Wenn Sie das „Bundesinstitut für öffentliche Gesundheit“ nicht kennen, könnte es daran liegen, dass es dieses Institut noch nicht gibt. Es soll erst errichtet werden. Im Koalitionsvertrag der Ampel heißt es:
„Die Bundeszentrale für gesundheitliche Aufklärung geht in einem Bundesinstitut für öffentliche Gesundheit am Bundesministerium für Gesundheit auf, in dem die Aktivitäten im Public-Health Bereich, die Vernetzung des ÖGD und die Gesundheitskommunikation des Bundes angesiedelt sind.“
Dieser Passus gehört zu den Lehren, die man meint, aus der Coronakrise ziehen zu müssen. Leider zeigen die Statements, die man zu diesem Bundesinstitut hört oder liest, vor allem eines: Es ist unklar, was das Bundesinstitut sein soll. Dazu im Folgenden kurz ein paar Aspekte aus der Diskussionslandschaft.
Bundesgesundheitsamt 2.0
Diese Idee wurde verschiedentlich vor den Koalitionsverhandlungen ventiliert. Es war die Reaktion auf wahrgenommene Koordinationsprobleme beim Pandemiemanagement.
Das Bundesgesundheitsamt war eine Behörde, die sich historisch überlebt hatte und nicht mehr steuerbar war, was eine Reihe von Skandalen hervorbrachte. 1994 wurde es im Zusammenhang mit HIV-verseuchten Blutprodukten aufgelöst. Die Aufgaben des alten Bundesgesundheitsamtes werden heute vom Robert Koch-Institut, dem Bundesinstitut für Arzneimittel und Medizinprodukte, dem Bundesinstitut für Risikoforschung, dem Bundesamt für Verbraucherschutz und Lebensmittelsicherheit, dem Bundesamt für Strahlenschutz, dem Friedrich Löffler-Institut und z.T. dem Umweltbundesamt wahrgenommen. Nur ein Teil dieser Behörden gehört zum Geschäftsbereich des Bundesgesundheitsministeriums.
Daneben gibt es noch das Paul-Ehrlich-Institut, die Bundeszentrale für gesundheitliche Aufklärung, das Bundesamt für soziale Sicherung, das dem Bundesgesundheitsministerium und dem Bundesozialministerium nachgeordnet ist, sowie diverse Bundesbehörden mit Public Health-Aufgaben in den Geschäftsbereichen anderer Ministerien, z.B. die Bundesanstalt für Arbeitsschutz und Arbeitsmedizin oder Teile der für das Verkehrswesen zuständigen Bundesbehörden.
Wer ein Bundesgesundheitsamt 2.0 aufbauen will, bräuchte zunächst ein gutes Konzept, welche Aufgaben dort gebündelt werden sollten und warum das besser unter einem Behördendach als unter getrennten wäre. In der kurzen und schnell wieder beendeten Diskussion um das Bundesgesundheitsamt 2.0. gab es auch einmal die nicht nur ordnungspolitisch verwegene Idee, den Gemeinsamen Bundesausschuss, der die Leistungen der gesetzlichen Krankenversicherung steuert, einer solchen Mammutbehörde zu unterstellen. Schwamm drüber.
BZgA neu
Die Überführung der BZgA in ein neues Gewand steht jetzt im Koalitionsvertrag. Es ist vor allem die Reaktion auf wahrgenommene Kommunikationsprobleme in der Coronakrise. Unstrittig ist, dass die BZgA in der Coronakrise kaum in Erscheinung trat. Die Gründe dafür seien dahingestellt. Verbesserungspotential gibt es sicher.
Das Ziel einer besseren Gesundheitskommunikation wird bei der Umstrukturierung der BZgA damit verbunden, dass dort auch die „die Aktivitäten im Public-Health Bereich“ sowie „die Vernetzung des ÖGD“ angesiedelt werden sollen. Das sind, siehe oben, Reaktionen auf wahrgenommene Koordinationsprobleme in der Krise. Aber was mit „den Aktivitäten im Public-Health Bereich“ gemeint ist, man beachte den bestimmten Artikel, ist reichlich unklar. Hier wurde offensichtlich nur ein Platzhalter in den Koalitionsvertrag gestellt. Es stellen sich sofort die gleichen Fragen wie beim Bundesgesundheitsamt 2.0. Will man dort z.B. auch den gesundheitlichen Verbraucherschutz ansiedeln, oder den Arbeitsschutz, oder die Verkehrssicherheit? Das sind ganz elementare Public Health-Bereiche. Oder soll es nur um die Public Health-Bereiche gehen, die unmittelbar in den Zuständigkeitsbereich des Bundesgesundheitsministeriums fallen? Das wiederum wäre eine massive Verstümmelung des Public Health-Ansatzes, der im Kern auf „Health in all Policies“ abzielt – was im Grunde statt einer BZgA 2.0 das Bundeskanzleramt in die Pflicht nehmen müsste.
Sinnvoll wäre eine politisch unterstützte Public Health-Strategie für Deutschland, und dann das Nachdenken darüber, wie man eine solche Strategie organisatorisch unterstützen sollte, und dann das Nachdenken darüber, welche Rolle ein Bundesinstitut dabei spielen kann. Von hinten anzufangen, ist vielleicht nur die zweitklügste Idee.
Ebenso unklar ist, was es mit der „Vernetzung des ÖGD“ auf sich hat. Der öffentliche Gesundheitsdienst ist in Deutschland zunächst einmal Ländersache. Das Gesetz zur Vereinheitlichung des Gesundheitswesens von 1934 ist in Deutschland aufgehoben. 15 Gesundheitsdienstgesetze der Länder und in Thüringen eine Rechtsverordnung regeln den Aufbau des ÖGD. Zwischen den Gesundheitsämtern gibt es erhebliche Unterschiede bei den Aufgaben, der Ausstattung und im Selbstverständnis. Einen Orientierungsrahmen hat die Gesundheitsministerkonferenz 2018 mit einem neuen, Public Health-orientierten Leitbild verabschiedet. Das könnte man in der Tat mit etwas mehr Leben versehen. Der in der Coronakrise auf den Weg gebrachte „Pakt für den ÖGD“ mit einem Finanzvolumen von 4 Mrd. Euro könnte dabei helfen.
Aber was ist dabei die Rolle eines „Bundesinstituts für öffentliche Gesundheit“? Soll hier ÖGD-bezogene Forschung stattfinden? Sollen hier gemeinsame Handlungsleitlinien erarbeitet werden? Soll hier eine zentrale Aus- und Fortbildungsstätte entstehen, die die ÖGD-Akademien ablöst? Die beiden wichtigsten sind die Akademie für Öffentliches Gesundheitswesen in Düsseldorf und die Akademie für Gesundheit und Lebensmittelsicherheit in München. Und woher soll das Personal für solche Aufgaben kommen? Man weiß es nicht.
BZgA und RKI
Der eingangs zitierte Absatz aus dem Koalitionsvertrag geht noch einen Satz weiter: „Das RKI soll in seiner wissenschaftlichen Arbeit weisungsungebunden sein.“
Auf welches Problem damit reagiert wird, weiß ich nicht. Würde es Sinn machen, das RKI aus der Fachaufsicht des BMG zu lösen? Würde das nicht die Koordinationsprobleme im Falle einer Epidemie noch vergrößern? Oder zielt der Satz auf eine Abspaltung von Wissenschafts- und Vollzugsfunktionen im RKI ab? Weiter: Was bedeutet das im Zusammenhang mit dem Bundesinstitut für öffentliche Gesundheit? Dessen Arbeit soll demnach nicht weisungsungebunden sein. Es soll ja explizit ein Bundesinstitut „am Bundesministerium für Gesundheit“ sein. Man hört immer wieder, dass auch dort bestimmte Forschungsaufgaben angesiedelt werden sollen, zum Beispiel was die Evidenz und Evaluation von Maßnahmen angeht. Bei politisch beauftragten Maßnahmen bringt eine Selbstevaluation nicht immer den größten Erkenntnisgewinn.
Bundesbehörden nehmen, wenn sie forschen, in der Regel Aufgaben als Ressortforschungseinrichtungen wahr. Sie sollen dann wissenschaftlich arbeiten, aber im Unterschied zu Universitäten z.B. bei den Themen weisungsgebunden. Gut, über die Drittmittelzügel arbeiten Universitäten auch nur noch bedingt unabhängig, aber das ist eine andere Geschichte. Wie also ist das Dreieck Wissenschaft-Politik-Ressortforschung auszugestalten, wie das Verhältnis zur universitären Forschung, und wie fügen sich hier das neue Bundesinstitut und ein „weisungsungebundenes“ RKI ein?
Viele Fragen, hoffentlich gibt es auch Antworten, die die Probleme lösen und nicht nur eine neue Behörde schaffen. Institutionen sollen schließlich effiziente Abläufe organisatorisch stabilisieren und kein Selbstzweck sein. A propos: Warum gibt es eigentlich kein Bundesamt für Pflege?
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