In Deutschland wird jedes Kind, bevor es in die Schule kommt, zur Schuleingangsuntersuchung durch das örtliche Gesundheitsamt eingeladen. Früher ging es dabei um die „Schulreife“ der Kinder, heute allgemeiner um ihren Entwicklungsstand, etwa was die Sprachentwicklung angeht, das Seh- und Hörvermögen, die Motorik, Gewicht, Körpergröße und einige andere Dinge. Auch der Impfstatus wird in der Schuleingangsuntersuchung erfasst. Die Einzelheiten unterscheiden sich je nach Bundesland etwas und es ist auch nicht immer eine ärztliche Untersuchung, zuweilen findet nur ein Entwicklungsscreening durch sozialmedizinische Fachkräfte statt.

Mit der Schuleingangsuntersuchung sollen unter anderem Hilfebedarfe festgestellt werden, wenn z.B. die Brille nicht mehr ausreicht, eine Logopädie sinnvoll wäre, ein Vorkurs Deutsch oder vielleicht eine Abklärung eines auffälligen Screening-Befundes beim Kinderarzt. Dazu ist es von Vorteil, wenn die Schuleingangsuntersuchung nicht erst kurz vor der Einschulung stattfindet, als Schulreifetest, sondern z.B. schon im vorletzten Kita-Jahr, damit im Bedarfsfall genug Förderzeit bleibt. In Bayern wird derzeit die Schuleingangsuntersuchung aus diesem Grund vorverlegt. Ein weiteres Ergebnis der Schuleingangsuntersuchung kann auch darin bestehen, dass die künftige Schule des Kindes über besondere Anforderungen informiert wird, etwa wenn das Kind mit dem Rollstuhl kommt.

Die kinderärztlichen Vorsorgeuntersuchungen U8 im Alter zwischen 46 und 48 Lebensmonaten oder die U9, die vom 60. bis zum 64. Lebensmonat in Anspruch genommen werden kann, also in etwa zum Zeitpunkt der Schuleingangsuntersuchung, haben etwas andere Inhalte und Ziele. Zudem werden nicht wenige gesundheitliche Probleme erstmals bei der Schuleingangsuntersuchung festgestellt. Die Schuleingangsuntersuchung gilt daher ergänzend zu U8 und U9 als sehr sinnvolle Sache.

Anders als die U-Untersuchungen sind die Schuleingangsuntersuchungen inzwischen einigermaßen standardisiert. Sprachtests sind beispielsweise genormt und die Kinder werden auch nicht vom Gesundheitsamt X ohne und vom Gesundheitsamt Y mit Schuhen gewogen. Die Ergebnisse werden anonymisiert an die zuständigen Landesbehörden (der Impfstatus auch ans RKI) übermittelt und dort epidemiologisch ausgewertet, die Ergebnisberichte kann man in den meisten Bundesländern online abrufen. Die U-Untersuchungen werden dagegen seit vielen Jahren nicht mehr zentral ausgewertet. Die Datenqualität war u.a. durch die individuellen Untersucherunterschiede problematisch, die Daten waren für epidemiologische Analysen nur sehr eingeschränkt verwertbar.

Demgegenüber werden die Daten der Schuleingangsuntersuchung manchmal auch überschätzt. So schrieb beispielsweise der Bundesverband der Ärztinnen und Ärzte des Öffentlichen Gesundheitsdienstes Ende 2022 doch etwas pro domo eingefärbt:

„Der ÖGD setzt (…) mit den Schuleingangsuntersuchungen die deutschlandweit wertvollste epidemiologische Erhebung im Bereich der Kindergesundheit um.“

Das wird man vielleicht beim RKI mit Blick auf den Kinder- und Jugendgesundheitssurvey (KiGGS) mit seinem viel umfangreicheren Erhebungsspektrum über die gesamte Altersspanne von 3 bis 17 Jahren, z.T. im Längsschnitt, anders sehen. Allerdings gibt es abgesehen von den Daten aus dem Versorgungssystem keine Datenquelle zur Kindergesundheit, die so kleinräumig auswertbar ist wie die Schuleingangsuntersuchung. Aus dem KiGGS gibt es nicht einmal Daten für die Bundesländer, geschweige denn für Landkreise und kreisfreie Städte.

Aus der Schuleingangsuntersuchung ließe sich noch mehr machen, wenn man ihre Insellage überwinden könnte. Zwar erhalten die Eltern, wenn ein Abklärungs- oder Hilfebedarf festgestellt wird, eine Empfehlung, z.B. zum Logopäden oder zur Kinderärztin zu gehen, aber man weiß nicht, was daraus wird. Man weiß weder, ob die Eltern der Empfehlung folgen noch ob sich daran etwas anschließt, was dem Kind wirklich hilft. Eine systematische Verknüpfung von Daten aus der Schuleingangsuntersuchung und z.B. den Daten der Kassenärztlichen Vereinigungen oder der Krankenkassen gibt es nicht.

Das ist keine neue Feststellung. 1989 hat der Medizinsoziologe Christian v. Ferber bei einem Symposium zur Zukunft des ÖGD, nachdem er zunächst die damals großen Untersucherunterschiede bei der Schuleingangsuntersuchung angesprochen hat, sehr richtig bemerkt:

„Zum anderen wird man aber doch letztendlich fragen müssen: Was bringen die Schuluntersuchungen, wenn ich nicht weiß, was aus den festgestellten Auffälligkeiten bei der weiteren Behandlung, und die liegt bei den Kinderärzten, wird. Ob die Personen dort hingehen, wie die weitere Behandlung ist und so weiter. Das wird ab und zu einmal zufällig festgestellt. Aber eine eigentliche Rückmeldung darüber ist nicht vorhanden.“
(Quelle: MAGS NRW: Der öffentliche Gesundheitsdienst der Zukunft. Düsseldorf 1990, S. 181)

Im Tagesspiegel Background hat vor ein paar Tagen die Präsidentin der Deutschen Gesellschaft für Sozialpädiatrie und Jugendmedizin, Prof. Heidrun Thaiss, den Ausbau des Kinder- und Jugendgesundheitsdienstes im ÖGD gefordert. Die Kinder dürften, so Thaiss, bei der Umsetzung des Paktes für den ÖGD, des größten Förderprogramms für den ÖGD seit Jahrzehnten, nicht vergessen werden. Dem kann man nur zustimmen. Für die Schuleingangsuntersuchung sollte dabei wiederum nicht vergessen werden, was Christian v. Ferber vor 30 Jahren gefordert hat: die Brücke zum Versorgungssystem nicht nur über die individuellen Empfehlungen für die Eltern, sondern auch über die epidemiologische Evaluation dieser Empfehlungen zu bauen.

Kommentare (9)

  1. #1 Uli Schoppe
    21. Juli 2023

    Die Untersuchung durch eine Vorverlegung wenigstens ein bisschen von der Einschulung zu entkoppeln wäre mal ein Anfang. Im Moment hat das imho sowohl bei vielen Eltern als auch Leerkörpern die Bedeutung eines Eignungstests bei dem jemand eventuell versagt. So wird das auch nix mit einer sinnvollen Erfassung von Gesundheitsdaten. Da ist ja dann das Bedürfnis da durch vorheriges Training und Verschleiern eben ein “Versagen” zu verhindern. Darum kann ich auch mit dem Drängen auf das Erleichtern einer vorzeitigen Einschulung nichts anfangen. Hier sollte mal eher jemand “Denkt denn keiner an die Kinder” schreien.
    Dann wirds auch was mit den vernünftigen Gesundheitsdaten.

  2. #2 Alisier
    21. Juli 2023

    Wenn man selber empfindlich ist und nicht beleidigt werden möchte (und wer könnte sich da ausnehmen?), sollte man zur Hetze geeignete Drecksausdrücke wie “Leerkörper” möglichst vermeiden, Uli Schoppe.
    Spaltung gibts grad genug, finde ich.
    Dass das Schulsystem kritisiert werden kann und wahrscheinlich sollte ist ein anderes Thema.
    Menschen einfach so pauschal zu beleidigen ist aus meiner Sicht völlig inakzeptabel und zudem kontraproduktiv.

  3. #3 naja
    21. Juli 2023

    @ Uli Schoppe
    Ich verstehe den Beitrag von Joseph Kuhn genau anders herum. Wenn ein Kind vor der Einschulung Nachholbedarf in was auch immer, Feinmotorik, Sprachentwicklung, Deutsch hat, ist es keine Verschleierung, diese Bereiche zu trainieren.
    Im Gegenteil macht es nur dann Sinn, die Fähigkeiten zu testen, wenn man aus dem Ergebnis Konsequenzen zieht. Und damit das “Training“ Wirkung zeigen kann, sollte man nicht unmittelbar vor der Einschulung prüfen.

  4. #4 Uli Schoppe
    24. Juli 2023

    @naja

    Hm, wir sind da eigentlich einer Meinung. Wahrscheinlich habe ich mal wieder zu sehr schwurbelig geschrieben. Sorry 🙂

  5. #5 Neumann
    27. Juli 2023

    Ergänzend zu den Schuleingangsuntersuchungen.
    Die Untersuchungen sind in den veschiedenen Bundesländern unterschiedlich.
    In Baden Württemberg gibt es eine Untersuchung im letzten Kindergartenjahr.
    Wenn das Kind nicht im Kindergarten war, findet eine Untersuchung in der Grundschule statt, in der das Kind aufgenommen wird.
    Die Untersuchung wird von Grundschullehrerrinnen durchgeführt, die die Eltern, die dabei anwesend sind,, beraten , ob ein Kind schulreif ist oder nicht. Ich habe selbst an einem solchen Eingangstest teilgenommen .Grundschullehrerinnen können am ehesten beurteilen, wie es um den Reifezustand eines Kindes steht. Und es wird ad hoc entschieden ob das Kind zurückgestellt wird oder nicht. Ob alle Schule so ein vereinfachtes Verfahren anwenden ist mir nicht bekannt.

    • #6 Joseph Kuhn
      27. Juli 2023

      @ Neumann alias Robert alias …:

      Sie schreiben wieder einmal krudes Zeug, ohne sich auch nur ansatzweise informiert zu haben. Über die SEU in Baden-Württemberg finden Sie unschwer offizielle Informationen im Netz und Sie werden sehen, dass das meiste, was Sie geschrieben haben, nicht stimmt.

  6. #7 Neumann
    27. Juli 2023

    Offizielle Informationen sind juristisch gesehen eine gute Grundlage.
    Informieren Sie sich doch mal real, ob z.B. Kindergärten die geltenden Bestimmungen einhalten können und ob sie es tun.
    Und da ich selbst eine SEU mit durchgeführt habe ist das meine reale Einschätzung. Wie schon gesagt. Jede Schule führt ihre Untersuchungen so durch, wie sie es für vertretbar hält.
    Als Beispiel, 70% der Schulanfänger haben in der Innenstadt einen Migrationshintergrund. Da steht dann real eine Mutter mit ihrem Kind im Sekretariat einer Schule und meldet ihr Kind an.
    Da kommt ein Schüler in die 7. Klasse und kann weder lesen noch schreiben . Alles schon erlebt. Das ist die Realität.
    Die Schuleingangsuntersuchung ist notwendig und sinnvoll, man muss sich dabei im Klaren sein ob man über Verwaltungsvorschriften redet oder über die Wirklichkeit.
    Nachtrag: Auf dem Lande und in kleinen Gemeinden können Verwaltungsvorschriften leichter eingehalten werden.

    • #8 Joseph Kuhn
      28. Juli 2023

      @ Neumann alias Robert alias …:

      “Informieren Sie sich doch mal real”

      Sehr witzig.

      “Und da ich selbst eine SEU mit durchgeführt habe”

      Sind Sie sicher? Oder meinen Sie, dass Sie in eine “zielgruppenspezifische Untersuchung” nach § 3 der Schuluntersuchungsverordnung BW als Lehrkraft einbezogen waren? Oder dass Sie als Lehrkraft an der Entscheidung der Schule über die Schulbereitschaft untersuchter Kinder einbezogen waren? Dass Sie die sozialmedizinische Anamnese im ersten Teil der SEU oder gar eine daran anschließende ärztliche Untersuchung durchgeführt haben, kann ich mir nicht vorstellen.

      Immerhin formulieren Sie schon etwas vorsichtiger als oben, sprechen nur noch von “mit durchgeführt”, oben schrieben Sie noch: “Die Untersuchung wird von Grundschullehrerrinnen durchgeführt”. Die Zeitangabe mit dem “letzten Kindergartenjahr” und anderes dürfen Sie auch noch korrigieren.

      “Da kommt ein Schüler in die 7. Klasse und kann weder lesen noch schreiben”

      Das gibt es in Zeiten von Flucht und Migration nun mal.

  7. #9 Neumann
    28. Juli 2023

    Gut, die Klarstellung!
    die Lehrkräfte die mit einbezogen sind, die beurteilen die kognitiven Fähigkeiten und den Reifegrad eines Kindes.
    Für den medizinischen Bereich war eine Ärztin zuständig.
    Was die fehlenden Fachbegriffe betrifft, die wollte ich dann Ihnen überlassen.