Es lief so gut für die Freien Wähler und ihren Chef Hubert Aiwanger. Zwar waren manche Auftritte Aiwangers grenzwertig, seine Reden mitunter transrational, aber seine Bierzelttauglichkeit hat ihm bei vielen Leuten Respekt eingebracht und die Umfragen für die Landtagswahl waren bestens. Dann die Geschichte mit dem Flugblatt, die salamitaktisch nachgeschobenen Erklärungen, die in sich nicht stimmig sind und wie frisch ausgedacht wirken, die Unfähigkeit, die richtigen Worte für diese unappetitliche Sache zu finden, obwohl er lange Zeit hatte, seine Position zu der Geschichte zu überdenken, und all das Schweigen über so viele Dinge, über die es zu reden gälte.

Heute hat Markus Söder seinem Vize aufgegeben, 25 Fragen zum Vorgang „Flugblatt“ schriftlich zu beantworten. Aiwanger habe im Koalitionsausschuss nicht alles aufklären können. Das ist eine öffentliche Demütigung. Der Schulbub, der mit seinem Bruder vor 35 Jahren Mist gebaut hat, wird jetzt wie ein Schulbub behandelt.

Die Aiwangers werden die 25 Fragen irgendwie beantworten. Eine hätte ich auch: Wie kann man als politisch erfahrener, angeblich rhetorisch begabter Mann, so unvorbereitet und dilettantisch in so einen Schlamassel stolpern?

Kommentare (12)

  1. #1 RPGNo1
    29. August 2023

    Sind die Fragen öffentlich? Kann man sie irgendwo nachlesen?

    • #2 Joseph Kuhn
      29. August 2023

      @ RPGNo1:

      Wenn ich es recht verstanden habe, werden die 25 Fragen erst noch übermittelt. Aber da sie öffentlich als Entscheidungsgrundlage für Aiwangers politisches Schicksal angekündigt wurden, gehe ich davon aus, dass früher oder später Fragen und Antworten veröffentlicht werden.

  2. #3 Dirk
    Berlin
    29. August 2023

    “transrational” — ymmd

  3. #4 Kinseher Richard
    30. August 2023

    Wenn jetzt üble Verhaltensweisen von einem oder beiden Aiwanger-Brüdern ans Licht kommen – dann sollte man doch ernsthaft über verschiedenes nachdenken:

    – Die Ereignisse geschahen vor 35 Jahren und die beiden Brüder waren damals Teenager in einem Alter wo man gerne provoziert. (Das soll keine Entschuldigung für falsches Verrhalten sein!)

    – Wenn diese Ereignisse jetzt (nach 35 Jahren) veröffentlicht werden – dann offensichtlich mit der Absicht eine politische Wirkung zu erzielen. Herbei stellt sich die Frage – Wer steckt dahinter?
    Denn wenn die Verbrechen welche den jüdischen Mitmenschen angetan wurden, jetzt mit dem Ziel einer politischen Verunglimpfung Aiwangers benutzt werden – dann ist dieses Verhalten kritisch zu hinterfragen: D.h. damit werden die schlimmen Leiden der jüdischen Menschen für üble Absichten missbraucht. Damit missbraucht man den Holocaust und alle Opfer erneut.

    Und damit kommen wir zu einer überlegenswerten Frage?
    Wer missbraucht das Leid des Holocaust nur um sich politische Vorteile zu verschaffen? Wenn man die Handlungen der Aiwanger-Brüder vor 35 Jahren verurteilt – dann sollte man auch diejenigen Leute verurteilen, welche JETZT den Holocaust für ihre politische Zwecke missbrauchen.

  4. #5 RPGNo1
    30. August 2023

    @Joseph Kuhn

    Danke

  5. #6 RPGNo1
    30. August 2023

    Der bayerische Vizeministerpräsident Hubert Aiwanger verspricht Aufklärung über das mit ihm in Verbindung stehende antisemitische Hetzblatt. Sein Bruder soll es angeblich verfasst haben, er selbst habe damals Ende der Achtziger in seiner Schule »ein oder wenige Exemplare« in der Tasche gehabt. Nun legt ein Fund in der KZ-Gedenkstätte Dachau nahe, dass das Pamphlet in größerem Umfang als bisher angenommen an der früheren Schule Aiwangers bekannt war.

    Die menschenverachtende Schrift ist als Teil einer Schülerarbeit in der KZ-Gedenkstätte Dachau archiviert. Das berichtete zuerst die »Welt« , eine Sprecherin der Gedenkstätte bestätigte später den Fund. Demnach ist das Flugblatt zwar nicht eigenständig vorhanden, aber in Teilen in der Schülerarbeit »Letzte Heimat Steinrain? Zur Geschichte des Judenfriedhofs bei Mallersdorf-Pfaffenberg« abgedruckt.

    https://www.spiegel.de/politik/deutschland/hubert-aiwanger-flugblatt-in-kz-gedenkstaette-dachau-als-negativbeispiel-aufgetaucht-a-480661fc-766e-4823-a4c0-92c14c2eb442

  6. #7 Joseph Kuhn
    30. August 2023

    @ RPGNo1:

    Dass das Flugblatt als Teil einer Schülerarbeit im Archiv der Gedenkstätte Dachau liegt, ist m.E. eine interessante Randnotiz, mehr nicht. Es steht in der Schülerarbeit nicht dabei, von wem das Flugblatt ist.

    Aiwanger muss sich vielmehr fragen lassen, warum ihm partout nicht mehr zu der ganzen Geschichte einfallen will als ein „ich war‘s nicht“. Er reagiert wie ein Schulbub, der bei einer Missetat erwischt wurde und er wird von Söder inzwischen so behandelt.

    Aiwangers Haltung lässt jede Angemessenheit vermissen, er wirkt völlig überfordert. Das wiederum nährt den Jagdinstinkt der Medien, für die ein herbeigeschriebener Politikerrücktritt eine der höchsten journalistischen Auszeichnungen darstellt. Damit müssen aber alle Politiker:innen zurechtkommen, man erinnere sich nur an die seinerzeitige Kampagnen gegen Baerbock oder Wulff.

    Weil Aiwanger nicht von sich aus die richtigen Worte findet, gärt die Sache weiter und jede weitere Geschichte aus seiner Vergangenheit wird zu einer weiteren Belastung. Dabei mangelt es Aiwanger ganz gewiss nicht an professioneller Beratung.

    Man versteht es einfach nicht. Es scheint immer mehr, dass Aiwanger „Krise nicht kann“, und nur Bierzeltredner ist in der Politik zu wenig, auch da kann jederzeit das Peter-Prinzip wirksam werden und für Aiwanger ist möglicherweise dieser Moment jetzt gekommen.

  7. #8 echt?
    30. August 2023

    “Denn wenn die Verbrechen welche den jüdischen Mitmenschen angetan wurden, jetzt mit dem Ziel einer politischen Verunglimpfung Aiwangers benutzt werden – dann ist dieses Verhalten kritisch zu hinterfragen: D.h. damit werden die schlimmen Leiden der jüdischen Menschen für üble Absichten missbraucht. Damit missbraucht man den Holocaust und alle Opfer erneut.”

    Dann hätte man nach dem Krieg über keinen Altnazi berichten dürfen, der in einer Partei aktiv war – und da gab es einen riesigen braunen Haufen von. Da hätte man nicht einmal etwas über den guten Filbinger schreiben dürfen.

    Dein Argument überzeugt mich deshalb nicht. Im Übrigen würde ich nicht mal glauben, dass das aus der linkgrünversifften Ecke kam, sondern eher aus dem rechten Lager selber.
    Und natürlich schlachtet das die Süddeutsche jetzt aus. Was sollte sie denn sonst tun, es bis nach der Wahl zurückhalten? Anrüchig wäre das nur, wenn die Süddeutsche es mit Absicht zwischengelagert hätte und es nun rausgeholt hat. Aber, für so dumm halte ich die nicht.

  8. #9 Staphylococcus rex
    30. August 2023

    @ Kinseher Richard #4, auf etliche der aufgeworfenen Fragen (zeitlicher Ablauf) habe ich im vorherigen Thread #110 geantwortet. Es war Aiwanger höchstselbst, der mit seiner Erdinger Rede die Querverbindung zu den damaligen Ereignissen geschaffen hat. Dass dies für die Presse ein gefundenes Fressen ist, dürfte niemand überraschen.Die Presse kann viel schreiben, wenn der Tag lang ist, das haben wir erst kürzlich bei unserem Sommerlochtier gesehen (der Löwe, der zum Wildschwein wurde).

    Um Marx zu zitieren, “eine Idee wird zur materiellen Gewalt, wenn sie die Massen ergreift”. Die Massenwirkung kommt dadurch zustande, dass Aiwanger als Spitzenkandidat der Freien Wähler demnächst möglichst zahlreiche Stimmen sammeln möchte und dass die Wähler sich aufgrund der o.g. Querverbindung fragen, wem sie da eigentlich ihre Stimme geben sollen? Dem Saulus, der zum Paulus wurde, dem Wolf im Schafspelz oder einfach einem Hanswurst und Dummschwätzer, der mit der Situation hoffnungslos überfordert ist?

    Söder als Politprofi hat längst erkannt, dass das Schweigen und Lavieren Aiwanger in den Augen der Wähler zum Hanswurst macht. Eine Wahlniederlage der Freien Wähler bedroht auch Söders Amt. Deshalb hat er Aiwanger die Pistole auf die Brust gesetzt. Ihm dürfte ziemlich egal sein, was dabei herauskommt, solange es glaubhaft ist und es mit demokratischen Grundwerten irgendwie vereinbar erscheint. Und selbst wenn sich Aiwanger komplett vergaloppiert, jetzt wäre noch die letzte Gelegenheit, einen Ersatzkandidaten für die Wahl aufzubauen.

  9. #10 RPGNo1
    30. August 2023

    @Staphylococcus rex

    Und selbst wenn sich Aiwanger komplett vergaloppiert, jetzt wäre noch die letzte Gelegenheit, einen Ersatzkandidaten für die Wahl aufzubauen.

    Ich sehe folgendes Problem: Es gibt niemanden bei den bayrischen Freien Wählern, der Aiwanger auch nur annähernd ersetzen könnte. Wirklich alles ist auf ihn zugeschnitten.

  10. #11 Neumann
    30. August 2023

    Was noch wissenswert ist.
    Freie Wähler (Eigenschreibweise: FREIE WÄHLER) ist eine politische Partei in Deutschland. Zur Unterscheidung von anderen Organisationen gleichen Namens wird sie auch als Bundesvereinigung Freie Wähler bezeichnet.

    Und der Vorsitzende dieser Bundesvereinigung ist Hubert Aiwanger.
    Gleichzeitig ist Hubert Aiwanger auch der Vorsitzende der ehemaligen Der Freie Wähler Bayern e. V. , die sich am 15. Dezember 2011 als „Landesvereinigung Bayern“ in eine neu gegründete, bundesweit agierende Partei „Freie Wähler“integrierte.
    Deren Gründung war notwendig geworden, um auch an Bundestagswahlen teilnehmen zu können.
    Freie Wähler ist also ein Konstrukt aus der „Landesvereinigung Bayern“ innerhalb der Bundespartei
    Freie Wähler.

    Damit steht Herr Aiwanger über Herrn Söder, der ja nur das Land Bayern mit der CSU vertritt, also eine Landespartei bzw. einer Partei im Freistaat Bayern.

  11. #12 Kai
    30. August 2023

    @Kinseher Richard: Komisch, ich hab mir den Blogeintrag jetzt drei Mal durchgelesen, aber irgendwie geht es nirgends um die Verurteilung der Tat an sich, sondern wie Aiwanger HEUTE damit umgeht. Deshalb gehen diese Ausreden “war ja ein Schuljungenstreich” völlig ins Leere. Wenn Aiwanger dafür gerade stehen würde was er vor 35 Jahren geschrieben hat, könnte man das vielleicht akzeptieren. Stattdessen entschuldigt sich Aiwanger nicht mal. Er schiebt auf dubiose Weise seinen Bruder vor und stichelt nochmal nach von wegen linksradikale Lehrer seien schuld dass dieses Flugblatt entstanden ist. Kurzum: Das üble an der ganzen Sache ist nicht allein, was vor 35 Jahren geschrieben wurde, sondern die moralisch verkommene und feige Art wie Aiwanger heute damit umgeht. Das fehlende Schuldeingeständniss lässt indes vermuten, dass Aiwanger solche Texte auch heute noch verfassen würde wenn es politisch legitim wäre.

    Das diese Anschuldigungen ausgerechnet vor dem Wahlkampf herauskommen ist ganz sicher kein Zufall, hat aber lange Tradition. Viele, die sich jetzt darüber entrüsten und von Wahlmanipulation reden, hatten komischerweise kein Problem damit, als exakt dieselben Methoden bei Grünen-Politikern angewandt wurden (z.B. Bärbocks Lebenslauf- und Zitier-Affäre, oder die Pädophilievorwürfe gegen die Grünen bei der vorletzten Bundestagswahl).