… sind große Schiffe. Sehr große Schiffe. Das auch. Aber vor allem sind es Zeichen. Zeichen der Superreichen, dass sie zu einer besonderen Klasse gehören, für die die Regeln, denen sich gewöhnliche Menschen zu fügen haben, nicht gelten.
Seit Jahren wird in den Medien darüber berichtet, wie die Vermögenskonzentration zunimmt, ungeachtet aller Krisen, die die normale Welt beuteln mögen. Die ZEIT schrieb letztes Jahr: „Eines der schillerndsten Beispiele ist der Tesla-Gründer Elon Musk, der 2020 sein persönliches Vermögen von 25 Milliarden auf 150 Milliarden Dollar gesteigert hat.“
Hatte Max Weber den Kapitalismus noch als Folge einer „innerweltlichen Askese“ gesehen, und Marx den Kapitalisten vom „Schatzbildner“ unterschieden, so sind mit Blick auf die Superreichen solche Bestimmungen hinfällig. Sie zelebrieren ihren Reichtum in einer neuen Mischung aus Zurschaustellung („ich gehöre dazu“) und Verborgenheit, samt Social Distancing („wir unter uns“).
Die Superyachten sind Ausdruck dieser Entwicklung. Jedes Jahr gibt es mehr, jedes Jahr werden sie länger, opulenter, teurer. Soziale Unterschiede präsentieren sich hier nicht mehr in Form „feiner Unterschiede“ (Bourdieu), sondern in obszöner Augenfälligkeit: Bei den Superyachten geht es um Schiffe im Wert von mehreren hundert Millionen Euro. Das ist eine andere Liga als die Badewanne eines Tebartz van Elst oder das Privatflugzeug eines Friedrich Merz.
Der französische Soziologe Grégory Salle hat darüber ein kleines Büchlein „Superyachten. Luxus und Stille im Kapitalozän“ geschrieben, das jetzt auch auf Deutsch erschienen ist.
Superyachten, wenn man sie als Zeichen liest, als Chiffren entschlüsselt, machen nach Salle Eigenheiten der aktuellen kapitalistischen Entwicklung sichtbar. Sie seien nicht Ausdruck von Maßlosigkeit, sondern Maß für „den generellen Wahnsinn (…), der Gesellschaftsordnung heißt“ (Seite 27), auch mit Blick auf den ökologischen Fußabdruck der Superreichen: „Eine durchschnittliche Superyacht emittiert mehr CO2 als 1400 Menschen zusammen“ (Seite 106). Und sie zerstören an ihren Ankerplätzen das geschützte und ökologisch wichtige Neptungras. Leider hat der französische Staat, wie Salle anmerkt, anders als bei Wildcampern an Land, Angehörigen einer anderen Klasse, nicht die Mittel, das zu unterbinden.
Sehr treffend auch diese Interpretation Salles: Die Superyachten sind anders als die Schlösser früherer Zeiten global mobil, territorial nicht gebunden (Seite 35). Die schon von Marx gesehene Überwindung nationaler Grenzen durch das Kapital – in den Superyachten ist sie in einer Länge von 100 m und mehr verdinglicht. Es sind natürlich trotzdem schwimmende Paläste, keine schwimmenden Städte wie die Kreuzfahrtschiffe mit Passagieren, die sich ihre Seefahrt womöglich erst zusammensparen mussten.
Superyachten haben nicht nur symbolische Funktion, sie haben nebenbei einen ganz praktischen Nutzen bei der Steuervermeidung, Salle beschreibt auch diese profanen Dinge.
Bevor jetzt jemand damit kommt, da spreche doch wieder mal nur der in Deutschland so verbreitete Sozialneid, dem sei die Seite Superyachttimes empfohlen. Dort gibt es Luxusjachten für Jedermann (Frauen kaufen so etwas seltener, schreibt Salle), im unteren Preissegment, die richtig guten Stücke haben keine Katalogpreise. Ganz da oben spricht man nicht über Geld, man lässt es sprechen, z.B. in Form der Superyachten. Und wer sich keine eigene Superyacht leisten will, kann eine mieten. Mit ein paar hunderttausend Euro pro Woche ist man dabei, ohne Sprit.
Das Buch ist ein Essay, kein analytischer Bericht aus dem Maschinenraum des heutigen Kapitalismus, sondern eine Reportage vom Deck. Doch manches sieht man von da am besten. Anders als viele Vertreter der deutschen akademischen Soziologie schreibt Salle anschaulich, ohne Jargon, aber zugleich materialreich, empirienah und verständniserweiternd. In einem Kapitel sprechen die Superyachten selbst, werden in einer Ich-Perspektive zu Subjekten, die sich uns gegenüber verständlich machen wollen. Ebenso das Neptungras. Man muss nur hinhören. Salle hilft uns dabei. 170 Seiten für 16 Euro. Dafür gäbe es auf einer Superyacht vermutlich nicht einmal ein Blatt Klopapier.
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