Am Freitag vor einer Woche habe ich mit Michael Zander, einem Psychologen an der Hochschule Magdeburg-Stendal, und vielen klugen Mitdiskutanten über die Grauzonen zwischen Gesellschaftskritik und Verschwörungstheorien gesprochen. Ich habe mich dabei auf denialistische Argumentationsmuster konzentriert, Michael Zander auf sozialpsychologische Aspekte, unseren Artikeln in der Ausgabe 4/2020 von Forum Wissenschaft folgend. Meinen Artikel und meine Folien habe ich bei Researchgate eingestellt.
Das Gespräch fand als „Online-Salon“ statt. Der Nachteil bei der Sache: Man guckt die ganze Zeit in den heimischen Bildschirm. Der Vorteil: Es können auch Leute aus ferneren Regionen teilnehmen, die sonst wegen der Anfahrt nicht dabei gewesen wären. Außerdem fördert die Chat-Funktion der Videokonferenz-Systeme die aktive Beteiligung. Die Hemmschwelle, das Wort zu ergreifen, ist wohl geringer als „Live“ vor Publikum.
Teilgenommen haben, soweit erkennbar, vor allem Psycholog/innen – die Veranstalterin, die Gesellschaft für subjektwissenschaftliche Forschung, ist eine Vereinigung von Psycholog/innen. Und zwar solchen mit gesellschaftskritischem Anspruch.
Das Gespräch ging einmal querbeet durch die üblichen Themen, von QAnon bis zu den vieldiskutierten Stellungnahmen des EBM-Netzwerks zur Coronapolitik. Ein interessanter Punkt, der auch in den Blogdebatten hier und andernorts immer wiederkehrt, war die Frage des “richtigen“ Umgangs mit Querdenkern. Für Psycholog/innen vielleicht typisch, ging es dabei nicht zuletzt darum, wie man mit diesen Leuten „ins Gespräch“ kommen kann, statt sie aus dem gesellschaftlichen Diskurs auszuschließen. Wir hatten das hier auf Gesundheits-Check exemplarisch vor kurzem auch anhand der Frage, ob man mit Wolfgang Wodarg diskutieren darf und soll.
Ein Teilnehmer vertrat beispielsweise die Position, man müsse danach suchen, was das „gemeinsame Problem“ ist, und von da aus könne man dann auf Augenhöhe diskutieren und nach Lösungen Ausschau halten. Sehr schnell ist aber deutlich geworden, dass man verschiedene Ebenen auseinanderhalten muss:
• Die persönliche Ebene des Umgangs im Familien- und Freundeskreis
• Die therapeutische Ebene, z.B. wenn jemand nach Hilfe sucht, um sich aus obskurantistischen Milieus zu lösen
• Die wissenschaftliche Ebene im Streit darum, welche Position mehr begründet ist, welche weniger
• Die Ebene der politisch-medialen Auseinandersetzung
Auf jeder dieser Ebenen gelten unterschiedliche Regeln. Auf der wissenschaftlichen Ebene kann man naheliegenderweise nicht Meinungen unabhängig von der Datenlage als „gleichberechtigt“ akzeptieren. Etwas wird nicht dadurch wahrer, dass der oder die Andere nett ist oder dass politische Entscheidungen im Idealfall demokratisch getroffen werden. Auf der persönlichen Ebene muss man dagegen mitunter auf die kompromisslose Durchsetzung von Wahrheitsansprüchen verzichten, wenn man eine Beziehung nicht abbrechen will, egal wie recht man hat oder zu haben glaubt. Das kann man auch in jedem Ehestreit lernen. Und wenn jemand selbst nicht darunter leidet, in Sachen Corona nicht ganz richtig zu ticken, kann man ihm nicht mit einem therapeutischen Anspruch begegnen. Therapie muss gewollt sein. Man darf zwar denken, dass der Andere ein „echtes Problem“ hat, aber man kann es ihm nicht als therapiebedürftig gegen seinen Willen an die Backe nähen. Politische Psychiatrie ist bekanntlich ein heikles Unterfangen.
So ging es zwei Stunden munter hin und her. Trotzdem finde ich Live-Veranstaltungen schöner. Da kann man als Vortragender im Publikum hin- und hergehen, einzelne Personen ansprechen, und am Ende vielleicht noch bei einem Glas Johannisbeersaft zusammensitzen und auch etwas persönlicher ins Gespräch kommen. Aber das ist vielleicht auch eine Altersfrage.
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