Dass immer dann, wenn ein Thema regulationsrelevant wird, die Evidenz ähnlich wie die Wahrheit im Krieg zum Opfer der Interessenkonflikte wird, ist nichts Neues. Das war beim Rauchen so, beim Passivrauchen, bei der Homöopathie, bei Glyphosat, beim Klimawandel und aktuell eben beim Diesel.
Niemand will Fahrverbote, diese „Lösung“ des Luftreinhalteproblems hat die Politik untätig herbeigeführt, unter tätiger Mithilfe der CSU-Verkehrsminister der letzten Jahre. Deren Maxime war eher, Schaden von den Gewinnen der deutschen Autoindustrie abzuwenden als vom deutschen Volk, und nicht einmal das haben sie richtig gut hingekriegt, wie die Milliardenzahlungen von VW in den USA zeigen. Ausbaden darf es nun der berühmte kleine Mann, sofern er Diesel fährt. Wenn man jetzt noch den Umstieg in eine zukunftsfähige, emissionsarme Mobilität verpasst, ist die Obergrenze politischer Dummheit erreicht.
Das ist aber nicht mein Thema. Mich beschäftigt vielmehr, was den Schadstoff-Renegaten Dieter Köhler umtreibt. Ich kenne ihn nicht persönlich, daher kann ich nur ein wenig Küchenpsychologie anwenden, so wie er als Küchenepidemiologe unterwegs ist.
Auffällig ist, dass Köhler seit vielen Jahren die immer gleichen Argumente vorbringt: Die Studien, auf die die Grenzwerte Bezug nehmen, seien nicht gut, die Epidemiologie sei ganz allgemein nicht in der Lage, schädliche Wirkungen von Feinstaub oder NOx nachzuweisen, sie verwechsle Korrelation und Kausalität, denke nicht an potentielle Confounder, übersehe mögliche Schwellenwerte, man sehe in der Klinik keine Feinstaub- oder NOx-Toten und Raucher müssten schon lange tot umgefallen sein, wenn Feinstaub und NOx wirklich so gefährlich seien. Auch in der aktuellen Stellungnahme der 100 Lungenärzte (und assoziierten Industrieforscher) werden diese Punkte als Behauptungen heruntergeleiert. Bei Verkehrsminister Scheuer mit großem Erfolg. Er begrüßt das Papier als Versachlichung der Debatte. Dass es die Debatte vernebelt, würde es eher treffen.
Auf Köhlers Punkte wurde wieder und wieder geantwortet, mal wissenschaftlicher, mal populärwissenschaftlicher, mal journalistischer. Er hat nie einen der Kritikpunkte aufgenommen. Würde es ihn, wie er sagt, ärgern, „wenn wissenschaftlicher Blödsinn verbreitet wird“, würde er auch eigenen Blödsinn aus der Welt schaffen und die Punkte seiner Litanei, die klar falsch sind, nicht mehr vorbringen. Er ist ja kein Dummkopf. Er hat inzwischen sicher auch die Studienlage nachgelesen. Gute Kritik schließt nicht aus, trotzdem bei der eigenen Meinung zu bleiben. Aber man muss sie dann besser begründen, die Argumente überdenken, manche aufgeben, andere dazunehmen, Antworten auf Gegenargumente finden. Das tut Köhler nicht. Er bleibt bei seinen Argumenten.
Jetzt meine küchenpsychologische Deutung: Es geht ihm eben nicht darum, Blödsinn aus der Welt zu schaffen, sondern darum, medial erfolgreiche Argumente nicht aufzugeben, obwohl sie falsch sind. Wer so agiert, verfolgt eine strategische Agenda. Das ist nicht anders als bei der Homöopathielobby, die natürlich auch weiß, dass sie teilweise schreienden Blödsinn erzählt, aber auch weiß, dass manche Argumente trotzdem bei den Leuten ankommen. Welche Agenda Köhler verfolgt, weiß ich nicht, vielleicht sind es nur alte Chefarztallüren, die er nicht ablegen kann, vielleicht das warme Gefühl, mit seinen Behauptungen auch als Rentner noch beachtet zu werden, vielleicht auch etwas ganz anderes.
Wer hat bessere Ideen?
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