Nebenan bei den Skeptikern wird gerade ein SWR-Beitrag zur Homöopathie diskutiert. Der Beitrag ist in der Tat kein Meisterwerk, zumindest kein aufklärerisches. Nach dem False-Balance-Drehbuch, lass jede Seite zu Wort kommen und sei sie noch so schräg, beginnt der Beitrag mit einer Apothekerin, die vermutlich nur die schwarze Variante der Apotheker-Weiterbildung zur Homöopathie durchlaufen hat. Anschließend kommen überzeugte Anwender/innen zu Wort, ein homöopathischer Arzt und Homöopathie-Lobbyisten wie Robert Jütte, „Manne“ Lucha und Biggi Bender. Alle Werbebotschaften der Homöopathie werden platziert: Homöopathie betrachtet den Menschen ganzheitlich, ist sanft und schadet nicht. Im zweiten Teil der Sendung darf der Homöopathiekritiker Christian Weymayr zwar versuchen, ein paar Dinge geradezurücken, aber der falsche Eindruck, da stünden sich zwei Ansichten gleichberechtigt gegenüber, ist da schon erfolgreich gesetzt.
Dass die Medien gerne solche Sendungen machen, ist bekannt, trotzdem gut, dass die Skeptiker auch diese Sendung wieder kritisieren. Ich will hier nur den Punkt mit der „ganzheitlichen“ Betrachtung des Menschen in der Homöopathie noch einmal ansprechen. Dass das nicht der symptomorientierten Lehre Hahnemanns entspricht, ist auch schon oft genug gesagt worden. Aber die zu Beginn der Sendung auftretende Apothekerin bringt die Paradoxie der angeblich ganzheitlichen Betrachtung in der Homöopathie an einem Beispiel zum Ausdruck, das in seinem Vulgär-Materialismus kaum mehr zu überbieten ist. Sie fragt die Reporterin, was denn die Schulmedizin habe, wenn Kinder aufeinander eifersüchtig seien – da gebe es nichts, aber es gebe Globuli.
Ob die Apothekerin schon einmal etwas von Familienberatung oder Psychotherapie gehört hat? Vermutlich. Aber trotzdem gibt es Globuli gegen Eifersucht. Damit werden die Kinder zu Biomaschinen reduziert. Ihre subjektiven Gründe, warum sie aufeinander eifersüchtig sind, zählen nicht mehr. Mund auf, Globuli rein, Reparatur fertig. Ganzheitlich?
Womöglich werden Homöopathiefreunde jetzt sagen, die Globuli werden sicher nur zusätzlich gegeben, natürlich würden die Kinder ernst genommen und man schaue, warum sie aufeinander eifersüchtig sind. Kann sein oder auch nicht. Von der Apothekerin kam dazu jedenfalls kein Wort.
Vom Sender ungut geschnitten? Mag sein. Ein Einzelfall? Eher nicht. In den Fallbeischreibungen von Homöopathen finden sich immer wieder Darstellungen, wie psychische Probleme bis hin zu massiven Traumata in einer Mischung aus Küchenpsychologie und Globuli-Materialismus angegangen werden. Der Glaube an das „Mittel“ unterscheidet sich dabei nicht von der Hardcore-Psychiatrie. Wozu verstehen wollen, was eine Depression vielleicht subjektiv sinnvoll macht und welche unguten Lebensumstände dazu geführt haben, wenn man sie mit C.G. Jung erklären und mit Globuli behandeln kann.
Ein recht haarsträubendes Beispiel ist der Beitrag „Homöopathie bei Folgen von Missbrauch, Inzest und Vergewaltigung“ des Heilpraktikers Peter Raba in der Allgemeinen Homöopathischen Zeitung 5/2010. Er berichtet dort, wie es Homöopathen gerne machen, anhand seiner erfolgreichen Behandlungsfälle. Nur zwei Beispiele daraus:
„Vor Jahren suchte mich die Mutter einer volljährigen Tochter auf, die seit einer Vergewaltigung schwermütig geworden war. Vorgeschichte: Das offenbar recht schüchterne Mädchen war 2 Jahre lang mit einem netten jungen Mann befreundet gewesen, der sehr einfühlsam mit ihr umgegangen war, nach angemessener Zeit ihrer Bekanntschaft aber wohl darauf hingewiesen hatte, dass es nun doch auch einmal an der Zeit sei, die Erfahrung körperlicher Liebe zuzulassen. Das wurde von dem Mädchen aber strikt abgelehnt. Als er sein Anliegen Monate später erneut vorbrachte, verweigerte sie sich wiederum, woraufhin er sich von ihr löste. Bereits eine Woche nach der Trennung kam es zu der Vergewaltigung durch einen Unbekannten. – Was war hier passiert: Wenn sich eine Seele weigert, eine bestimmte Erfahrung zum rechten Zeitpunkt zu machen, bricht sich das hierfür verantwortliche Urprinzip (hier Uranus – Saturn) gewaltsam die Tür auf, damit die Erfahrung gemacht wird.“
Peter Raba sagt hier ganz unverblümt, das Mädchen ist selbst schuld an der Vergewaltigung, es hätte nur vorher Sex mit ihrem Freund haben müssen, dann wäre alles nicht passiert, dann hätte sich das verantwortliche Urprinzip nicht gewaltsam die Tür aufgebrochen. Das Opfer wird zur Täterin gemacht, ihre subjektive Sicht der Dinge kommt nicht zur Sprache. Sie bekommt Globuli und ob womöglich deswegen auf eine Psychotherapie verzichtet wurde, so wie nicht selten bei Krebs auf eine „schulmedizinische“ Behandlung verzichtet wird, bis es zu spät ist, weiß man nicht, Herr Raba spricht es jedenfalls nicht an, er hat ja eine Erklärung (das „verantwortliche Urprinzip“) und ein Heilmittel (Globuli).
Eines der Mittel, das Herr Raba bei solchen Problemen einsetzt, ist Sepia succus:
„Wenn Männer Frauen lediglich als Sexobjekte zum Abreagieren ihrer Begierden oder als Gebärmaschinen benutzen und die Frau darunter leidet, dass sie nicht primär als ein menschliches Wesen betrachtet wird, ist an dieses Mittel zu denken. Auch wenn junge Knaben von geilen Frauen missbraucht wurden, kann sich diese Riesenarznei (…) als ein wunderbares Heilmittel erweisen.“
Wenn Haribo nicht froh macht, nimm Globuli und füg dich? Wie kann so etwas hinschreiben? Ob es in einem der folgenden Hefte Kritik aus der Szene gab? Nötig wär’s gewesen. Die Homöopathie betrachtet den Menschen ganzheitlich, ist sanft und schadet nicht?
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Zum Weiterlesen:
• Informationsnetzwerk Homöopathie (2016) Homöopathie ist doch sanft und natürlich – wieso sollte sie schaden können?
• Shaw DM (2010) Homeopathy is where the harm is: five unethical effects of funding unscientific ‘remedies’
• Posadzki P, Alotaibi A, Ernst E (2012) Adverse effects of homeopathy: a systematic review of published case reports and case series
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