Neben all dem Durcheinander beim Zählen, Impfen, Testen, Lockern und Schließen, das wir derzeit erleben, manches unvermeidlich, manches schlechtes Handwerk, hat die „Maskenaffäre“ die Medien in den letzten Tagen beschäftigt. Endlich mal ein Skandal, bei dem es Namen gibt: Nüßlein, Sauter, Löbel. Fürs erste. Ein paar hunderttausend Euro Nebeneinkünfte, vielleicht auch etwas mehr, sollen über die gut geschmierten parteipolitischen Verbindungen generiert worden sein. Aber in den gegenwärtigen Zeiten wird nicht jede Form von Geschäftstüchtigkeit auch nichtmonetär honoriert.
Interessant ist, wie die Politik versucht, die Indexfälle zu isolieren, bevor das Misstrauen des Wahlvolks das System weiter infiziert. Natürlich gilt zunächst einmal die Einzeltäterthese. Es sind „Einzelfälle“. Ganz numerisch betrachtet, stimmt das. Das wurde sogar empirisch überprüft und ist somit für jeden transparent durch die von der Unionsfraktion eingeforderte schriftliche Selbstauskunft ihrer Mitglieder, ob sie oder ob sie nicht. Und wer möchte schon wegen der einzelnen schwarzen Schafe alle engagierten Abgeordneten und Ministerialen in Misskredit bringen? Selbst die SPD warnt „vor einem Generalverdacht gegen Abgeordnete“. Das wäre wirklich nicht fair. Unter der Hand sind damit auch die strukturellen Voraussetzungen, die die Maskengeschäfte begünstigt haben, aus der Schusslinie. Damit da auch garantiert nichts zurückbleibt, verlassen die schwarzen Schafe den Rest der Schwarzen: Der Parteiaustritt stellt der Öffentlichkeit eine Brandmauer der sauberen Trennung vor die Nase. Ob’s nur eine Kulisse ist, wer weiß. Jedenfalls eine wirksame Abstandsregelung.
Eine andere Formel, in ihrer systemimmunisierenden Nebenwirkung weniger durchsichtig, ist die „Gefahr für die Demokratie“. Die drei findigen Geschäftsleute bedrohen das Vertrauen „in die Demokratie“. So heißt es parteiübergreifend. Das mag durchaus sein. Aber in manchen Ohren mag es auch besser klingen als dass sie das Vertrauen in die Parteien bedrohen, oder gar das in die Union, oder in die CDU oder CSU. Auch die „Gefahr für die Demokratie“ kann zur Maskerade werden. Aber vielleicht traut man den Bürger/innen auch nur nicht zu, zwischen Parteienfilz und Demokratie unterscheiden zu können. Man muss uns ja auch sonst alles wie kleinen Kindern erklären.
In den Medienberichten fehlt natürlich kaum einmal der Hinweis, dass die strafrechtliche Würdigung der Geschichte noch offen ist. Auch das stimmt. Und unweigerlich geht damit ein leises Gefühl einher, dass es noch Schlimmeres gibt, nämlich da, wo eindeutig und klar gegen Gesetze verstoßen wurde. Obwohl es diesmal kein Entkommen von Senecas Diktum gibt. Was das Gesetz nicht verbietet, verbietet der Anstand. Franz Josef Strauß, das moralische Vorbild der CSU, hätte es natürlich auf Latein gesagt: „Quod non vetat lex, hoc vetat fieri pudor“, auf bairisch in etwa „Hund sans scho“. Letztlich muss die Politik aber vor den Ergebnissen staatsanwaltschaftlicher Ermittlungen keine Angst haben. Da geht es um die individuelle Schuld, Ermittlungen nach § 129 StGB sind eher nicht zu befürchten, es geht ja, siehe oben, um Einzeltäter.
Wenig verwunderlich ist, dass die SPD mindestens den gleichen Furor der Aufklärung an den Tag legt wie die Union. Schließlich ist Wahlkampf. Allerdings müsste man dem SPD-Abgeordneten Dirk Wiese die Sache noch mal erklären. „Das ist System“, meinte er, es gehe nicht um Einzelfälle. Eine gefährliche These. Aber was könnte besser davon ablenken, dass Olaf Scholz irgendwie den Geruch der Skandale um CumEx-Deals und die Warburg-Bank oder Aufsichtsmängel bei Wirecard nicht los wird, als der Gestank der Maskengeschäfte. Und wenn die Union mit ihrem erneuten Willen zur brutalstmöglichen Aufklärung dabei unfreiwillig Schützenhilfe leisten muss, umso besser.
Ach, bevor ich’s vergesse. Für die Grünen ist es natürlich ebenfalls ein „strukturelles Problem“ der Union. Dass es dafür keine moralischen Bonusmeilen auf einem künftigen gemeinsamen Regierungsweg gibt, wollte allerdings selbst Cem Özdemir nicht sagen.
System versus Einzelfälle – so ganz sicher ist sich die Union wohl auch nicht. Wer weiß, ob sich die Skandalemotionalisierung rechtzeitig bis zur Bundestagswahl allein dadurch beruhigt, dass die Einzelfälle von der Bildfläche verschwinden. Also lieber eine Erneuerung „an Haupt und Gliedern“, wie sie einst Martin Luther angesichts des Ablasshandels der Kirche gefordert hat? Die hat Markus Söder heute in der Pressekonferenz zum Maskenhandel zumindest für die CSU angekündigt. Laschet überlegt vermutlich noch. Es reiche nicht, so Söder, nur Einzelfälle anzusprechen. Künftig sei „volle Transparenz“ gefragt und neue Abgeordnete müssten eine „Integritätserklärung“ unterschreiben. Einerseits sind Sauberkeit, Recht und Ordnung durchaus anschlussfähig an den konservativen Wertekanon, andererseits könnten damit doch schwere Zeiten auf manch junge Talente zukommen.
Oder die Geschichte wird wie so vieles vorher einfach wieder vergessen. Mal sehen. Und eigentlich gibt es ja auch wirklich Wichtigeres.
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