In der Coronakrise haben in manchen Ländern Autokraten die Gelegenheit genutzt, Bürgerrechte weiter einzuschränken, Medien noch mehr zu gängeln oder die Wissenschaft zu diskreditieren. In Deutschland gab es keinen “großen Plan“ zur Entrechtung und Entmündigung der Menschen, wie es ein gängiges Narrativ der Querdenker immer wieder suggeriert, auch wenn unsere Politiker/innen gewiss keine Engel sind.
Ich nehme praktisch allen Politiker/innen ab, selbst der Taskforce horribilis, dass sie im Zusammenhang mit der Pandemie primär ihre Sache gut machen wollten. Dass sie darüber zugleich auch ihre Hahnenkämpfe und Eitelkeiten ausgetragen haben oder ihre alten Lieblingsprojekte weitergetrieben, ist ebenso wahr und das wurde in den Medien auch nicht verschwiegen. Und natürlich wurde die Politik in der Coronakrise von unguten Entwicklungen aus früheren Jahren eingeholt, nicht zuletzt den Folgen neoliberaler Gesundheitspolitik, ebenso wie in der Coronapolitik selbst schwere Fehler gemacht wurden. Auch darüber wurde bereits viel geschrieben und mit Blick auf die Zukunft muss darüber noch viel mehr diskutiert und geschrieben werden. Sich einfach nach der Krise „viel zu verzeihen“, wie es Jens Spahn einmal formulierte, wäre keine gute politische Aufarbeitung der Krise.
Die Querdenker leisten zu alldem keinen hilfreichen Beitrag. Sie spalten die Gesellschaft, schüren unnötige Verunsicherung und stellen coronapolitisch die falschen Fragen. Zur Veranschaulichung dazu – exemplarisch – zwei Listen:
10 Fragen, mit denen man sich weniger beschäftigen könnte:
• Zeigt der PCR-Test aktive Infektionen an oder nur Virenbruchstücke?
• Gäbe es ohne Test keine Coronakrise?
• Wie viele Menschen genau sind mit und an Corona gestorben?
• Ist Corona nur für alte Menschen gefährlich?
• Ist John Ioannidis ein besserer Wissenschaftler als Christian Drosten?
• Hat Karl Lauterbach zu viel gewarnt?
• Verhindert die Politik, dass Coronatote obduziert werden?
• Hat die Regierung in der Krise Intensivbetten abgebaut, um alles schlimmer aussehen zu lassen?
• Verheimlicht die Regierung Nebenwirkungen der Impfung und sterben gar durch die Impfung massenhaft Menschen?
• Will uns die Regierung gemeinsam mit Bill Gates und George Soros versklaven?
10 Fragen, mit denen man sich mehr beschäftigen müsste:
• Welche Weichen wurden in der Vergangenheit in der Pflege falsch gestellt, was folgt daraus?
• Warum ist es nicht gelungen, die Heime besser auf die zweite Welle im Herbst 2020 vorzubereiten?
• Wie hätte man Kitas, Schulen und Hochschulen besser durch die Krise bringen können, wie die Kultur und wie die Gastronomie?
• Wie hätte man den Spagat zwischen unbürokratischer Krisenreaktion und Kontrollverlust bei der Beschaffung von Masken und Tests besser hinkriegen können?
• Wie sollte die Krankenhauslandschaft der Zukunft aussehen, um zu einer möglichst guten Allokation der Ressourcen für unterschiedliche Behandlungsbedarfe zu kommen?
• Muss der Staat als Instanz des Gemeinwohls wieder aktiver im Gesundheitswesen werden, von der Gesamtsteuerung über die Ausstattung der Gesundheitsämter bis hin zur Krankenhausfinanzierung?
• Wie soll die Public Health-Forschung ausgebaut werden, um künftig bessere Evidenz für neue Gesundheitsrisiken zu haben?
• Wie sollte das Infektionsschutzrecht weiterentwickelt werden, auch mit Blick auf die Wahrung demokratischer Mitsprache in den „Zeiten der Exekutive“?
• Wie könnte eine bessere Risikokommunikation im Krisenfall aussehen, wie mehr Risikokompetenz in der Gesellschaft entwickelt werden?
• Wie könnte eine gute Ausbalancierung zwischen Public Health-Zielen auf Bevölkerungsebene (z.B. hohen Impfquoten) und der Förderung einer informierten Entscheidung auf individueller Ebene (z.B. beim Impfen) aussehen?
All diese Fragen sind hochkomplex und nicht einfach mal so zu beantworten. Aber es wäre schon viel gewonnen, wenn sich die öffentliche Aufmerksamkeit mehr in der unteren Liste bewegen würde als im oberen Teil. Die Querdenker wollen die öffentliche Aufmerksamkeit im oberen Teil festhalten. Das ist weder eine gute Strategie für ihre Partei „Die Basis“ noch ist es hilfreich für die Diskussion um Lehren aus Corona. Auch Fehler der Coronapolitik lassen sich damit nicht identifizieren. Die Querdenker lenken von den relevanten Fragen ab und agieren letztlich auch dort, wo die Politik vielleicht wirklich versagt hat, als die nützlichen Idioten derer, die darüber lieber nicht so viel reden wollen.
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