Etwa 70.000 Tote verzeichnet das RKI bis jetzt im Zusammenhang mit der Coronakrise. Bei den Covid-19-Sterbefällen handelt es sich bekanntlich überwiegend um alte und vorerkrankte Menschen. Der Altersmedian der vom RKI dokumentierten Sterbefälle lag mit Stand 23.2.2021 bei 84 Jahren.
In der Todesursachenstatistik wird das Medianalter der Sterbefälle nicht ausgewiesen, nur das mittlere Sterbealter. Es liegt bei vielen Todesursachen nicht allzu weit weg vom Median, bei Covid-19 sollte es etwas unter dem Median liegen. Das ist hier aber nicht weiter relevant.
Das mittlere Sterbealter über alle Todesursachen hinweg lag in Deutschland 2018 bei 78,4 Jahren. In diesem Alter ist die Mehrheit der Menschen multimorbid. Das heißt, nicht nur die im hohen Alter an oder mit Corona Gestorbenen haben zumeist Vorerkrankungen, sondern die meisten im hohen Alter Gestorbenen. Für die Altersgruppe 85 Jahre und mehr fallen übrigens jährlich über 40 Mrd. Euro direkte Krankheitskosten an. Gottseidank verkneifen sich die meisten Leute bisher die Frage, ob sich das bei diesen Menschen noch lohnt, weil sie vielleicht nur noch ein paar Monate zu leben haben – je kränker desto kürzer. Was „lohnt sich“ schon noch bei alten Menschen? Und was ist das für überhaupt für eine Frage? Eine ökonomische? Eine politische? Eine ethische?
Fast die Hälfte aller Sterbefälle in Deutschland wird durch Herz-Kreislauferkrankungen verursacht, mittleres Sterbealter 82,5 Jahre. Es gibt eine ganze Reihe von Krankheiten, die – im Durchschnitt – erst im hohen Alter zum Tod führen, logisch, sonst würden wir im Durchschnitt früher sterben. Infektiöse Darmerkrankungen etwa, darunter die in Pflegeheimen gefürchteten Noroviren, und andere. Leichte wie schwere Krankheiten. Das mittlere Sterbealter liegt dabei mitunter auch über der Lebenserwartung, was natürlich nicht heißt, dass z.B. Demenz das Leben verlängert. Covid-19 auch nicht.
Zahlensalat? Genau, Zahlensalat. Aber bei Covid-19 wird er gerne aufgetischt. Mit den „paar Monaten“ sollte man trotzdem vorsichtig sein. Vor kurzem hat das RKI eine Vergleichsrechnung für die internationale Burden of Disease-Studie vorgenommen und kam, wie andere Studien vorher, zu dem Befund, dass bei den Sterbefällen infolge von Covid-19 etwa 10 Lebensjahre verloren gingen, verglichen mit der Restlebenserwartung (“ferneren Lebenserwartung”) zum Zeitpunkt des Todes. Trotz des hohen mittleren Sterbealters.
Nun sind die Covid-19-Toten sicher keine „durchschnittlichen Alten“. Schon gar nicht jene Hälfte der Covid-19-Toten, die zuletzt im Pflegeheim gelebt hat, wenngleich auch das keine homogen todkranke Gruppe ist. Insofern überschätzt die Differenz zwischen dem Sterbealter der Covid-19-Toten und der ferneren Lebenserwartung (der das Sterbegeschehen aller alter Menschen zugrundeliegt) die durch Covid-19 tatsächlich verlorenen Lebensjahre. Aber die älteren Covid-19-Patienten sind auch keine vom Rest der Älteren völlig verschiedenen Exoten. Wie gesagt, im Alter über 80 ist die Mehrheit multimorbid. Zudem geht auch das frühere Versterben der überdurchschnittlich Kranken in die fernere Lebenserwartung ein, also in den von den Covid-19-Verstorbenen nicht erreichten Referenzwert. Die fernere Lebenserwartung berechnet sich nicht anhand einer kleinen Gruppe ungewöhnlich gesunder Menschen. Auch ein Teil der an Herzinfarkt, Krebs oder COPD Verstorbenen hätte die fernere Lebenserwartung der jeweiligen Altersgruppe nicht ausgeschöpft. Vor allem die nicht mit anderen Vorerkrankungen.
Die Epidemiologie wird uns dazu noch mit vielen Zahlen beglücken. Aber vielleicht sollten wir lieber alle etwas mehr darüber nachdenken, was uns ein paar Monate, ein paar Jahre Leben bedeuten, was wir in dieser Zeit erleben wollen, mit anderen Menschen gemeinsam tun wollen. Man kann auch ein langes Leben sinnlos verbringen. Es ist deswegen übrigens nicht weniger wert.
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