Vor einem Monat hat der Sachverständigenausschuss nach § 5 (9) IfSG seinen Bericht zur Wirksamkeit und Reformbedürftigkeit der Corona-Infektionsschutzmaßnahmen vorgelegt.
Man erinnere sich: Der Ausschuss hat das Fehlen eines Evaluationskonzepts beklagt, die unzureichenden Evaluationsressourcen und die mangelhafte Datenlage zu vielen relevanten Fragestellungen. Er hat dem Lockdown Wirksamkeit in der Frühphase der Pandemie attestiert, dabei auf die Notwendigkeit der Akzeptanz der Bevölkerung verwiesen und vielfältige Nebenwirkungen beschrieben. Er sieht medizinische Masken und FFP-2-Masken bei korrektem Gebrauch in Innenräumen mit vielen Menschen als wirksames Mittel. Bei Schulschließungen, bei denen Deutschland von der Zeit der ausgefallenen Unterrichtszeit her im OECD-Mittelfeld liege, hat er sich eines eindeutigen Urteils enthalten und eine vertiefende Evaluation empfohlen. Auch bei der Frage, unter welchen Bedingungen die Kontaktnachverfolgung das Infektionsgeschehen eindämmt, wollte er sich nicht recht festlegen. Das Abstandhalten scheint der Ausschuss implizit zu befürworten, über die 2020 verbreiteten Tisch-Desinfektionsrituale und die bis heute überall präsenten Angebote zur Händedesinfektion schweigt er sich aus. Zugangsbeschränkungen wie 2G oder 3G hält er, wenn alle getestet werden, trotz der Probleme beim Evidenznachweis für sinnvoll, Impfen für essentiell. Die Risikokommunikation sei nicht gut gewesen, wobei der Ausschuss eine Omnipotenzvorstellung einer Kommunikationsstrategie hat, die alle erreicht, alle mitnimmt und zugleich Unsicherheiten und unterschiedliche Perspektiven aufzeigt. Den wirtschaftlichen Unterstützungsmaßnahmen stellt er ein positives Zeugnis aus, dem Rechtsrahmen der Infektionsschutzmaßnahmen ein negatives. Last but not least weist der Bericht noch einmal auf die besondere Betroffenheit der unteren Sozialstatusgruppen hin und darauf, dass in der Pandemie die bekannten Zivilisationskrankheiten als Risikofaktoren zutage getreten sind – nur zwei Aspekte, warum die Pandemie als umfassende Public Health-Herausforderung und nicht nur als Infektionsschutzthema zu verstehen ist.
So weit, so gut. Der Bericht ist sicher kein Meisterwerk. Eine nachvollziehbare Methodik ist nicht erkennbar, wichtige Literatur wurde nicht aufgegriffen, manche Passagen, etwa die zur Evaluation komplexer Interventionen, lesen sich wie aus einem Einführungstext für Studierende. Aber er hat auch seine Stärken, etwa im juristischen Teil, und Diskussionsmaterial für die IfSG-Reform liefert er auch sonst allemal.
Der Sachverständigenausschuss hat mit der Vorlage seines Berichts seine Arbeit vermutlich eingestellt. Ob es eine neue Evaluationsregelung im IfSG geben wird, weiß man nicht. Viele Politiker/innen werden ohnehin auch von diesem Bericht nur die 7 Seiten Executive Summary gelesen haben, manche vermutlich nicht mal die, sondern nur die Zeitungsberichte darüber im Pressespiegel, den sie täglich bekommen. Nach einem Monat kommt der Bericht da aber kaum mehr vor, insofern für Mediengetriebene Schnee von gestern. War da was?
Am 23. September laufen die aktuellen Corona-Bestimmungen im IfSG aus. Gesundheitsminister Lauterbach verhandelt mit Justizminister Buschmann über eine Anschlussregelung. Der Bericht wird für das Ergebnis, egal wie es ausfällt, sicher als Zitatesteinbruch dienen. Aber müsste der Bericht nicht in der Breite des politischen Lebens intensiv diskutiert werden? Auch mit Blick beispielsweise auf die anstehende Novellierung des Präventionsgesetzes oder der Entwicklung einer nationalen Public Health-Strategie? Müsste nicht jetzt schon mit Nachdruck daran gearbeitet werden, die wissenschaftliche Infrastruktur für das Pandemiemanagement in der Zukunft zu verbessern? Und wäre es nicht geboten, in geeigneter Weise auch mit der Bevölkerung zu diskutieren, statt sie nur als Zielobjekt optimierter Risikokommunikation zu sehen? Aber da hat Deutschland keine Tradition, keine etablierten Formate, vielleicht keine Phantasie. Hinzu kommt, dass kurz nach der Veröffentlichung des Berichts die parlamentarische Sommerpause begann, sie dauert bis zum 9.September. Ob der Bericht dann, bei all den anderen aktuell dringlichen Themen, von den Heizkosten bis zur Bundeswehr, vor dem 23. September noch einmal viel Aufmerksamkeit im Parlament findet? Wissenschaftliche Politikberatung ist auch mit gesetzlichem Auftrag kein Selbstläufer.
Statt gesellschaftlichem Diskurs also erst einmal Verhandlungen zwischen Lauterbach und Buschmann. Die Scholzmerkeldiktaturgegner bereiten sich derweil auf einen heißen Herbst vor, mit Demos gegen was auch immer und für Putin. Sie brauchen den Bericht und die Diskussion darüber sicher nicht.
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