In der Süddeutschen ist heute auf Seite 3 ein ganzseitiger Artikel, demzufolge Hubert Aiwanger, der stellvertretende bayerische Ministerpräsident, als Jugendlicher ein antisemitisches Flugblatt mit absolut unakzeptablem Inhalt verbreitet haben soll. So etwas ist auch mit „Jugendsünde“ nicht einfach wegzuwischen.
Das Flugblatt ist in der Süddeutschen als Faksimile abgedruckt. Es enthält keinen Autorennamen. Dass es von Aiwanger sei, beruht auf Aussagen von Personen aus Aiwangers damaligem Umfeld. Aiwanger bestreitet die Vorwürfe und er droht mit juristischen Konsequenzen. Der Vorgang erinnert ein wenig an Weidels Mails 2013 mit den „Schweinen“ von der Bundesregierung, die nur als „Marionetten der Siegermächte“ agieren würden. Auch Weidel hatte der WELT, die darüber berichtet hat, damals mit dem Anwalt gedroht. Sie hat es nicht gemacht und heute würde man von Weidel auch gar keine anderen Sprüche mehr erwarten.
Diesen Weg will Aiwanger hoffentlich nicht gehen. Er muss sich aber glaubhaft vom Inhalt dieses Faltblatts distanzieren, sei es, dass er die gegen ihn in der Süddeutschen vorgebrachten Indizien für seine Urheberschaft wirklich entkräften kann, sei es, dass er sich zu seiner „Jugendsünde“ bekennt, aber überzeugend darlegt, warum er damals als Jugendlicher derart ekelhaften Müll geschrieben hat und was ihn in den folgenden Jahren wieder zu einem „normalen“ krachledernen Niederbayern hat werden lassen. Allein „juristische Schritte“ können ihn moralisch nicht sauberwaschen. So wenig wie die naheliegende Vermutung, dass die alte Geschichte nicht zufällig im Wahlkampf mit besten Aussichten für die Freien Wähler ausgegraben wurde.
Besorgniserregender als die Vergangenheit Aiwangers ist allerdings die Gegenwart seiner Anhänger. Wenn es stimmt, was ebenfalls in der Süddeutschen Zeitung steht, dass viele Menschen über die Sache überhaupt nicht mehr wissen wollen, das auch nicht für so schlimm halten und ihren „Hubsi“ einfach trotzdem toll finden, oder gar deswegen, dann sind wir nicht mehr weit der Situation entfernt, die Trump vor seiner Wahl so beschrieb: „Ich könnte mich auf die Fifth Avenue stellen und jemanden erschießen und würde keinen Wähler verlieren, das ist unglaublich.” Es war eine der wenigen wahren Aussagen Trumps, eine zutreffende Diagnose der kulturellen und sozialen Spaltung in Amerika, die er aber nicht überwinden half, sondern in seiner Präsidentschaft weiter vertieft hat.
Aiwanger hat die Chance, damit anders umzugehen.
Kommentare (139)