In unserer kleinen Seminarreihe „Testen gerne, aber richtig“ will ich noch einmal auf die Problematik der falsch positiven Testergebnisse eingehen. Ihr Anteil an allen positiven Testergebnissen hängt, wie gezeigt, auch bei guten Tests sehr stark von der Prävalenz der Infizierten ab. Die ist im Durchschnitt der Bevölkerung sehr gering, der Anteil der falsch positiven Tests an allen positiven Tests wäre bei bevölkerungsweiten Tests daher hoch.
Nehmen wir an, wir würden die ganze Bevölkerung testen, die Sensitivität läge wieder wie bei unserem letzten Beispiel bei 75 %, die Spezifität bei 99,5 %. Worldometers weist heute für Deutschland 7.718 aktive Fälle aus. Nehmen wir weiter an, die wahre Prävalenz wäre 5 mal so hoch. Dann hätten wir in Deutschland derzeit etwa 40.000 Infizierte. Nur 6,5 % der Menschen, die positiv getestet werden, sind unter diesen Annahmen tatsächlich infiziert. Das überrascht uns in Teil 5 unserer Reihe zum Testen nun nicht mehr. Auch die Vierfeldertafel, mit der sich die 6,5 % einfach errechnen lassen, können wir inzwischen im Schlaf hinschreiben, und wundern uns auch nicht mehr, wenn Zeilen- oder Spaltensummen durch das Aufrunden auf ganze Menschen nicht ganz stimmen.
Wenn man beim Testen quer Beet so viele falsch positive Befunde hat, sollte man sich gut überlegen, mit welchem Ziel man welche Gruppen testet. Auch das wurde schon mehrfach gesagt. Aber ich will heute auf etwas anderes hinaus: Bezogen auf die nichtinfizierte Bevölkerung beträgt die Falsch-Positiven-Rate nämlich gerade mal 0,5 %. In einschlägig beleumundeten Kreisen wird aber von 1,5 % oder 2 % gesprochen und behauptet, damit würde man jetzt schon im Bereich des statistischen Hintergrundrauschens testen, vielleicht gäbe es ja schon gar keine SARS-CoV-2-Fälle mehr. Es könnte sein, dass das Argument einen Pferdefuß mit Faktor 3 – 4 hat.
In dem Zusammenhang ist auch eine Grafik meiner Kolleg/innen interessant, die die Zahl der Laborproben in Bayern und – als schwarze Linie – die Positivenrate darstellt:
Diese Grafik dürfte es nicht geben, wenn die einschlägig beleumundeten Kreise mit ihren 1,5 % oder 2 % recht hätten – denn die Positivenrate liegt seit Tagen nahe an 1 %. Die Falsch-Positiven sind ein Teil davon, d.h. die Falsch-Positiven-Rate muss müsste bei gegebener Datenlage sogar noch etwas niedriger liegen. Richtig ist, dass – von den genannten Testgütekriterien ausgehend – der Anteil der Falsch-Positiven inzwischen wohl nicht mehr gering ist. Wie groß er unter den tatsächlich getesteten Personen ist, kann ich nicht beurteilen, weil sich die Testpopulation aus unterschiedlichen Gruppen (symptomatische Personen, Kontaktpersonen usw.) mit unterschiedlicher Prävalenz zusammensetzt. Darüber mögen sich klügere Leute den Kopf zerbrechen.
Nur am Rande, weil das eine andere Geschichte ist: Interessant an der Grafik ist auch der Verlauf der Testhäufigkeit. Während die Positivenrate zurückging, ist die Testhäufigkeit tendenziell auch nach Anfang April weiter gestiegen. Wer noch immer glaubt, die Zunahme der Infektionsfälle sei doch nur der Zunahme der Tests geschuldet gewesen, möge bitte erklären, warum dann die Zahl der Infektionsfälle seit Wochen so stark zurückgehen konnte, obwohl die Zahl der Tests eher gestiegen ist. Oder gilt das Argument Testhäufigkeit = Infektionshäufigkeit nur bergauf?
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Edit: Die Falsch-Positivenrate hatte ich zunächst zu gering angegeben – falsche Excelzelle erwischt. Ist korrigiert.
Edit 10.6.2020: Wenn der Wurm schon mal drin ist: Die Falsch-Positivenrate wird im korrekten epidemiologischen Sprachgebrauch nicht auf alle Getesteten, sondern auf die Nichtinfizierten bezogen. Numerisch macht das hier keinen Unterschied, aber ich streue noch etwas mehr Asche auf mein Haupt und habe “nichtinfizierte” vor “Bevölkerung” eingefügt und weiter unter ein “muss” durch ein “müsste bei gegebener Datenlage” ersetzt. Noch eine Kerbe mehr in meinem Fehlerholz.
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Zum Weiterlesen rund um Tests:
Übersicht bei Wikipedia zu Kennziffern rund um die Vierfeldertafel
Coronakrise: Testen von Menschen? Testen von Abwässern?
Stichwort „Number Needed to Screen“
Coronakrise: Sinnloses Testen, sinnlose Statistik, Sinn und Unsicherheit
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