Die Wissenschaft als plurales System – je nach Gegenstand
Damit ist nicht gesagt, dass unterschiedliche Wissenschaften nicht unterschiedliche Grundkonzepte, Methoden und Wahrheitsansprüche haben können. In der Mathematik kann man ewige Wahrheiten verfolgen und diese auch beweisen, in den Naturwissenschaften geht das nicht. In den Naturwissenschaften ist das Experiment methodologischer Goldstandard, in der Psychologie gilt das nicht uneingeschränkt, nämlich da nicht, wo es um begründetes statt um bedingtes Handeln geht. Wenn experimentalpsychologisch unser auf Gründen basierendes bewusstes Handeln untersucht wird, ist das ein Widerspruch in sich, weil das Experiment Bedingungen setzt, mit denen man gesetzmäßig erfolgende Reaktionen erkennen will. Der Psychologe Klaus Holzkamp hat daher in diesem Zusammenhang einmal davon gesprochen, der Behaviorismus (die Reiz-Reaktions-Psychologie) verfolge einen „kontrollwissenschaftlichen Ansatz“, der Menschen auf das gleiche Niveau wie nicht bewusste Organismen stelle, also einen Teil der Evolution ausblende. Dem hat er eine „subjektwissenschaftliche Psychologie“ gegenübergestellt – mit einer gleichwohl alles anderen als einer voluntaristischen Methodologie. Und in den Geschichtswissenschaften hat man, weil es wieder um andere Gegenstände geht, nämlich historische Tatsachen, auch wieder einen anderen Methodenkanon.
Unterschiedliche Wissenschaftsverständnisse sind also je nach Fach und Gegenstand natürlich gegeben, aber innerhalb der Fächer muss man sich wieder darum bemühen, Aussagen, die gut begründet sind, von Aussagen zu trennen, die gute Gründe gegen sich haben, und zwischen den Fächern darum, dass man nicht leichtfertig die jeweiligen Grenzen der Aussagemöglichkeiten überschreitet. Aus der „wissenschaftlichen Tatsache“, dass Menschen nicht nur auf Reize reagieren, folgt nicht, dass Elektronen auch darüber nachdenken, was sie tun, und umgekehrt. Dass es gerade in dem Verhältnis zwischen Psychologie und Physik noch offene Baustellen gibt, pfeifen die Spatzen von Dächern und das war hier auch mehrfach in der Diskussion, aber das rechtfertigt nicht den esoterischen Fehlschluss, dass man dann doch z.B. auch die Informationsübertragung von verdünntem Sonnenschein auf Zucker und von dort in den Körper annehmen kann. Dagegen sprechen eben gute, sehr gute Gründe.
Als Fazit:
Dass die Wissenschaft ein sozialer Prozess ist, ist trivial und das historische Gewordensein von „wissenschaftlichen Tatsachen“ ist genauso trivial. Es gäbe sonst keinen wissenschaftlichen Fortschritt, wissenschaftliche Schritte zur Seite eingeschlossen. Für Angst vor der Wahrheit (Paul Boghossian) gibt es dennoch keinen Grund, die Realität verschwindet deswegen weder im Beliebigen noch bekommt sie Geschwister, die nur dem alternativen Denken und nicht der Wissenschaft zugänglich sind. Wer Ludwik Fleck bemüht, um in scheinbarer Kritik an einem zu engen Wissenschaftsverständnis anderes zu suggerieren, offenbart nur das Elend seiner Kritik.
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