Nach mehreren vergeblichen Anläufen ist 2015 das Präventionsgesetz in Deutschland in Kraft getreten. Es hat einerseits der Prävention Rückenwind gegeben und eine Vielzahl von Projekten stimuliert, es hat auch ansatzweise strukturbildend gewirkt, etwa was die Förderung verhältnispräventiver Settingansätze angeht, die Landesrahmenvereinbarungen zur regionalen Umsetzung des Präventionsgesetzes, die Einrichtung der Nationalen Präventionskonferenz und des Präventionsforums oder den regelmäßigen nationalen Präventionsbericht, es hatte aber andererseits auch von Anfang an schwere Konstruktionsfehler. So wurde es beispielsweise ins SGB V integriert und demzufolge primär ein Gesetz für die Sozialversicherung, was der gesamtgesellschaftlichen Aufgabe Prävention nicht gerecht wird. Wichtige Handlungsfelder wie Umwelt, Verkehr oder Bildung waren jenseits der Reichweite des Präventionsgesetzes und auch die Schnittstellen zu den anderen „Präventionsgesetzen“, etwa dem Arbeitsschutzgesetz, dem Infektionsschutzgesetz oder den gesundheitsbezogenen Umweltschutzvorschriften konnten nicht synergetisch ausgestaltet werden. Die Nationale Präventionskonferenz war durch ihren SGB-V-Rahmen somit nicht in der Lage, eine nationale Präventionsstrategie zu entwickeln, die diesen Namen verdient. Für „Health in all Policies“, wie es die WHO formuliert, war der sozialversicherungsrechtliche Rahmen ein zu einengendes Korsett. Hinzu kommt, dass im Lauf der Jahre auch neue Aspekte, z.B. die Digitalisierung, Globalisierungsfolgen, die wiederentdeckte Relevanz des öffentlichen Gesundheitsdienstes oder das immer drängender werdende Problem Klimawandel einen Relaunch des Präventionsgesetzes sinnvoll erscheinen ließen.
Im Koalitionsvertrag der Ampel wurde dieses Vorhaben daher zu Recht verankert, neben der Absicht, einen „Nationalen Präventionsplan“ sowie ein „Bundesinstitut für öffentliche Gesundheit“ auf den Weg zu bringen, wie auch immer diese Dinge zusammengebracht werden mögen. Zum 1. Juli 2023 wird dem Gesundheitsministerium durch die Nationale Präventionskonferenz der zweite Präventionsbericht vorgelegt werden. Er wird dann mit einer Stellungnahme der Bundesregierung an den Bundesrat weitergeleitet und dort auch von den Ländern kommentiert. Vor diesem Hintergrund bereitet das BMG eine Novellierung des Präventionsgesetzes vor.
In der Ärztezeitung war heute dazu ein Artikel unter dem Titel „Koalition will Präventionsgesetz überarbeiten“. Anlass war der BMC-Kongress in Berlin. Der Artikel zeigt allerdings, dass darüber, in welche Richtung die Novellierung des Präventionsgesetzes gehen soll, kein selbstverständlicher Grundkonsens besteht.
Der Artikel in der Ärztezeitung hebt die Rolle guter Daten hervor. Gute Daten sind natürlich auch für die Prävention wichtig. Aber dabei geht es nicht nur um neue digitale Produkte wie Apps zur Aufklärung über gesundheitliche Risiken. Eine bloß kommodifizierter Umgang mit Daten wäre ein fatales Missverständnis der Rolle von Gesundheitsdaten für die Prävention. Zumal es vielfach nicht an Daten, sondern an Taten mangelt. Sinnvoll wäre allerdings, wenn der Public Health Action Cycle, also das Ineinandergreifen von Bedarfsfeststellung, Maßnahmenplanung, Umsetzung und Evaluation unter Heranziehung geeigneter Daten effizienter implementiert würde, wenn man so will, als Beitrag zu einer positiv gewendeten „Epistemisierung des Politischen“.
Eine auf der Basis vorhandener Evidenz bedarfsorientierte Steuerung der Prävention tut not. Dass es daran mangelt, zeigt sehr schön der Artikel in der Ärztezeitung. Es beginnt schon mit dem ersten Satz: „Inzidenzen bei Diabetes und bei Adipositas gehen seit Jahren durch die Decke.“ Das ist empirisch falsch, was die Diabetesinzidenz in Deutschland angeht. Sie stagniert, vielleicht schon seit Jahren. Und bei der Adipositas ist es zumindest bei den Kindern nicht anders, auch wenn infolge der Coronakrise die Häufigkeit der Adipositas hier wieder angestiegen ist.
Genauso geht die Empfehlung zu einem massenhaften Einsatz von HPV-Selbsttests in die Irre. Zitiert wird ein Referent von Boston Consulting mit dem Hinweis, in Schweden sei das erfolgreich gewesen: „Dieser Schritt habe zu einer hohen Testquote und einer hohen Quote identifizierter Infektionen geführt, die sonst nicht hätten frühzeitig behandelt werden können.“ Beim Thema HPV geht es aber darum, die Impfquoten zu steigern und in der Früherkennung um Genitalwarzen und frühe Stadien von HPV-induzierten Tumoren. Die meisten Infektionen heilen von selbst aus, eine Behandlung der Infektion gibt es bisher nicht.
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