Mit den Störchen und den Geburten ist das bekanntlich so eine Sache. Die statistischen Daten stützen klar die Hypothese, dass der Storch die Kinder bringt, die Frauenhypothese hat deutlich weniger Evidenz auf ihrer Seite. Allerdings zeigt eine vertiefende Analyse auf Bundeslandebene von Prof. Dr. Oliver Kuß anhand der Geburtenrate und der flächenbezogenen Storchendichte einen interessanten zeitlichen Trend. Seine geburtenbiologische Schlussfolgerung, der Storch würde nicht die Kinder bringen, teile ich allerdings ausdrücklich nicht. Ich führe das auf Verzerrungen infolge des Flächenbezugs zurück, der für Störche, also fliegende Lieferanten, die nicht auf stationäre Kreißsäle angewiesen sind, natürlich irrelevant ist. Prof. Kuß räumt auch selbst ein, dass in diesem Punkt ein ökologischer Fehlschluss vorliegen könnte.

Prof. Dr. Oliver Kuß ist Direktor des Instituts für Biometrie und Epidemiologie am Deutschen Diabeteszentrum und stellt seine Studie hier in einem Gastbeitrag vor.
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Von Geburten und Störchen – Eine Analyse der bundeslandspezifischen deutschen Daten von 1993 bis 2020

Oliver Kuß

Die Untersuchung des Zusammenhangs zwischen der Anzahl von Störchen und den Geburtenraten ist ein beliebtes Beispiel in der Statistik-Lehre. Es wird in der Regel dazu verwendet, um vor dem (auch in diesem Falle!) falschen Schluss von einem beobachteten auf einen kausalen Zusammenhang zu warnen. Pädagogisch befriedigend ist dieses Lehrbeispiel jedoch nur, wenn sich tatsächlich auch ein deutlich positiver Zusammenhang zwischen der Storchenzahl und den Geburtenraten zeigt. Die vorliegenden Datensätze, die solche positiven Zusammenhänge zeigen, sind allerdings recht klein (14 Beobachtungen bei [1], 17 Beobachtungen bei [2]) oder betrachten nur ausgewählte Regionen [3].

Mit dem Ziel, die Daten auf ein solideres Fundament zu stellen, wurden Storchenzahlen und Geburtenraten in den 16 deutschen Bundesländern in den Jahren 1993 bis 2020 ermittelt und ausgewertet. Die Storchenzahlen stammen dabei aus der jährlichen Weißstorchbestandserfassung der Bundesarbeitsgruppe (BAG) Weißstorchschutz, deren Ergebnisse auf der Homepage des NABU – Naturschutzbund Deutschland e.V. eingesehen werden können (letzter Zugang: 22.02.2022). Geburtenzahlen, Einwohnerzahlen und Fläche der Bundesländer wurden in Jahresscheiben über die GENESIS-Online Datenbank des Statistischen Bundesamtes (letzter Zugang: 22.02.2022) bestimmt. Um für die unterschiedliche Größe und Einwohnerzahl der Bundesländer zu adjustieren, wurde pro Jahr und Bundesland die Storchendichte (definiert als absolute Anzahl von Störchen x 10.000 / Fläche in km2) und die Geburten pro 10.000 Einwohner (definiert als Anzahl der Lebendgeborenen x 10.000 / Einwohnerzahl zu Jahresbeginn) berechnet. Der Datensatz steht für weitere Auswertungen als EXCEL-Datei auf Oliverkuss.de bereit.

Die Darstellung des Zusammenhangs zwischen der Storchendichte und den Geburten pro 10.000 Einwohnern in den einzelnen Jahren liefert eine aus pädagogischer Sicht herbe Enttäuschung, lässt aber zumindest das naturwissenschaftliche Weltbild intakt. Der geschätzte Zusammenhang ist zu Beginn des Beobachtungszeitraum stark negativ und nivelliert sich zur Mitte des Beobachtungszeitraums. Diese Veränderung der Korrelation ist dabei mit den Geburtenraten in den ostdeutschen Bundesländern zu erklären, die unmittelbar nach der „Wende“ stark gefallen, dann aber wieder angestiegen waren. Die bundeslandspezifischen Daten zum Zusammenhang zwischen Storchenzahl und Geburtenraten in den Jahren 1993 bis 2020 liefern keinen Hinweis darauf, dass neugeborene Kinder vom Storch gebracht werden. Die Gefahr eines ökologischen Fehlschlusses besteht allerdings …;-)

Literatur

1. Sies H. A new parameter for sex education. Nature 1988;332:495.
2. Matthews R. Storks deliver Babies (p=0.008). Teaching Statistics 2000;22(2):36-38.
3. Höfer T, Przyrembel H, Verleger S. New evidence for the theory of the stork. Paediatr Perinat Epidemiol. 2004 Jan;18(1):88-92.

Kommentare (5)

  1. #1 rolak
    23. Februar 2022

    Vielen Dank für die klärenden Worte!

    Jetzt bleibt nur noch das mit den Piraten und dem Klimawandel…

    • #2 Joseph Kuhn
      23. Februar 2022

      … dass Piraten so temperaturempfindlich sind, hätte ich nicht gedacht. Wieder was gelernt.

  2. #3 knorke
    24. Februar 2022

    Ich sags immer wieder, man muss die Igel-Populationsentwicklung und den Einfluss der Gezeiten ausparzialisieren, sonst kann das nix werden mit den Storchen und Geburten 🙂

  3. #4 knorke
    24. Februar 2022

    @rolak: So eine Seeräuberstatistik kann man nicht glauben. Die sind alle sauschlecht in Mathe, weil sie immer Pi-raten.

  4. #5 RPGNo1
    Seriösität
    24. Februar 2022

    Ich liebe den trockenen Humor und die ironiebehaftete Seriosität, wie sie im Artikel zum Ausdruck gebracht wird.

    Vielen Dank, Herr Kuß! Sie haben mir an diesem Morgen mit seinen traurigen Entwicklungen ein Lächeln aufs Gesicht gezaubert.