ich: “Ich finde für einfachen Apfelkuchen vom Blech nimmt man am besten Cox.”

    Irgendeiner: “Aber aus Äpfeln kann man auch prima Obstsalat machen!!1ELF!”

    Hä?

    Herr Kuhn hat oben auch ein Beispiel zu Hömöopathie und der Pharmalobby gegeben, was ich als Argument völlig akzeptieren würde, obwohl es ein Whataboutism ist.

    Nein, ist es nicht. Es ist ein Vergleich zwischen Äpfeln und Äpfeln

  26. #27 foobar407
    17. Januar 2018

    @Beobachter & PDP10

    Ein Argument ist ein Whataboutism seiner Form nach, also wenn es die Form “But what about X?” hat, obwohl es um das Thema “Y” geht. Herr Kuhns Beispiel zur Homöopathie lässt sich dementsprechent als Whaboutism formulieren: Thema ist die Pharmalobby für evidenzbasierte Mittel und jemand antwortet “But whabout Pharmalobby for Homöopathie?”

    Es wird gleichzeitig “als unsachlich kritisierte Gesprächstechnik” (Quelle Wikipedia) verstanden. Also abgelehnt. Ich empfinde es als Totschlagargument, wenn jemand ein Argument als Whataboutism “entlarvt”. Diese Kategorisierung erfolgt ja als Entwertung des gesamten Arguments (das meine ich mit “ablehnen”).

    Wie wir aber durch die Beispiele sehen, ist ein Whataboutism nicht automatisch ein gutes oder ein schlechtes Argument. Und wenn aber die Form des Arguments in dem Fall nichts über die Qualität aussagt können wir und diese Kategorisierung, oder wohl eher Brandmarkung, sparen.

  27. #28 Basilios
    Horizon in the Middle of Nowhere
    17. Januar 2018

    @foobar407
    Ich denke Dein Problem beruht darauf, daß Du meinst, es wäre immer ein Whataboutism, obwohl PDP10 und ich uns einig sind, daß das Argument nur dann als Whataboutism zu kritisieren und abzulehnen ist, wenn eine neue Thematik reingebracht wird, die nicht dazu passt und “offensichtlich” lediglich als Ablenkung vom ursprünglichen Thema dienen soll.
    Wenn es um das Thema Pharmazie und Lobbyismus geht, was spricht dann gegen den durchaus dazu gehörenden Teilaspekt Homöopahtie?
    Aus meiner Sicht nichts.
    Bei Dir ist die Reihenfolge verkehrt. Es wird nur durch den unpassenden, oder gar nicht vorhandenen Zusammenhang zum Whataboutism. Diese Markierung kann man immer erst nach einer kritischen Prüfung vergeben (oder eben nicht).

  28. #29 foobar407
    17. Januar 2018

    @Basilios

    Ich kenne diese Definition eben aus einigen argumentationstheoretischen Betrachtungen. Dort werden Argumente Ihrer Form nach analysiert. Einige verfolgen dabei den Ansatz Argumente ihrer Form nach als Fehlschlüsse einzuordnen. Diesen Ansatz lehne ich ab, solange es nicht um mathematische Beweise geht.

    Und in der Frage von Herrn Kuhn steckt ja auch der Aspekt der Form: “Kann man allein aus der Form des vergleichenden Einwands sehen, wie viel ein Vergleich taugt?”

    Meine Antwort ist nein, die Form reicht nicht, man muss auch den Kontext betrachten.

    Wenn Sie natürlich sowieso immer den Kontext mit betrachten und sagen, ein Whataboutism ist es nur dann, wenn auch der Kontext keinen sinnvollen Vergleich erlaubt, dann gebe ich Ihnen Recht, dass ein Whataboutism auch immer einen Fehlschluss darstellt.

    Allerdings erlebe ich das in Diskussionen ganz anders. Whataboutism (nach meiner Definition) sind so gut wie immer berechtigt auch wenn der Gegenüber “Whataboutism” ruft. Nach Ihrer Definition wäre es ja auch in den meisten Fällen gar kein Whataboutism, also sollten Sie mir auch zustimmen, dass der Begriff zu viel verwendet wird.

    Schauen Sie sich doch mal das Beispiel von PDP10 an mit den Äpfeln. Das ist doch stark konstruiert. Wie häufig erleben Sie denn eine solche Diskussion? Selbst mit drei Bier intus formuliert der Mensch doch bessere Gespräche als das.

  29. #30 PDP10
    19. Januar 2018

    @foobar407:

    Ein Argument ist ein Whataboutism seiner Form nach, also wenn es die Form “But what about X?” hat, obwohl es um das Thema “Y” geht. Herr Kuhns Beispiel zur Homöopathie lässt sich dementsprechent als Whaboutism formulieren: Thema ist die Pharmalobby für evidenzbasierte Mittel und jemand antwortet “But whabout Pharmalobby for Homöopathie?”

    Thema ist X = Pharmalobby für evidenzbasierte Medizin oder X = Pharmalobby für Homöopathie.

    2 x Pharmalobby, nur für unterschiedliche Medikamente. Einmal normal und einmal Betrug.

    Liest du eigentlich manchmal was du hier so rein schreibst?

    Schauen Sie sich doch mal das Beispiel von PDP10 an mit den Äpfeln. Das ist doch stark konstruiert.

    Nein. Wie bewiesen wurde.

  30. #31 Basilios
    Horizon in the Middle of Nowhere
    20. Januar 2018

    @foobar407
    Ich gehe nochmals etwas in der Diskussion zurück:

    Einige verfolgen dabei den Ansatz Argumente ihrer Form nach als Fehlschlüsse einzuordnen. Diesen Ansatz lehne ich ab, solange es nicht um mathematische Beweise geht.

    Wieso? An dem Ansatz ist erst mal nichts verkehrt. Es gibt durchaus Argumente, die man bereits der Form nach als Fehlschluss, nicht valide, nicht überzeugend, etc…also als kein gutes und somit als “kein Argument” einordnen kann. Das ist zum Beispeil beim bereits oben besprochenen Argument-by-Authority durchaus der Fall.
    Beim Whataboutism sind wir uns inzwischen wohl einig, daß man auch den Kontext betrachten muss. Die vergleichende Form alleine ist noch nicht ausreichend.

    Allerdings erlebe ich das in Diskussionen ganz anders. Whataboutism (nach meiner Definition) sind so gut wie immer berechtigt auch wenn der Gegenüber “Whataboutism” ruft. Nach Ihrer Definition wäre es ja auch in den meisten Fällen gar kein Whataboutism, also sollten Sie mir auch zustimmen, dass der Begriff zu viel verwendet wird.

    Das verstehe ich nicht. Natürlich wird aus einem Argument noch kein Whataboutism, nur weil ein Diskussionspartner das Wort schreit. Aber in den Diskussionen in denen ich dabei bin gibt es schon oft echte Whataboutisms. Nur: Ändert die Häufigkeit irgendetwas an der Definition?

    Ansonsten verweise ich auf das soeben von PDP10 geschriebene.