Vor einem halben Jahr hatten wir hier auf Gesundheitscheck anlässlich eines Artikels von Susanne Moebus und Wolfgang Bödeker über Pestizidvergiftungen diskutiert. Heute gibt es von Wolfgang Bödeker einen Gastbeitrag zur Frage, ob die Parkinson-Erkrankung nicht als pestizidbedingte Berufskrankheit bei Landwirten in die Berufskrankheitenliste aufgenommen werden müsste und ob das System der Aufnahme von Berufskrankheiten in diese Liste noch zeitgemäß ist. Wolfgang Bödeker ist promovierter Mathematiker, war lange bei den Betriebskrankenkassen tätig und betreibt jetzt ein kleines Beratungsunternehmen namens „epicurus Wirkungsanalysen“. Dort ist auch eine Langfassung seines Gastbeitrags abrufbar.
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Parkinson-Erkrankung als Berufskrankheit bei Landwirten
Wolfgang Bödeker
In Deutschland gilt nicht jede Krankheit, die durch Expositionen bei der Arbeit verursacht wird, als Berufskrankheit (BK). Als solche kommen derzeit nur die 80 Krankheiten in Frage, die auf der sogenannten BK-Liste geführt werden. Es besteht aber für die gesetzliche Unfallversicherung die Möglichkeit, Krankheiten als sogenannte „Wie Berufskrankheit“ anzuerkennen, wenn die Krankheit zwar die Kriterien erfüllt, aber noch nicht in die BK-Liste aufgenommen wurde. Das Vorliegen einer „Listen“- oder „Wie“- Krankheit bedeutet aber nicht schon eine Anerkennung als Berufskrankheit. Einer Anerkennung geht in jedem Einzelfall eine Prüfung voraus, die durch eine Verdachtsanzeige auf das Vorliegen einer Berufskrankheit ausgelöst wird, und die eine individuelle Begutachtung und eine Ermittlung der beruflichen Expositionen einschließt. Die Anerkennung einer Berufskrankheit ist für die Versicherten mit erheblichen Vorteilen verbunden, da sie sowohl mit aufwändiger medizinischer Versorgung als auch lebenslanger Rentenzahlung verbunden sein kann.
In Deutschland wurden im Zeitraum 2008-2010 vier Parkinson-Erkrankungen, eine unheilbare neurodegenerative Krankheit, als „Wie Berufskrankheit“ bei Landwirten durch Exposition gegenüber Pflanzenschutzmittel anerkannt. Die eingeholten medizinischen Gutachten haben also einen eindeutigen Verursachungszusammenhang zwischen Pestizidexposition und Parkinson-Erkrankung als gegeben betrachtet und die Unfallversicherungsträger bzw. Gerichte hielten die Evidenz für ausreichend, um eine Berufskrankheit festzustellen.
Das ist überraschend, denn eine Empfehlung, welche Krankheit bei welchen Expositionen als „Wie Berufskrankheit“ in Frage kommt, soll ein ärztlicher Sachverständigenbeirat beim Bundesministerium für Arbeit und Soziales geben. Dieser Beirat hat aber bisher trotz mehrjähriger Beratungen keine entsprechende Empfehlung für die Parkinson-Erkrankung abgegeben. Der Beirat und das Ministerium beziehen damit explizit eine andere Position als die Gutachter und Gerichte und übrigens auch die französische Regierung. Deren Entscheidung, die Parkinson-Erkrankung als durch Pestizide verursachte Berufskrankheit bei Landwirten anzuerkennen, hat seinerzeit ein lebhaftes Pressecho gefunden. Dagegen sind die Anerkennungen in Deutschland nahezu unbekannt, da eine entsprechende Information der Landwirte und Ärzte nicht erfolgt ist. Dies wiederum dürfte dazu führen, dass aussichtsreiche BK-Anzeigen nicht gestellt werden.
Auch ansonsten steht es um die Identifikationen von Berufskrankheiten aufgrund von Pestizidexpositionen in Deutschland nicht gut. Gesetzlich ist vorgesehen, dass sogenannte Merkblätter angefertigt werden sollen mit denen die Anzeige einer Berufskrankheit unterstützt wird. Diese richten sich hauptsächlich an Ärzte und geben Hinweise, welche chemischen Stoffe als mögliche verursachende Noxen für Berufskrankheiten in Betracht gezogen werden müssen. Die Merkblätter, für die auch Pestizide in Frage kommen, sind allerdings oft seit mehr als 50 Jahre nicht aktualisiert worden! Zudem wurde die Erstellung der Merkblätter 2010 gänzlich eingestellt. Zusammenfassend wird also die Anzeige von Berufskrankheiten infolge von beruflichen Pestizidexpositionen durch das Fehlen von den Stand der Wissenschaft abbildenden Beratungshilfen und Gutachterleitfäden erheblich erschwert.
Auch die Liste der Berufskrankheiten in Deutschland basiert im Hinblick auf die gesundheitlichen Folgen akuter und chronischer Pestizidexposition nicht auf einer systematischen Zusammenstellung des wissenschaftlichen Kenntnisstandes. Es ist nicht erkennbar, nach welchen Regularien Krankheiten und Expositionen für eine wissenschaftliche Bewertung und eine Fortschreibung der BK-Listen in Betracht gezogen werden.
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