Die Ampel hat die Diskussion um die Bürgerversicherung stillgelegt. Angeblich hatte die FDP verlangt, das Thema in den Koalitionsverhandlungen auszuklammern, sonst würde man nicht verhandeln. Die kleine Partei ist eben erstaunlich durchsetzungsfähig, nicht nur beim Tempolimit, dem Autobahnausbau oder dem Verbrennungsmotor. Nun gut, es gehören auch immer welche dazu, die mitmachen und bei der Bürgerversicherung war es vielleicht Lauterbach ganz recht, sie nicht umsetzen zu müssen.

Gestern war das duale Versicherungssystem, ein deutsches Unikum, weil es weltweit sonst kaum ein Nebeneinander von privater und gesetzlicher Vollversicherung gibt, Thema eines WIdO-Symposiums. Das WIdO ist das Wissenschaftliche Institut der Ortskrankenkassen.

Der kürzlich in Rente gegangene Geschäftsführer des WIdO, Klaus Jacobs, hatte in seinem Impulsvortrag noch einmal die Absurdität dieses dualen Systems zusammengefasst und aufgelistet, was die private Krankenversicherung ausmacht, mit 50 % Zwangsmitgliedern (den Beamten), der unsolidarischen Risikoselektion, hohen Ausgaben, einer mangelnden Qualitätssicherung, der völligen Intransparenz ihres Leistungsgeschehens, ihrer Zurückhaltung bei Präventions- und Rehabilitationsleistungen usw. Ein paar Punkte kann man in einem Interview mit ihm nachlesen. Jacobs verwies außerdem auf eine aktuelle Befragung von privat und gesetzlich Versicherten (WIdo-Monitor 1/2023), in der sich selbst unter den privat Versicherten eine knappe Mehrheit für eine solidarische Krankenversicherung und z.B. gegen höhere Beiträge für Kranke aussprach.

In zwei Diskussionsrunden dazu bei dem WIdO-Symposium waren sich alle Diskutanten einig: Das duale System der Krankenversicherung in Deutschland hat keine Zukunft, aber in dieser Legislaturperiode wird es bei dem Thema keine Bewegung geben. Der Grund ist, siehe oben, eine bissige FDP und ihre zaghaften Partner. Was bei der nächsten Wahl kommt, weiß man nicht. Aber vielleicht bekommt die FDP für ihre Klientelpolitik in Zeiten, in denen immer mehr Menschen um ihr Auskommen kämpfen müssen, es immer öfter nicht mehr für Wohnen, Pflege oder Urlaub reicht, mit Fast Drei Prozent einen Denkzettel, der sie daran erinnert, dass Freiheit nicht nur den Reichen gehört und alle ein gleiches Recht auf Gesundheit haben.

Kommentare (7)

  1. #1 rolak
    5. Mai 2023

    Inputvortrag

    Was ist das? ‘Impulsvortrag’ hab ich ja ebenfalls nachschlagen müssen, weil mich die kopfeigene Mustererkennung in die Irre geführt hat.
    Bei ner öfters besuchten Bekannten in der Nähe gibts eine Schule, deren Torschild mich jedes Mal beim Vorbeikommen grummeln läßt »’Förderschule für geistige Entwicklung’? Das beschreibt doch jedwede Schule^^«. So auch hier: ‘Inputvortrag’? Input für Nummer5 die Zuhörenden gibts doch bei jedem Vortrag^^

    Das getitelte Lebenszeichen im ersten Satz als ScheintodMeldung offenbaren – gewagt 😉

    • #2 Joseph Kuhn
      5. Mai 2023

      @ rolak:

      Input/Impuls

      Der stählernen Stringenz deines Arguments kann ich mich nur kampflos ergeben, habe den “Inputvortrag” zum “Impulsvortrag” umetikettiert, zumal er im WIdO-Programm auch so heißt.

      “ScheintodMeldung”

      Oder Koma? Wir werden sehen. Die Finanzierungsprobleme, die auf das Gesundheitswesen zukommen, werden vielleicht den nächsten Gesundheitsminister wachrütteln.

  2. #3 Kurt Schumacher
    5. Mai 2023

    Das ganze Symposium über ca. 2:30 h stellt der AOK-Bundesverband auf der Seite https://aok-bv.de/presse/termine/index_26272.html als Youtube-Video zur Verfügung. Klaus Jacobs Vortrag ab Minute 18:18 dauert 35 Minuten und ist ebenso lebhaft wie überzeugend, fand ich.

    Schön war sein Hinweis auf den Bundesrechnungshof (Minute 37:33). Der Bundesrechnungshof leidet, so mein Eindruck, manchmal an Langeweile und stürzt sich auf alle möglichen Themen, bei denen man sich gelegentlich fragt, ob sie nichts wichtigeres zu tun haben. Sie könnten sich zum Beispiel die erhebliche Verschwendung von Steuermitteln und die qualitativen Versorgungsprobleme anschauen, die durch die beamtenrechtlichen Regelungen, die Existenz der PKV und durch die Beihilfe realisiert werden.

    Wo sind die Beamten, die im Bundesrechnungshof arbeiten, versichert? Antwort: Bei der PKV. Und hat dieser eigene Status Einfluss auf ihre Arbeit und auf ihre Themenwahl? Immerhin ist man dort unabhängig und nur dem Gesetz unterworfen. Also könnte man sich einige Fragen, die Klaus Jacobs aufwirft, unabhängig und ohne Angst vor Repressionen ansehen. Aber vielleicht will man nicht?

  3. #4 PDP10
    5. Mai 2023

    mit 50 % Zwangsmitgliedern (den Beamten)

    Ist das so? Also, dass Beamte zwangsweise in der PKV Mitglied sein müssen?

    • #5 Joseph Kuhn
      5. Mai 2023

      @ PDP10:

      “Ist das so?”

      Beamte haben zwar prinzipiell ein Wahlrecht über ihre Krankenversicherung. Aber in den meisten Bundesländern (und auch im Bund selbst) müssen Beamte, die sich gesetzlich versichern, auch den Arbeitgeberanteil selbst bezahlen, so dass sie de facto gezwungen sind, sich privat zu versichern. Das ändert sich erst seit kurzem und nur sehr eingeschränkt (siehe z.B. https://www.vdek.com/magazin/ausgaben/2022-03/beamte-wahlfreiheit-gkv.html).

  4. #6 PDP10
    6. Mai 2023

    @Joseph Kuhn:

    müssen Beamte, die sich gesetzlich versichern, auch den Arbeitgeberanteil selbst bezahlen, so dass sie de facto gezwungen sind, sich privat zu versichern

    Also nicht de jure. Das war die eigentliche Frage und es hätte mich doch sehr gewundert …

    Ansonsten ist das trotzdem ziemlich bizarr. Ganz stinknormale Arbeitgeber der Privatwirtschaft sind nämlich verpflichtet Arbeitnehmern die privat versichert sind die Hälfte ihrer Beiträge zu zu zahlen. Jedenfalls bis zur Hälfte der Beitragsbemessungsgrenze und auch nur wenn der Verdienst höher ist als die Versicherungspflichtgrenze (oder wie das heißt. Ich kann mir den korrekten Begriff einfach nicht merken).

    Ich glaube, da sollte mal jemand die Grundlage für die Beamtenbesoldung gut durchkehren …

    • #7 Joseph Kuhn
      6. Mai 2023

      @ PDP10:

      “Arbeitgeber der Privatwirtschaft sind nämlich verpflichtet Arbeitnehmern die privat versichert sind die Hälfte ihrer Beiträge zu zu zahlen”

      In die Richtung geht der Ansatz der “pauschalen Beihilfe”, die es in einigen Bundesländern inzwischen für Beamte gibt, während die Beihilfe traditionell ja an den konkreten Kosten der Behandlungen orientiert ist. Jüngere Beamte, die nur selten zum Arzt gehen, und sich gesetzlich versichern, haben davon also nichts, die gesetzlichen Krankenkassen dürfen keine Tarife kalkulieren, die die Beihilfeleistungen einkalkulieren.

      Die “pauschale Beihilfe” hat bisher auch in den Ländern, die sie eingeführt haben, zu keinem relevanten Rückgang des Anteils der Beamten in der PKV geführt, da sie nur für neue oder bereits gesetzlich versicherte Beamte gilt. Aber die PKV fürchtet die Weiterentwicklung des Modells zu einem echten Wettbewerb zwischen den Kassenarten und bekämpft es daher mit allen Mitteln, siehe auch https://www.aerztezeitung.de/Politik/Beamte-in-die-PKV-Ist-das-Hamburger-Modell-verfassungswidrig-428726.html.

      Nur nebenbei: Was der FDP als Untergang des Abendlandes gilt, funktioniert z.B. in Österreich mit einem ansonsten recht ähnlichen Gesundheitswesen gut, dort sind Beamte wie alle anderen gesetzlich krankenversichert, die Beiträge sind niedriger als hier, die PKV ist auf Zusatzversicherungen beschränkt.

      “nicht de jure”

      “Das Gesetz in seiner majestätischen Gleichheit verbietet es Reichen wie Armen, unter Brücken zu schlafen, auf Straßen zu betteln und Brot zu stehlen.” (Anatole France)