Mit Wolfgang Wodargs Behauptungen zur Corona-Pandemie habe ich mich hier mehrfach beschäftigt. Manche sind einfach falsch. Ich halte auch seine Art, mit Daten umzugehen, für falsch, weil er einseitig nur das heranzieht, was seine Behauptungen stützt, seine Quellen nicht kritisch prüft und sogar Quellen heranzieht, bei denen man gar nicht weiß, wer sich dahinter verbirgt, wie z.B. bei einem Rubikon-Autor „Johannes Kreis“. Auch die Klage, die Wolfgang Wodarg gegen den Blog „Volksverpetzer“ anstrengt, finde ich mehr als grenzwertig.
Auf der anderen Seite stellen sich Fragen. Warum hat sich jemand wie Wolfgang Wodarg derart radikalisiert, warum geht er im Umgang mit Fragen rund um das Thema Corona so einseitig vor, warum nimmt er den „Mainstream“ nicht ernst und beklagt sich gleichzeitig, dessen Vertreter würden nicht mit ihm sprechen? Mich irritieren solche Entwicklungen, die mir zum ersten Mal beim Streit um die gesundheitlichen Folgen des Rauchens aufgefallen sind. Da hatte einer der bedeutendsten deutschen Technikphilosophen, der mitttlerweile verstorbene Günter Ropohl, den Boden der Tatsachen unter den Füßen verloren und, wie jetzt z.B. Wolfgang Wodarg, Daten nur noch als Munition in einem Feldzug zur Verteidigung seiner Position verwendet.
Dass wir alle gerne unsere Positionen verteidigen und nicht als unermüdliche Popperianer stets selbst als die größten Kritiker unserer Positionen auftreten, ist nicht überraschend. Schließlich haben wir einige Mühe darauf verwendet, unsere Positionen zu entwickeln und zu festigen. Sie sind uns nicht gleichgültig, wir sind alle kleine Rechthaber. Das gehört wohl zum Allzumenschlichen auch in wissenschaftlichen oder wissenschaftsnahen Diskursen. Aber man sollte sich davor hüten, den confirmation bias zum strategischen Prinzip zu machen, wenn man wissenschaftlich ernstgenommen werden möchte. Das kann nicht gutgehen, Wissenschaft funktioniert am Ende doch nur durch die Anerkennung guter Kritik.
Wenn sich nun jemand wie Wolfgang Wodarg auf den Kriegspfad zur Verteidigung seiner Wahrheiten begeben hat, macht dann eine öffentliche Diskussion mit ihm noch Sinn? Oder bietet man ihm nur eine Bühne, die seine Behauptungen auf Augenhöhe mit dem Stand der Wissenschaft erscheinen lässt? Mit dem Koch Hildmann kann man vermutlich nur noch in therapeutischen Settings sinnvolle Gespräche führen, aber gilt das auch für Wolfgang Wodarg? Günter Ropohl hatte ich seinerzeit in mehreren Artikeln kritisiert, mal sachlicher, mal polemischer. Für eine kurze Zeit hatte ich mit ihm auch einen E-Mail-Austausch. Das verlief schnell im Sande, weil er gar nicht hören wollte, was ich zu sagen hatte, er wusste ja, was wahr war. Hätte ich, wenn es angestanden wäre, mit ihm trotzdem öffentlich diskutieren sollen? Und wie wäre das zu beantworten, wenn es um einen Vertreter der Tabakindustrie ginge? Es gibt einen breiten Konsens in den Gesundheitswissenschaften, nicht mit Vertretern der Tabakindustrie zu diskutieren.
Ulrich Mansmann, Direktor des Instituts für medizinische Informationsverarbeitung, Biometrie und Epidemiologie an der LMU München, hat vor einiger Zeit probiert, mit Sucharit Bhakdi zu diskutieren. Man kann darüber streiten, ob es sich gelohnt hat und was dabei herausgekommen ist. Wenn solche Diskussionen das Ziel verfolgen, Leute wie Bhakdi in Form eines Fakten-Checks bloßzustellen oder gar zu bekehren, kann nichts dabei herauskommen. So einfach lassen sich Starrköpfe nicht überzeugen. Kann es trotzdem Sinn machen, mit ihnen zu diskutieren? Die Aufrufzahlen des DW-Gesprächs zwischen Mansmann und Wodarg, schon mehr als eine Million, belegen zumindest ein enormes öffentliches Interesse daran.
Nächste Woche steht ein Gespräch zwischen Wolfgang Wodarg und Ulrich Mansmann an, zu dem die studentische Initiative Theatron Logou an der Uni Witten/Herdecke eingeladen hat. Die Uni selbst distanziert sich jetzt von dieser Veranstaltung, allerdings mit einer kuriosen Begründung:
„Die studentische Initiative „Theatron Logou“ der Universität Witten/Herdecke plant eine öffentliche, netzbasierte Diskussion zur Corona-Krise zwischen Prof. Ulrich Mansmann und Dr. Wolfgang Wodarg. Die Universität Witten/Herdecke steht für einen offenen, reflektierten und wissenschaftsbasierten Diskurs. Sie distanziert sich jedoch von den Positionen von Dr. Wolfgang Wodarg – und somit von der Veranstaltung des Theatron Logou am 3.12.2020.“
Spiel nicht mit den Schmuddelkindern? Wenn man einen „offenen Diskurs“ nur mit denen führt, von deren Positionen man sich nicht distanziert, wird das Spektrum des Diskurses recht eng. In der Entspannungspolitik zu Zeiten des Kalten Krieges wäre man damit nicht weit gekommen. In so manchem Ehestreit auch nicht. Klar, es gibt Grenzen des Diskurses, aber wo verlaufen sie? Und wo stellt sich eher die Frage nach dem richtigen Diskussionsformat und dem richtigen Diskussionsziel?
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