Am 18. November soll Erdogan zu einem Besuch in Berlin eintreffen. Das wird ein interessantes Treffen. Erdogan sieht die Hamas in Palästina, anders als die bewaffneten kurdischen Gruppen im eigenen Land, als „Befreiungsorganisation“. Und der Westen sei schuld daran, was im Gaza-Streifen geschehe, wie auch an allem, was ihm sonst nicht gefällt.
Vor drei Wochen sagte Außenministerin Baerbock: „In diesen Tagen sind wir alle Israelis“. Man versteht die Emotion hinter dieser Kennedy-Anleihe, aber der Satz ist in jeder Hinsicht Unsinn. Uns haben keine Hamas-Kommandos überfallen und wir müssen keine zivilen Opfer bei unseren Reaktionen im Gaza-Streifen verantworten. Zumindest noch nicht. Israels Sicherheit, so betonen deutsche Politiker:innen derzeit bei jeder Gelegenheit, sei „deutsche Staatsraison“. Ein Satz, der alles zu rechtfertigen scheint, als stünde er in Artikel 1 im Grundgesetz. Habeck sprach von „uneingeschränkter Solidarität“ mit Israel, und bei „Lanz“ formulierte er als Konsequenz daraus den vieldeutigen Satz „Die Solidarität mit Israel schließt natürlich auch militärische Unterstützung mit ein.“ Natürlich. Was wäre das sonst für eine „uneingeschränkte Solidarität“. Aber ist damit die Lieferung von Helmen gemeint oder der Einsatz deutscher Soldaten? Sind wir alle Israelis in diesen Tagen, uneingeschränkt? The Germans to the front?
Man darf gespannt sein, was sich die deutsche und die türkische Seite angesichts solch gegensätzlicher Positionen vor oder nach dem obligatorischen Händeschütteln zu sagen haben – und was man uns danach sagt. Weltpolitik findet – wieder einmal – ohne die Menschen statt, die ausbaden müssen, was sich die Weltenlenker einfallen lassen. Man nimmt uns unsere Verantwortung ab. Allerdings ist es nicht nur schwer, sich Gehör zu verschaffen, es ist auch schwer, wie schon beim Ukrainekrieg, die eigene Verantwortung bei diesen mörderischen Geschehnissen überhaupt vernünftig zur Sprache zu bringen, ohne falsche Parteinahmen und ohne falsche Neutralität. Eine aufgeklärte Friedensbewegung täte not. Trotzdem sollte es zum zivilgesellschaftlichen Teil der deutschen Staatsraison gehören, den Dingen nicht einfach sprachlos oder gar achselzuckend ihren Lauf zu lassen, z.B. der demonstrativen Artikulation von Hass auf unseren Straßen untätig zuzusehen. Das zumindest ist unsere Verantwortung. Ob die Weltenlenker der ihren gerecht werden, wird man sehen, auch bei Erdogans Besuch in Berlin.
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