Heute hat die ARD-Sendung Panorama die Rolle der STIKO und der Politik bei der Pandemiebekämpfung aufgegriffen. Panorama hat einen erschütternd erschöpften STIKO-Chef Mertens vorgeführt, als Kronzeugen einer für die Pandemie zu langsamen Entscheidungsfindung. Das war kein guter Journalismus. Immerhin: Der Beitrag ließ auch durchklingen, dass es gar nicht Aufgabe der STIKO ist, mit mutigen politischen Entscheidungen die Pandemie zu bekämpfen. Das ist Aufgabe der Politik. Die STIKO soll langsam und gründlich eine medizinische Abwägung von Nutzen und Risiken einer Impfung für Individuen und die Bevölkerung vornehmen. Was sie empfiehlt, gilt anschließend als „medizinischer Standard“, auch vor Gericht. Die STIKO ist keine Katastrophenschutz-Einrichtung. Sie ist auch keine politische Kampagnenagentur.
Die Politik muss bei der Pandemiebekämpfung nicht auf Entscheidungen der STIKO warten. Öffentliche Impfempfehlungen, für die nicht nur medizinische Gründe eine Rolle spielen, sprechen in Deutschland die Länder aus, und auch weitergehende gesetzliche Regelungen wie eine Impfpflicht sind politische Angelegenheiten. Aber die Politik hat nur zu gerne auf die STIKO gewartet, ein Paradebeispiel der Epistemisierung des Politischen, die vor kurzem hier thematisiert wurde.
Natürlich haben ausstehende Impfempfehlungen der STIKO eine öffentliche Wirkung. Dass die STIKO etwas nicht empfiehlt, kann verunsichern. Umso wichtiger wäre es gewesen, die Rolle der STIKO in der öffentlichen Kommunikation unmissverständlich klar zu machen und zu betonen, dass es gute Gründe gibt, zur Pandemiebekämpfung unabhängig von einer STIKO-Empfehlung jetzt dies oder jenes zu tun. Bayern hat das z.B. bei der Verkürzung der Wartezeit für eine Auffrischimpfung auf 5 Monate getan und die Haftung dafür übernommen. Eine Ausnahme. Ansonsten hat die Politik lieber Druck auf die STIKO ausgeübt, möglichst schnell Empfehlungen auszusprechen, die pandemietauglich sind. Sie wollte ihre eigenen sanften Instrumente, die öffentlichen Impfempfehlungen, dahinter verstecken. Und um ihre harten Instrumente, Impfpflichten, gab es einen unschönen Eiertanz. Nachdem man lange – aus nachvollziehbaren Gründen – eine Impfpflicht kategorisch ausgeschlossen hatte, war eine Kehrtwende keine einfache Kür der politischen Kommunikation. Aber siehe da, Augen zu und durch, es ging, jetzt bereitet die Ampelkoalition in Windeseile eine einrichtungsbezogene Impfpflicht vor und der designierte Bundeskanzler Scholz stellt schon die Weichen in Richtung einer allgemeinen Impfpflicht. Das geschieht allerdings unter dem Eindruck der aktuellen Infektionszahlen, auf die eine allgemeine Impfpflicht keinen Einfluss mehr haben wird. Mögen darüber nicht gute Maßnahmen zur Steigerung der Impfungen jetzt, z.B. Haustür-zu-Haustür-Ansprachen, Impfpunkte vor Einkaufszentren, Kirchen oder Fußballstadien oder Impfabende der Bauern- und Landfrauenvereine in Süddeutschland, ins Abseits geraten, weil sie nur mit viel Aufwand und nicht konfliktfrei zu organisieren sind. Kommunikation findet auch im 21. Jahrhundert nicht nur in den social media statt.
Auffällig ist auch, dass im Straßenbild deutscher Kommunen praktisch keine Impfkampagnen zu sehen sind, keine Mach-mit-Plakate der BZgA, keine Impfwerbung auf Bussen, keine kleinräumige Ausschilderung des Wegs zum nächsten Impfzentrum, nichts. Nicht, dass das Gamechanger wären, aber es würde einen – wie auch immer zu quantifizierenden – öffentlich sichtbaren Beitrag dazu leisten, was als gesellschaftlich notwendig angesehen wird. Schließlich geht es um die Bewältigung einer „Jahrhundertkrise“, wie die Politik es einmal formuliert hat.
Und wenn man dann der STIKO trotzdem unter die Arme greifen will, kann man die wissenschaftlichen Ressourcen, auf die sie beim RKI zugreifen kann, stärken, aber bitte nicht, um damit die Epistemisierung des Politischen weiter zu befördern. Vor diesem Hintergrund sollen die STIKO-Mitglieder auch nicht Beamte einer politisch weisungsabhängigen Behörde werden, wie es der immer wieder zu hörende Hinweis auf die Ehrenamtlichkeit der STIKO-Miglieder nahelegt, auch in der Panorama-Sendung heute. Für das Verhältnis zwischen Wissenschaft und Politik gilt es manche Lehren aus der Pandemie zu ziehen, in vielerlei Hinsicht.
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