Depressionen waren hier im Blog schon mehrfach Thema. Kein Wunder. Sie sind Teil unseres Alltagslebens. Im Laufe eines Jahres haben den Daten des Robert Koch-Instituts zufolge etwa 7 % der Erwachsenen eine diagnostizierte Depression. Manche sicher zu Unrecht, dafür bleiben andere undiagnostiziert. Das sind in etwa so viele, wie es Diabetesdiagnosen gibt. Zwei Volkskrankheiten also. Und in beiden Fällen gibt es Streit darum, was die Ursachen sind und was dagegen zu tun ist.
Schaut man sich den Zustand der Welt an, mag die Häufigkeit von Depressionen nicht verwundern. Die Klimakatastrophe schreitet voran und allen Warnungen zum Trotz ändert sich der CO2-Ausstoß nicht, der Hunger in der Welt wird eher zaghaft bekämpft, viel mehr Geld geht in die Rüstung, in vielen Ländern gibt es Kriege, jetzt auch vor unserer Haustür in der Ukraine, nachdem uns Corona ebenfalls schon viel Zuversicht geraubt hat. Gute Gründe, depressiv zu werden, gibt es also genug, und mich stimmen diese Dinge in der Tat nicht heiter. Aber sind das die Ursachen der klinisch relevanten Depressionen?
Die Zahl der Depressionen scheint seit vielen Jahren ziemlich gleich zu bleiben und das Robert Koch-Institut schreibt in seinem Bericht „Psychische Gesundheit in Deutschland“ aus dem letzten Jahr, dass dem auch weiter so sei. Auch die Corona-Pandemie habe daran nichts geändert – bis jetzt.
Dafür nehmen gerade wieder die Diskussionen darüber zu, was Depressionen eigentlich sind und wie man ihnen begegnet. Unstrittig ist fast nur, dass mit „Depression“ ein Zustand bezeichnet wird, unter dem Menschen leiden, die sich in besonderem Maße niedergeschlagen fühlen, kraftlos, aus dem Alltag geworfen durch negative Gedanken und Gefühle. Aber kommt das „von innen“, geht es um eine körperliche Erkrankung? Kommt es von außen, von der Last des Lebens, die man zu tragen hat? Kommt es davon, wie man im Laufe des Lebens gelernt hat, mit Belastungen und Krisen umzugehen? Oder von allem etwas, oder bei jedem anders? Egal ist das nicht: Die Antwort darauf hat viel damit zu tun, wie man mit Depressionen umgeht: Wo reicht die Hilfe von Familie und Freunden, wo braucht es professionelle Hilfe durch eine Psychotherapie oder durch Medikamente, wo käme es darauf an, darüber hinaus auch die gesellschaftlichen Rahmenbedingungen anzugehen, die unseren Lebensweg bahnen?
Die Evangelische Akademie Tutzing hat diesen Fragen in Zusammenarbeit mit dem Münchner Bündnis gegen Depression gestern und heute eine Tagung gewidmet. Wieder einmal. Über eine der früheren Veranstaltungen der Akademie hatte ich hier ebenfalls schon berichtet.
Die aktuelle Tagung stand unter dem Titel „Stark gegen Depression!“ Man kann sich fragen, an wen sich dieser Appell eigentlich richtet. An die Betroffenen, die gerade nicht stark sein können? An ihr Umfeld? Das Hilfesystem? An die Gesellschaft? Und was gibt Stärke gegen die Depression? Da ist man wieder bei der Frage danach, was Depressionen eigentlich sind, was sie verursacht und wie man ihnen begegnet. Dazu gab es in Tutzing wieder intensive Diskussionen. Die „Serotoninthese“ der Depression, also die Annahme, Depressionen entstünden im Prinzip durch eine Störung des Serotoninhaushalts im Gehirn, hat gerade durch eine große Übersichtsarbeit von Joanna Moncrieff et al. einen erneuten Dämpfer bekommen, oder vielleicht den Todesstoß. Peter Gøtzsche, der streitbare dänische Epidemiologe, hat wiederholt darauf hingewiesen, dass die Serotoninthese nicht durch gute Studien belegt ist. In Tutzing hat der Psychotherapeut Thorsten Padberg den Stand der Diskussion dazu noch einmal erklärt – man kann seine Sicht der Dinge in seinem Buch „Die Depressionsfalle“ nachlesen. Es ist allgemeinverständlich geschrieben, eine Art Geschichte der neueren Depressionsforschung. Schade, dass der Verlag nicht auf den reißerischen Titel verzichten konnte, aber immerhin heißt das Buch nicht „Die Depressionslüge“. Nun gut, wenn Verlage nicht an den Absatz denken, werden vielleicht die Betriebswirte dort depressiv.
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