Auf gut 375 Mrd. Euro beliefen sich 2017 die Gesundheitsausgaben in Deutschland, auf die Krankenhäuser entfielen fast 95 Mrd. Euro. Mehr als 5,5 Millionen Menschen waren im gleichen Jahr im Gesundheitswesen tätig, davon 1,1 Mio. im Krankenhausbereich – mit 1.942 Krankenhäusern und 19,5 Mio. Behandlungsfällen.
Die Zahlen machen vielleicht etwas verständlicher, warum die aktuelle Bertelsmann-Studie „Zukunftsfähige Krankenhausversorgung“ mit ihrer Forderung nach einer drastischen Reduktion der Krankenhäuser gerade so einen Aufruhr verursacht. Bei den Krankenhäusern geht es um einen Wirtschaftssektor von ähnlicher volkswirtschaftlicher Bedeutung wie die Automobilindustrie.
Deutschland hat im internationalen Vergleich viele Krankenhäuser und vor allem viele kleine Krankenhäuser. Seit langem ist bekannt, dass bestimmte Leistungen nur bei guter Ausstattung der Häuser und entsprechend hohen Fallzahlen in guter Qualität erbracht werden können, teilweise gibt es auch schon vorgegebene Mindestmengen. Die Problematik ist z.B. im „Qualitätsmonitor“ des Wissenschaftlichen Instituts der Ortskrankenkassen wiederholt angesprochen worden. In kleinen, unzureichend ausgestatteten Krankenhäusern mit zu wenig Erfahrung bei bestimmten Eingriffen – von Hüftgelenksoperationen bis zur Herzinfarktversorgung – kommt es öfter zu Komplikationen, es sterben mehr Menschen als in den größeren Häusern. Der Berliner Gesundheitsökonom Reinhard Busse schätzt allein bei den Herzinfarkten die Zahl der vermeidbaren Sterbefälle auf 7.000 jährlich, hätte Deutschland eine Krankenhausstruktur wie Dänemark. Über solche Zahlen kann man nicht einfach hinweggehen.
Krankenhäuser werden aber nicht nur unter dem Aspekt der Versorgungsqualität betrachtet. Für die Krankenhausträger, zunehmend private Investoren, sind Krankenhäuser Wirtschaftsunternehmen, mit denen man – wenn man die Kosten unter Kontrolle hat – Gewinne machen kann. Für die Lokalpolitik ist das örtliche Krankenhaus manchmal einer der wenigen großen Arbeitgeber in der Region und die Bevölkerung sieht die reine Existenz eines Krankenhauses in der Nähe als Zeichen dafür, dass die eigene Region nicht ganz abgehängt ist. Hinzu kommt das Bedürfnis nach einer wohnortnahen Versorgung auch im stationären Bereich, zumal, wenn mancherorts auch die ambulante Versorgung ausgedünnt ist. Hier hat die Bertelsmann-Studie übrigens in einer Simulation für eine Region in Nordrhein-Westfalen gezeigt, dass sich die Fahrzeiten bei weniger Krankenhäusern für viele Leute wohl gar nicht so dramatisch verlängern würden. Dabei spielt auch eine Rolle, dass natürlich nicht alle kleinen Häuser im ländlichen Raum sind – im Gegenteil, viele finden sich in städtischen Regionen.
Was also tun? Ein Umbau der Krankenhausversorgung, wie ihn die Bertelsmann-Studie fordert, wäre eine gesundheitspolitische Großbaustelle. Man müsste parallel dazu auch die ambulante Versorgung umbauen, im ländlichen Raum deutlich ausbauen, man müsste alternative Nutzungen für die geschlossenen Krankenhäuser prüfen, z.B. als Gesundheitszentren, eine andere regionale Verfügbarkeit des Gesundheitspersonals organisieren und auch die Verkehrsinfrastruktur anpassen. Wer will sich das zumuten? Wo schon alleine das Gesundheitswesen ein Haifischbecken mit ausgesprochen mächtigen Lobbygruppen ist, und Lobbys sind der Fluch der Gesundheitspolitik – egal ob es um ein konsequentes Werbeverbot für Zigaretten geht, um die Feinstaubproblematik, oder die Zuckerreduktion. Daher sind wohl eher kleine Veränderungen realistisch, kein großer Umbau.
Zwar wird auch in Deutschland viel über “Health in all policies“ diskutiert, ein Konzept der Weltgesundheitsorganisation, das darauf hinweist, dass für mehr Gesundheit alle Politikbereiche besser zusammenwirken müssten und gesundheitliche Aspekte in allen Politikfeldern mehr Beachtung finden müssten. Ein Umbau der Krankenhauslandschaft mit seinen politikfeldübergreifenden Auswirkungen wäre ein lohnendes Vorhaben für „Health in all policies“. Aber das große Ganze wird meist eher gedacht als gemacht. Auch die 7.000 vermeidbaren Sterbefälle Busses sind eben nur statistische Größen – ohne Namen und Angehörige.
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