Im Moment hat konservative Identitätspolitik Konjunktur. Im Süden Deutschlands spielt dabei das Bierzelt eine besondere Rolle. Dort vergewissern sich manche Milieus, wer sie sind und wem sie folgen. Das Bierzelt ist ein besonderer Ort, einer, an dem Schrödingers Katze vom Standpunkt der Hegelschen Dialektik aus betrachtet wird. Hier kann man Gemeinschaft stiften, indem man spaltet, hier kann man einem bierberauschten Publikum die Gefahren von Cannabis nahebringen, hier können sich aggressive Wadlbeißer noch als Opfer fühlen. Die Frage nach der Wirklichkeit ist im Bierzelt auf einer höheren Ebene aufgehoben.
Am Montag war „Gillamoos-Montag“. Da sind Politiker aller Couleur nach Abensberg zum Gillamoos gepilgert. Auch Friedrich Merz. Dafür hat er sich extra in Schale geworfen und ist verkleidet im Bayern-Jankerl aufgetreten. Signal: Ich bin einer von euch, nur mit Privatflugzeug. „I am your voice“ in Kleinformat. Wie weit Merzens Mimikry geht, ob er z.B. beim Besuch eines Klosters als Mönch geht, weiß man nicht.
Er wiederum wusste offensichtlich nicht, wo er war und trat mal wieder in ein Merz-Näpfchen. Merz im Anbiederungsmodus: “Nicht Kreuzberg ist Deutschland, Gillamoos ist Deutschland.”
Da regen sich die multikultidegenerierten Berliner natürlich wieder auf. Dabei gilt, siehe oben, im Bierzelt erstens eine eigene Wirklichkeit, zweitens hat Merz, wie es laut ZDF aus CDU-Kreisen heißt, doch nur eine soziologisch-statistische Feststellung getroffen: „Die Aussage vom Gillamoos beziehe sich darauf, dass ausweislich der offiziellen Bevölkerungsstatistik etwa sieben von zehn Bürgern in Deutschland in Dörfern und Städten unter 100.000 Einwohnern lebten.“ Das stimmt, auch wenn man nicht ganz versteht, was das mit dem Gillamoos zu tun hat.
Der Gillamoos ist nämlich gar keine Gemeinde, sondern ein Jahrmarkt in Abensberg. Abensberg ist ein Städtchen in Niederbayern, Aiwanger-Land. Aber man soll nicht zu pingelig sein. Am Ende hat man sonst noch ein Problem mit alten Nazi-Flugblättern, über die sich eigentlich ja auch kein normaler Mensch aufzuregen braucht. Und wenn Trump Belgien für eine schöne Stadt hält, dann darf Merz auch den Gillamoos für einen schönen Ort halten. Ist er ja auch irgendwie, halt anders.
An Besucher:innen mangelt es nicht, von 300.000 spricht die Stadt Abensberg. Da kommt das mit den sieben von zehn Bürger:innen nicht mehr ganz hin. Auch egal. Merz wollte ja nur gegen die Großstädter polemisieren. Und in Deutschland leben nun mal 100 % der Menschen in Gemeinden unter 5 Millionen Einwohner:innen, der Größenklasse, in die auch Abensberg mit seinen ca. 14.000 Einwohner:innen fällt, die Frauen mitgezählt. Damit wäre auch dieses Problem bravourös gelöst.
Kommentare (13)