Bauprojekt BIPAM

Am 4. Oktober hatte das Bundesgesundheitsministerium seine Eckpunkte für ein Bundesinstitut für öffentliche Gesundheit vorgestellt. Unter dem etwas sperrigen und wenig zukunftszugewandten Namen „Bundesinstitut für Prävention und Aufklärung in der Medizin“ (BIPAM) soll es zum 1.1.2025 an den Start gehen.

In der Fachöffentlichkeit sind die Eckpunkte des BMG überwiegend ungnädig aufgenommen worden, einer kritischen Stellungnahme folgte die nächste. Gestern hat nun auch das Zukunftsforum Public Health eine Stellungnahme zusammen mit 17 anderen Organisationen veröffentlicht, darunter die wichtigsten Public Health-Fachgesellschaften in Deutschland. Der Tenor dieser konzertierten Aktion der Public Health-Community folgt im Wesentlichen den bereits vorliegenden Stellungnahmen, begründet die Kritik aber etwas ausführlicher.

Man wird sehen, was davon noch Eingang in das Gesetzesvorhaben findet. Das BMG arbeitet mit Hochdruck an der Vorlage eines Gesetzentwurfs. Bisher kursiert nur ein Referentenentwurf, sozusagen ein erster verwaltungsinterner Aufschlag, der sicher noch verändert wird.

Referentenentwurf

Dieser Entwurf folgt in der grundsätzlichen Ausrichtung den Eckpunkten des BMG vom 4. Oktober. Allerdings ist er inhaltlich recht offen angelegt, so dass durchaus Spielräume für eine Berücksichtigung der Anliegen der Fachgesellschaften bestehen.

Im Einleitungsabschnitt heißt es:

„Ein wesentlicher Schwerpunkt der Arbeit des Bundesinstituts liegt auf der Prävention und der Bekämpfung der nicht übertragbaren Erkrankungen und der Unterstützung einer gesundheitsförderlichen Gesamtpolitik auf Bundesebene (Gesundheit in allen Politikbereichen – „Health in all Policies“). Dieser bringt erstmalig auf Bundesebene wissenschaftliche und zielgruppenspezifische Erkenntnisse sowie deren begleitender Kommunikation und Evaluation unter einem Dach zusammen.“

§ 2 konkretisiert dies wie folgt:

“Das Bundesinstitut nimmt folgende Aufgaben wahr und unterstützt das Bundesministerium für Gesundheit insbesondere bei der

o Stärkung der Prävention, insbesondere von nicht übertragbaren Erkrankungen, der Gesundheitsförderung und der Gesundheitskompetenz in der Bevölkerung,
o Stärkung der Öffentlichen Gesundheit durch Kooperation und Vernetzung mit nationalen und internationalen Akteuren der Öffentlichen Gesundheit,
o Unterstützung der evidenzbasierten, zielgruppenspezifischen Gesundheits-, Risiko und Krisenkommunikation im Zuständigkeitsbereich des Bundesministeriums für Gesundheit und Information und Aufklärung der Öffentlichkeit über nicht übertragbare und übertragbare Krankheiten,
o Erhebung, Konsolidierung, Integration, Bereitstellung und Analyse von Daten mit Relevanz für die Öffentliche Gesundheit, die Gesundheitsberichterstattung, die Evidenzgenerierung, die frühzeitige Identifikation gesundheitlicher Bedarfe, die Entwicklung und Evaluation von Maßnahmen, o wissenschaftlichen Forschung und Zusammenarbeit mit Institutionen auf europäischer und internationaler Ebene,
o Unterstützung bei der Entwicklung von Leitlinien und Standardvorgehensweisen.“

Health in all Policies

Das eröffnet Möglichkeiten, um beim Aufbau des BIPAM über einige der rückwärtsgewandten Stellen, die im Anschluss an die Pressekonferenz des BMG vom 4. Oktober viel Kritik auf sich gezogen haben, z.B. die Akzentuierung eines rein medizinischen Ansatzes mit den Schwerpunkten Krebs, Herzkreislauferkrankungen und Demenz, hinwegzukommen und Anschluss an moderne Public Health-Konzepte zu gewinnen.

Allerdings werden die Instrumente dazu im Gesetzestext nicht angelegt. Man sieht das Problem, kann es aber nicht lösen: So wird im Referentenentwurf in Abschnitt A („Problem und Ziel“) zu Recht festgestellt, dass die Aufgaben der Öffentlichen Gesundheit auf Bundesebene auf verschiedene Ressorts verteilt sind, und in Abschnitt B („Lösung“) wird wie oben zitiert auf den Health in all Policies-Ansatz verwiesen. Der konkrete Regelungsbereich wird dann aber doch wieder eng gefasst: „Der Gesetzentwurf betrifft die Aufgaben des BMG und seiner Geschäftsbereichsbehörden“ und: „Die Aufgaben anderer Einrichtungen des Bundes im Bereich der Öffentlichen Gesundheit bleiben davon unberührt.“

Wie das Spannungsfeld zwischen Ressortzuständigkeit und Health in all Policies aufzulösen ist, z.B. durch eine verbindliche Kooperationsstruktur der Ressorts, bleibt somit offen. In der Gesetzesbegründung heißt es nur: „Die Vorschrift eröffnet auch ressortübergreifend die Möglichkeit – ohne weitere Gesetzesänderung – das Bundesinstitut mit der Durchführung weiterer Aufgaben zu beauftragen (…).“ Entweder wurde im Vorfeld nicht mit den anderen Ressorts gesprochen oder es konnte keine konkrete Übereinkunft zur Zusammenarbeit erzielt werden.

Der ÖGD

Gleiches gilt für das Verhältnis zu den Bundesländern in ÖGD-Angelegenheiten. Auch hier wird festgestellt, dass der ÖGD in der Zuständigkeit der Länder liegt. Die angestrebten Vernetzungsfunktionen für den ÖGD werden in der Gesetzesbegründung konkreter benannt: Es soll eine Plattform für Öffentliche Gesundheit geben, eine ÖGD-Netzwerkstelle, evidenzbasierte Handlungsempfehlungen und Leitlinien für den ÖGD, des Weiteren soll die Digitalisierung weitergeführt werden. Damit das erfolgreich umgesetzt werden kann, ist eine enge und vertrauensvolle Zusammenarbeit mit den Ländern nötig. Wie diese strukturell unterstützt werden könnte, welche Instrumente dafür beim BIPAM vorgesehen sind, dazu steht im Referentenentwurf (noch) nichts. Etwas lapidar heißt es an einer Stelle nur, das Gesetz habe „keine Auswirkungen auf die bestehenden Bund-Länder-Kompetenzen“ und „Die Leitlinien dienen dabei der Orientierung und sind als freiwilliges Angebot des Bundesinstituts zu verstehen.“ Dies dürfte mit Blick auf den Bundesrat formuliert sein.

Etwas schmalbrüstig sind in der Einleitung des Entwurfs die fachlichen Referenzen angelegt. Hier werden nur die vier Berichte des Beirats für den Pakt für den ÖGD und das Gutachten des Sachverständigenrats Gesundheit und Pflege genannt. Einschlägig wären hier aber auch Stellungnahmen zum Präventionsgesetz, die Leopoldina-Stellungnahme Public Health in Deutschland, die ZfPH-Eckpunkte für eine nationale Public Health-Strategie, oder, etwas spezieller, mit Blick auf die Lehren aus Corona der Bericht des Sachverständigenausschusses nach § 5 Abt. 9 IfSG. Dass all das keine Rolle spielt, spiegelt möglicherweise wider, dass Public Health-Akteure, anders als andere Interessensgruppen, im BMG wenig Gehör finden. Der Gesetzentwurf sieht (bisher) auch nicht die Einrichtung eines wissenschaftlichen Beirats vor.

Wissenschaft und Politik

Ein weiteres Problem, das sich schon in den Formulierungen im Koalitionsvertrag abgezeichnet hatte, hat sich im Referentenentwurf verfestigt: Das BMG hat die Dienst-, Fach- und Rechtsaufsicht über das BIPAM. Dies dürfte die Möglichkeiten des BIPAM, wissenschaftlich unabhängig zu arbeiten, einschränken. Bei Fachbehörden, deren wissenschaftliche Arbeit überwiegend naturwissenschaftlicher Art ist, ist das weniger bedenklich als bei Fachbehörden, die sozialwissenschaftliche und kommunikationswissenschaftliche Aufgaben wahrnehmen sollen. Hier ist die Abgrenzung zwischen wissenschaftlicher Analyse und politischem Framing erheblich schwieriger (instruktiv dazu: Gärditz/Linzbach, Gesundheitswissen aus Behördenhand, 2022). Sofern das im endgültigen Gesetzestext nicht noch anders geregelt wird, sollte hier eine interne Organisationsrichtlinie zum wissenschaftlichen Arbeiten am BIPAM für Klarheit sorgen. Dies gilt insbesondere auch vor dem Hintergrund, dass das BIPAM vom RKI die Surveillance nichtübertragbarer Erkrankungen sowie die darauf gestützte Gesundheitsberichterstattung übernehmen und gleichzeitig für Kommunikation und Kampagnen zuständig sein soll.

Mit Blick auf solche Schwachstellen des BIPAM-Konstrukts ist es bedauerlich, dass dem Gesetzentwurf zufolge eine Evaluation explizit nicht vorgesehen ist.

Neben diesen inhaltlich wichtigen Punkten sind noch handwerkliche Nacharbeiten nötig, beispielsweise fehlt in der Liste der Folgeänderungen anderer Gesetze, die durch die Auflösung der BZgA und den Aufgabenübergang vom RKI zu ändern sind, das Krebsregistergesetz oder § 20d (4) SGB V, aber das dürfte dem frühen Entwurfsstadium geschuldet sein.

Und nun?

In den nächsten Wochen wird es Abstimmungen mit den anderen Ressorts, den Ländern und den Verbänden geben. Insofern bleibt zu hoffen, dass die eingangs angesprochenen Spielräume noch genutzt werden, damit das neue Bundesinstitut nicht endgültig als „verpasste Chance für Public Health in Deutschland“ gesehen werden muss, wie das Zukunftsforum Public Health seine Stellungnahme betitelt hat, sondern wenigstens kleine Schritte in die richtige Richtung gegangen werden. Für die großen Sprünge fehlen offensichtlich Geld und politischer Wille.

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Eine fortgeschriebene Liste aller mir bekannten relevanten Statements zum Bundesinstitut findet sich hier: [Link].

Kommentare (17)

  1. #1 Joseph Kuhn
    17. November 2023

    Zeitliche Koinzidenzen

    Der Tagesspiegel Background hat bereits gestern in einem sehr guten Beitrag von Thomas Trappe sowohl die Stellungnahme des ZfPH als auch den Referentenentwurf kommentiert.

    Bei der Abfassung und verbandsübergreifenden Abstimmung der Stellungnahme war dem ZfPH der Referentenentwurf noch nicht bekannt, sonst hätte man sicher manche Punkte präziser darauf ausgerichtet. Die zentralen Kritikpunkte des ZfPH sind davon aber unberührt.

  2. #2 Joseph Kuhn
    18. November 2023

    Resonanzen der besonderen Art

    1. Zuverlässig hat die Raubkopierseite breakinglatest.news den Blogbeitrag wieder ins Englische und Französische übertragen:

    Englisch: https://www.breakinglatest.news/health/the-bipam-is-taking-shape-but-which-one-health-check/
    Französisch: https://www.nouvelles-du-monde.com/le-bipam-prend-forme-mais-lequel-bilan-de-sante/

    Möge es englisch- und französischsprachigen Google-Suchenden das Thema näherbringen.

    2. Die vom BMG mitfinanzierte Bundesvereinigung für Prävention und Gesundheitsförderung (BVPG) hat die Stellungnahme des Zukunftsforums mitgezeichnet. Chapeau!

    Mehr noch: Präsidentin der BVPG ist Kirsten Kappert-Gonther. Sie ist stellvertretende Vorsitzende des Gesundheitsausschusses im Bundestag und Parteikollegin von Johannes Wagner, ebenfalls Mitglied im Gesundheitsausschuss, der das BIPAM-Konstrukt bisher ohne kritische Anmerkungen kommentiert hatte. Da auch Andrew Ullmann von der FDP schon Diskussionsbedarf angemeldet hat: Vielleicht hat das im weiteren Verfahren noch positive Veränderungen des BIPAM-Konstrukts zur Folge?

  3. #3 Fluffy
    18. November 2023

    Meiner Meinung nach, eher nein. Die avisierten Aufgaben oder Ziele des BIPAM fänden sich schon als Bestandteilein mehreren Einrichtungen. Das Personal für die neue Behörde muss wohl aufgrund des oft beschworen Fachkräftemangels von dort transferiert werden. Also geht es um eine Fokussierung auf eine gezielte “Aufgabenstellung”.
    Die Prävention und Bekämpfung nicht übertragbarer Erkrankungen…, das sind im wesentlichen Herz-Kreislauf, Krebs und Demenzerkrangen.
    Begründungen für komplexe Sachverhalte sind vielfältig, auch um spezielle Interessen hinter ihnen verstecken zu können. Die Gründe können materieller oder ideeller Art, finanziell oder ethisch sein.
    Die Menschen sollen immer älter werden bei guter Gesundheit. Das entlastet die Kosten der Krankenkassen und des Gesundheitswesens bei gleich bleibenden Beiträgen. Gemäß der Ökonomisierung des Gesundheitswesens heißt das höhere Profite. Die Menschen sollen gesünder für den Arbeitsprozess werden. Geringere Krankenststände erfordern weniger Personal. Lebens- und Berufsunfähigkeitsversicherungen wollen ihre Risiken mindern.
    Wie erreicht man das? Zum einen muss man den den Gesundheitszustand jedes Einzelnen möglichst gut kennen, um präventiv eingreifen zu können, zum Anderen müssen die Leute zu einer “gesunden” Lebensweise erzogen werden, wie kein Tabak und Drogen, wenig oder kein Alkohol, wenig oder keine tierischen Produkte. Da das bekanntermaßen nicht bei allen freiwillig erfolgt, ist eine Überwachung oder sagen wir Kontrolle notwendig. Dazu müssen permanent persönliche Daten erhoben und ausgewertet werden, an denen o. g. Interesse besteht.
    Man bedient sich hier dialektisch der Interessen unterschiedlicher Gruppen, den ökonomisch interessierten, sowie denen einiger fanatischer guter Menschen, die es gut mit uns meinen.

    • #4 Joseph Kuhn
      19. November 2023

      @ Fluffy:

      “Die avisierten Aufgaben oder Ziele des BIPAM fänden sich schon als Bestandteilein mehreren Einrichtungen.”

      Ob das BIPAM dem Status Quo gegenüber einen sichtbaren Mehrwert bringt, wird eine interessante und vielgestellte Frage der nächsten Jahre sein. Wie es einen solchen Mehrwert bringen könnte, darum geht es jetzt.

      “Die Menschen sollen immer älter werden bei guter Gesundheit.”

      Die meisten wollen es auch. Viele können es leider nicht, hierzulande nicht und noch weniger in Ländern, in denen sie totgebombt werden oder verhungern.

      “Dazu müssen permanent persönliche Daten erhoben und ausgewertet werden”

      Das macht man in einer liberalen Gesellschaft gerne auch selbst: https://scienceblogs.de/gesundheits-check/2013/05/22/the-quantified-self/. Vielleicht hilft das BIPAM dabei?

  4. #5 Fluffy
    ca 10:40 Uhr
    19. November 2023

    @Joseph Kuhn
    Ich finde Ihre Ausführungen durchaus richtig und angebracht, aber…
    Es geht nicht nur darum, wie ein Mehrwert erbracht wird, sondern, worin er besteht. Warum betreibt man den beträchtlichen Aufwand einer Neugründung, wo doch vieles an Themen und Personal schon vorhanden ist?

    totgebombt und verhungern

    Das ist zwar richtig, aber im hiesigen Kontext eine Ablenkung. Diese Länder haben einfach noch nicht den westdemokratischen Stand erreicht. M
    Wir müssen sie erst noch dorthin führen.

    Ein interessanter schon 10 Jahre alter Link auf den sie verweisen, in #13 wird dort z. B. auf das Problem der Selbstoptimierung verwiesen. Eine effektive psychologische Herangehensweise zur Umsetzung diverser, auch verschleierter Ziele. Man muss die Menschen mitnehmen. Jeder soll den Druck verspüren, mitmachen zu müssen. Es ist nur zu unser aller Bestem. Sei es Maske tragen, Fleisch ablehnen, auf das Auto verzichten. Oder auch Wehrdienst leisten, Solidarität mit den USA üben.

    • #6 Joseph Kuhn
      19. November 2023

      @ Fluffy:

      “Es geht nicht nur darum, wie ein Mehrwert erbracht wird, sondern, worin er besteht.”

      So ist es. Im Moment löst das neue Bundesinstitut vor allem ein Problem: Dem Koalitionsvertrag zufolge muss ein neues Bundesinstitut her. Ob die neue Konstruktion am Ende mehr nützt oder schadet, wage ich im Moment nicht vorherzusagen, das hängt von den politischen Abstimmungen in den nächsten Wochen ab und davon, ob es irgendwelche zusätzlichen Ressourcen gibt.

      “im hiesigen Kontext eine Ablenkung”

      So war es zumindest nicht gemeint. Sondern: Frieden ist, wie die Ottawa-Charta der WHO zu Recht betont, eine der wesentlichen Voraussetzungen für Gesundheit. Das haben wir in Mitteleuropa in den letzten Jahrzehnten nur vergessen, der Krieg in der Ukraine hat es uns wieder in Erinnerung gerufen.

      “Jeder soll den Druck verspüren, mitmachen zu müssen.”

      Eine Pflicht zur Gesundheit kennt das deutsche Recht nicht, vielleicht abgesehen von der sanften Ermahnung in § 1 SGB V. Besser als Druck auszuüben, wie die Menschen leben sollen, ist es, ihre Chancen zu verbessern, gesund zu leben. Und dafür muss man eher Druck auf die Politik ausüben: Arbeitschutz, Tempolimit, Nichtraucherschutz, Luftreinhaltung, …

  5. #7 Neumann
    19. November 2023

    Der Personalmangel/Fachkräftemangel wird es schon richten.
    Bei der Beamtenversorgung hat man auch umstrukturiert um die Arbeitsabläufe schneller zu machen. Das hat funktioniert, Das Verhältnis zwischen den Leistungen und dem Personalaufwand sind seit Jahren konstant.
    Die Digitalisierung der Arbeitsabläufe wird auch eine Rolle spielen.

  6. #8 Joseph Kuhn
    21. November 2023

    Offener Brief an Minister Lauterbach

    Heute ist ein Offener Brief von Thomas Götz und Rolf Rosenbrock an Minister Lauterbach veröffentlicht worden, ebenfalls von vielen Organisationen mitgezeichnet. Er bringt noch einmal wichtige strategische Aspekte auf den Punkt. Der Brief endet mit einem zwar leicht pathetischen, aber im Grunde richtigen Appell, ehrgeiziger an das Thema heranzugehen:

    „Herr Minister Lauterbach, lassen Sie uns gemeinsam wagen, Gesundheit breiter, weiter und nachhaltiger zu denken und die Weichen für eine Zukunft zu stellen, in der Gesundheit und Wohlbefinden als Menschenrecht von allen gelebt werden kann und in der Deutschland auch einen international sichtbaren Leuchtturm bauen könnte.“

    ——————
    Eine fortgeschriebene Liste aller mir bekannten relevanten Statements zum Bundesinstitut findet sich hier: https://scienceblogs.de/gesundheits-check/2022/02/18/das-bundesinstitut-fuer-oeffentliche-gesundheit/#comment-119005

  7. #9 zimtspinne
    21. November 2023

    Wäre es nicht von Vorteil, wenn irgendwer oder alle aus der Kritikecke mal ein paar Verbesserungsvorschläge machen würden?

    Was soll denn anders oder stattdessen gemacht werden? Hat da keiner konkrete Ideen?

    Ich habe lose über Jahre hinweg das auf höchster nationaler Ebene ausgebrütete Projekt “InForm” verfolgt und eben mal die Evaluationen durchgeackert.
    Also auch die lange Version, nicht nur die Übersicht aus einem späteren Jahr, die aber eh nur eine Wiederholung ist. Obwohl das Projekt ja, wie ich sehe, im Jahr 2021 neu aufgelegt wurde.

    Mal davon abgesehen, dass mir ein Satz sinngemäß “Ziel konnte nicht erreicht werden, da Fördermittel gestrichen” sauer aufstieß, heißt es in der Zusammenfassung grob von mir in einen Satz gepackt: Bewusstsein [für Ernährung und Bewegung] wurde gestärkt oder gebildet, die Zielgruppen dafür “sensibilisiert”.

    Ja, das reicht aber leider nicht. Bewusstsein war doch meistens schon immer vorhanden; fast jeder weiß, was gut und wichtig wäre (wenn auch nicht in jedem Detail), es geht um die Umsetzung.
    Die ist und bleibt der Dreh- und Angelpunkt. Was nutzen alle Kompetenzen, wenn sie einfach nicht in den Alltag und überhaupt in die Lebensgestaltung einfließen? Oder nicht nachhaltig. Gute Vorsätze haben wir ja alle immer wieder 😉

    Ansonsten finde ich den “Nationalen Aktionsplan Ernährung & Bewegung” aber super.
    Na gut, bei einigen Dinge besteht Diskussionsbedarf. Was die Evidenzlage angeht – bei Veganität, Bio, Nachhaltigkeit….. ist ja alles nicht so klar und durchaus umstritten. Das waren aber ohnehin nur einige Ansätze unter vielen.

    Dass ich diesen Aktionsplan hier erwähne, soll auch verdeutlichen, was ich als zwei der entscheidenden Säulen für individuell bestmögliche Vorsorge, Gesundheit und Wohlergehen sehe, auch innerhalb von Krankheit: Ernährungs- und Bewegungsverhalten.
    Fehlernährung und Bewegungsarmut und deren Folgen werden mit fast allen Herz- Kreislaufkrankheiten und vielen Krebsarten assoziiert. Darauf haben die Menschen einen unmittelbaren Einfluss und sind nicht auf Gedeih und Verderb hilflos politischen Entscheidungen ausgeliefert.

    • #10 Joseph Kuhn
      21. November 2023

      @ zimtspinne:

      “Was soll denn anders oder stattdessen gemacht werden? Hat da keiner konkrete Ideen?”

      Da steht in den Stellungnahmen vieles drin, manchmal expliziter, manchmal eher zwischen den Zeilen.

      “Ernährung & Bewegung”

      Ernährt euch richtig (was immer das sein mag), bewegt euch mehr und raucht nicht: Dazu braucht man kein BIPAM.

      “Gute Vorsätze haben wir ja alle immer wieder”

      So ist es. Aber man sollte aufpassen, dass man damit nicht den Leuten einfach nur ihren inneren Schweinehund vorwirft und dabei vergisst, dass viele Verhaltensweisen hochfunktional für die alltägliche Bewältigung der Lebensumstände sind.

      “Darauf haben die Menschen einen unmittelbaren Einfluss”

      Teilweise. Auf anderes eben nicht und das sollte nicht unter den Tisch der neoliberalen Eigenverantwortungsideologie fallen.

  8. #13 Joseph Kuhn
    3. Februar 2024

    Karl Lauterbach in der Haushaltsdebatte zum BIPAM

    Die vielstimmige, auch hier im Blog zitierte, Kritik an Lauterbachs antiquiertem Ansatz einer “Vorbeugemedizin” und der Fokussierung auf Früherkennungsuntersuchungen ist am Minister, so scheint es, folgenlos abgeperlt.

    In der Haushaltsdebatte am 1. Februar sprach er wieder von “Vorbeugemedizin” und “Vorsorgemedizin”, auch das BIPAM nennt er “Bundesinstitut für Vorbeugemedizin”. Die Herzkreislaufkrankheiten will er durch “Vorsorgetermine” und das systematische Erkennen von Risikofaktoren schon bei Kindern bekämpfen. Damit lasse sich die Lebenserwartung der Bevölkerung “deutlich verbessern”.

    Ich gebe zu, mir fällt dazu nichts mehr ein. Glaubt er das wirklich oder glaubt er nur, dass andere das glauben, wenn er es sagt?

    Das Wort “Prävention” kam übrigens in seiner Rede nicht vor und Geld für den Aufbau des BIPAM ist im Haushalt 2024 nach wie vor nicht vorgesehen. Zwischenfragen anderer Abgeordneter gab es dazu auch nicht.

    ——————
    Eine fortgeschriebene Liste aller mir bekannten relevanten Statements zum Bundesinstitut findet sich hier: https://scienceblogs.de/gesundheits-check/2022/02/18/das-bundesinstitut-fuer-oeffentliche-gesundheit/#comment-119005

  9. #14 zimtspinne
    5. Februar 2024

    Die vielstimmige, auch hier im Blog zitierte, Kritik an Lauterbachs antiquiertem Ansatz einer “Vorbeugemedizin” und der Fokussierung auf Früherkennungsuntersuchungen ist am Minister, so scheint es, folgenlos abgeperlt.

    Das Wort “Prävention” kam übrigens in seiner Rede nicht vor.

    “Vorbeugend” ist zu 100% synonym mit “präventiv” verwendbar.

    Woran genau stört man sich?

    Abelenken davon, dass man außer Kritik auch keine besseren Vorschläge hat?

    Responding to Tone
    –> Criticises the tone of the writing without addressing the substance of the argument.

    • #15 Joseph Kuhn
      5. Februar 2024

      @ zimstspinne:

      ““Vorbeugend” ist zu 100% synonym mit “präventiv” verwendbar.”

      Es geht um den Begriff “Vorbeugemedizin”. Der ist nicht synonym mit “Prävention”.

      “Woran genau stört man sich?”

      Siehe die vielen Stellungnahmen der Fachgesellschaften dazu, oder die einschlägigen Blogbeiträge hier.

      “Abelenken davon, dass man außer Kritik auch keine besseren Vorschläge hat?”

      Siehe die vielen Stellungnahmen der Fachgesellschaften dazu, oder die einschlägigen Blogbeiträge hier.

      [Edit: Bösen Schlusssatz wieder gestrichen. JK]

  10. #16 RGS
    5. Februar 2024

    @Zimtspinne

    Der Minister verwendet Worte, wie Vorbeugemedizin, die sonst niemand in den Fachgesellschaften und in der alltäglichen Arbeit der Gesundheitsförderung verwendet, soweit ich weiß.
    Die Frage ist: Warum oder wozu tut er das?
    Vielleicht meint er nur, dass die Leute, die nicht firm sind in der Fachsprache, seine Wortschöpfungen besser verstehen?

  11. #17 Joseph Kuhn
    19. Februar 2024

    Der Personalrat des RKI beschwert sich

    In einer etwas ungewöhnlichen Form hat sich der Personalrat des RKI zum BIPAM geäußert: Er schrieb mit Datum vom 6.2.2024 einen offenen Brief an Gesundheitsminister Lauterbach.

    Der Personalrat beklagt darin die unzureichende Information der Mitarbeiter:innen, die damit einhergehende Unsicherheit mit Abwanderung von befristet Beschäftigten und die fachliche Fragwürdigkeit des ganzen Vorhabens. Der Tagesspiegel Background berichtet heute (hinter der Paywall).

    Interessanterweise argumentiert der Personalrat überwiegend fachlich, weniger gewerkschaftlich. Dabei sind sicher auch Mitbestimmungsrechte gem. Personalvertretungsrecht tangiert. Zu wenig Ver.di im Personalrat?

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    Eine fortgeschriebene Liste aller mir bekannten relevanten Statements zum Bundesinstitut findet sich hier: https://scienceblogs.de/gesundheits-check/2022/02/18/das-bundesinstitut-fuer-oeffentliche-gesundheit/#comment-119005