Einem Bonmot von Maxim Gorki zufolge muss man nicht in einer Bratpfanne gelegen haben, um über ein Schnitzel zu schreiben. Natürlich gibt es Dinge, die sich nur aus der Erste-Person-Perspektive beschreiben lassen, und natürlich ist manches einfacher zu beschreiben, wenn man dazu einen eigenen Erfahrungshintergrund hat. Aber folgt daraus, dass Wahrheit und Objektivität grundsätzlich soziale Konstruktionen sind, noch dazu solche, die auf subtile Weise Macht ausüben?
Das war der Mainstream des Denkens der Postmoderne und ihrer philosophischen Vorläufer von Nietzsche bis Feyerabend. Ihnen ging es darum, scheinbar objektive Beschreibungen zu „dekonstruieren“, die dahinterliegenden Prägungen und Machtmechanismen aufzudecken. Das hat unser Verständnis von Wahrheit und Wissen vertieft, aber zugleich oft das Kind mit dem Bade ausgeschüttet, in die Sackgasse relativistischer Positionen geführt, die ihren eigenen Geltungsanspruch untergraben.
Manche postmoderne Autor:innen, wie Bruno Latour, haben sich später wieder eines Besseren besonnen, aber die Erbschaft des postmodernen Denkens findet sich bis heute nicht nur in rechten, sondern auch in linken, gerechtigkeitsorientierten, Konzepten wieder: in Teilen der Gender Studies, postkolonialen Theorien oder in der Critical Race Theory. Dort werden Geltungsansprüche von Aussagen mitunter aus konkreten Diskriminierungserfahrungen oder der Zugehörigkeit zu einer Opfergruppe abgeleitet und als privilegierte Erkenntnisposition gegen das Mitsprechen und Mitdenken anderer Menschen in Stellung gebracht.
Die Philosophin Susan Neiman nennt das „Stammesdenken“. Sie verwehrt sich dagegen, dass solches Stammesdenken das moderne linke Denken sei: Links ist nicht woke, Hanser Verlag, Berlin, 175 Seiten, 22 Euro. Dazu wieder zum „Anteasern“ eine 7-Zeilen-Rezension.
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Zum Weiterlesen:
• Amartya Sen: Die Identitätsfalle. Warum es keinen Krieg der Kulturen gibt. München 2007.
• Paul Boghossian: Angst vor der Wahrheit. Frankfurt 2013.
• Omri Boehm: Radikaler Universalismus. Berlin 2022.
• Bruno Latour: Elend der Kritik. Zürich/Berlin 2007.
• Thomas Nagel: Der Blick von nirgendwo. Frankfurt 1992.
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