Der Mord an dem Kasseler Regierungspräsidenten Walter Lübcke bringt die AfD in Erklärungsnöte. Selbst hochrangige AfD-Funktionäre haben immer wieder Äußerungen von sich gegeben, die man als Aufruf zur gewaltsamen Abrechnung mit dem politischen Gegner verstehen kann. So ist beispielsweise bis heute eine Drohung des Chefs der AfD in Rheinland-Pfalz, Uwe Junge, bei twitter online:
„Der Tag wird kommen, an dem wir alle Ignoranten, Unterstützer, Beschwichtiger, Befürworter und Aktivisten der Willkommenskultur im Namen der unschuldigen Opfer zur Rechenschaft ziehen werden! Dafür lebe und arbeite ich. So wahr mir Gott helfe!“
Natürlich will ich Uwe Junge nicht unterstellen, dass er das als Aufruf zu Mord und Totschlag am politischen Gegner gemeint hat, aber es ist eben auch nicht klar, was er gemeint hat und mancher Hitzkopf liest aus solchen Ankündigungen eben heraus, was er meint, dass es gemeint ist. Auch Gaulands böses Wort über die damalige Integrationsbeauftragte Aydan Özoguz kann man so oder so verstehen:
„Das sagt eine Deutsch-Türkin. Ladet sie mal ins Eichsfeld ein und sagt ihr dann, was spezifisch deutsche Kultur ist. Danach kommt sie hier nie wieder her und wir werden sie dann auch, Gott sei Dank, in Anatolien entsorgen können.”
So hat er es selbstverständlich nicht gemeint, sondern so. Also irgendwie anders. Gegenüber Walter Lübcke gab es im Vorfeld nicht nur offene Morddrohungen aus der rechtsradikalen Szene, sondern eben auch „missverständliche“ Äußerungen der rechten Politprominenz, erst vor kurzem von Erika Steinbach. Jetzt hat also jemand irgendetwas so verstanden, wie es die AfD hoffentlich nie gemeint hat, aber bewusst als assoziationsoffenes Angebot nach rechts in die öffentliche Diskussion gab. Und wenn solche „missverständlichen“ Äußerungen von Rechtsaußen in den Kommentaren dann eindeutig ausgelegt wurden, hat man sie oft genug nicht gelöscht, sondern stehenlassen. So wird Unsagbares aus Ungesagtem.
Wie geht die AfD mit der Situation um? Das „strategische Entsetzen“ der Parteioberen und der in Machtergreifungskategorien denkenden Köpfe des AfD-Umfelds ist groß. Der Mord an Walter Lübcke zerstört das Spiel des Offenhaltens von „Nicht-so-Gemeintem“ gegenüber rechten Auslegungen und dementsprechend versucht man nun zu suggerieren, man habe nie dieses Spiel gespielt und sich immer eindeutig gegen jede Gewalt, natürlich von links und rechts, distanziert. Alice Weidel exerziert das auf Facebook vor:
„Der Mord an dem Kasseler Regierungspräsidenten Walter Lübcke erschüttert ganz Deutschland. Mutmaßlicher Täter soll ein verurteilter Neonazi sein, der jüngsten Ermittlungen zufolge nicht allein handelte. Der 45-Jährige ist einschlägig vorbestraft, war Mitglied der NPD, saß wegen schwerer Körperverletzung im Gefängnis und griff in den Neunziger Jahren eine Asylunterkunft an. Die Ermordung Walter Lübckes ist die Tat eines Wahnsinnigen, eines Entglittenen.“
Sie weiß schon, dass es ein „Neonazi“ war, kein Mitläufer der AfD, kein von AfD-Sprüchen zur Tat verleiteter Sympathisant. Und natürlich muss er „wahnsinnig“ sein. Vielleicht stimmt das alles, aber auch solche Leute können anfällig für da sein, was über Jahre von prominenten AfD-Leuten zu hören war. Aber wer darauf hinweist, diffamiert, so Weidel, eine „fest auf dem Boden des Grundgesetzes stehende Bürgerpartei“:
„Statt pietätvoll Lübckes Familie Raum zur Trauer zu lassen und das Geschehen bis ins kleinste Detail lückenlos aufzuklären, verfallen die Altparteien in ihre üblichen Beißreflexe und versuchen den Mord in Verbindung mit der AfD zu bringen. Damit verunglimpfen sie nicht nur unsere fest auf dem Boden des Grundgesetzes stehende Bürgerpartei, die sich schon zur Gründung gegen Extremismus und Gewalt eindeutig positionierte, sondern man diffamiert zugleich Millionen unserer Wähler.“
Nicht wirklich lange ist es her, dass Alice Weidel mit dem Vorwurf konfrontiert wurde, sie habe sich in einer Mail 2013 so über die Bundesregierung geäußert:
„Diese Schweine sind nichts anderes als Marionetten der Siegermaechte des 2. WK und haben die Aufgabe, das dt Volk klein zu halten indem molekulare Buergerkriege in den Ballungszentren durch Ueberfremdung induziert werden sollen“
Das ist RAF-Sprache pur. Wenn die AfD es ernst damit meint, durch ihre Sprache nicht zu Gewalt beitragen zu wollen, sollte sie einmal innehalten und darüber nachdenken, ob sie wirklich gar keinen Anlass zur Selbstbesinnung hat, statt gleich wieder zurückzuschießen und Kritikern an ihrem Politikstil Diffamierung zu unterstellen. Weidels Aufforderung, „Abrüstung ist das Gebot der Stunde“, gilt das für die AfD-Frontleute selbst nicht? Sonst liegt die Vermutung nahe, dass der Mord an Walter Lübcke für die AfD nur ein politischer Spielball im immer gleichen Spiel ist: Die AfD ist das unschuldige Opfer von Kampagnen der Schweine und Marionetten der Siegermächte, die man eines Tages zur Rechenschaft ziehen muss und dann irgendwo in Anatolien entsorgt.
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