Vor ein paar Wochen war hier der „PKV-Regionalatlas Bayern“ Thema der Diskussion. Dort wurden Zahlen präsentiert, die zeigen sollen, dass die PKV besonders bei Ärzt:innen im ländlichen Raum für hohe Einkommen sorgt. Allerdings ist das Rechenwerk merkwürdig, die Daten sind nicht plausibel und beruhen möglicherweise auf einer falschen regionalen Inbezugsetzung von Beitragsaufkommen und Arztzahlen.
Heute hat in der Süddeutschen Zeitung Nina von Hardenberg den PKV-Regionalatlas unter der Überschrift „Land lohnt sich für Ärzte“ aufgegriffen. Basis ist offensichtlich, wie schon in der sommerlichen Pressemitteilung der Vereinigung der Bayerischen Wirtschaft, die Anlass meines ersten Blogbeitrags war, eine Aktualisierung des PKV-Regionalatlas 2019.
Frau von Hardenberg schreibt, dass der Atlas „der SZ exklusiv vorliegt“. Allerdings berichtet der Münchner Merkur heute ebenfalls, vielleicht liegt ihm die PKV-Broschüre ebenfalls „exklusiv“ vor. Für andere Bundesländer gibt es auch solche Atlanten mit entsprechender Pressebegleitung.
Weiter schreibt Frau von Hardenberg:
„Die Studie schlüsselt die Umsätze mit Privatpatienten erstmals nach Städten, Landkreisen sowie Regionen auf. Es zeigt sich, dass die Landärzte keinen Grund zu klagen haben.“
Dass die ihr vorliegende Studie „erstmals“ die Umsätze nach Städten und Landkreisen aufschlüsselt, ist nicht ganz richtig, es gab ja bereits den Regionalatlas Bayern 2019. Und ob die Landärzte keinen Grund zu klagen haben, mögen sie selbst sagen.
Sie folgt der Argumentation des PKV-Verbands weiter und stellt die gängigen Befunde über die Effekte von vielen PKV-Versicherten und Ärzteniederlassungen infrage:
„In der Diskussion über den Ärztemangel wird oft behauptet, dass der höhere Privatpatientenanteil und die damit verbundenen besseren Verdienstmöglichkeiten die Ärzte in die Städte lockten.“
Hier wäre es gut gewesen, Frau von Hardenberg hätte die Diskussion dazu zur Kenntnis genommen und wäre darauf eingegangen. Der Bericht der Wissenschaftlichen Kommission für ein modernes Vergütungssystem bestätigt beispielsweise die bekannte Stadt-Land-Verteilung von PKV-Erlösen:
Und was den Zusammenhang von Privatversicherten und Niederlassungen angeht, kann man einer zwar schon etwas älteren, aber vom Grundsatz her noch gültigen Studie von Sundmacher & Ozegowski entnehmen, dass dieser Zusammenhang nicht nur behauptet wird, sondern nachweisbar ist (S. 35):
„Insgesamt stützt unsere Analyse die These, dass der Anteil der PKV-Versicherten an der Gesamtbevölkerung die Standortwahl niederlassungswilliger Ärzte in relevantem Ausmaß mitbestimmt. Eine hohe PKV-Versichertendichte geht insbesondere mit einer höheren Facharztdichte einher. Die Korrelation des Anteils Privatversicherter und der Arztdichte kann in dieser Analyse unabhängig von dritten Faktoren wie der Präsenz von Universitätsklinken, der Attraktivität einer Gegend sowie dem geschätzten medizinischen Bedarf betrachtet werden.“
Mehr noch: Die regionale Verteilung des Anteils an PKV-Versicherten lässt eine in Bayern besonders ausgeprägte regionale Dichte von PKV-Versicherten im Wohlstandsgürtel in Südbayern erkennen. Das müsste bei einer Analyse von Stadt-Land-Unterschieden unbedingt beachtet werden.
Im PKV-Regionalatlas werden Stadt-Land-Unterschiede dagegen in origineller Weise analysiert. Die SZ folgt dem PKV-Verband auch hier kritiklos:
„Vor allem aber leben in Bayern in der Stadt gar nicht mehr Privatpatienten als auf dem Land. Es ist ein Anliegen der Studie, mit diesem gern zitierten Missverständnis aufzuräumen. In der Diskussion über den Ärztemangel wird oft behauptet, dass der höhere Privatpatientenanteil und die damit verbundenen besseren Verdienstmöglichkeiten die Ärzte in die Städte lockten.“
Nur, hat sie recherchiert, ob das wirklich ein Missverständnis ist? Man weiß es nicht. Schon der – online zugängliche – Regionalatlas 2019 hat die gleiche Argumentation vorgebracht. Schaut man dort in Tabelle 3 mit einer Auflistung des PKV-Marktanteils für die bayerischen Landkreise und Städte, so reibt man sich etwas verwundert die Augen. Dort werden den Landkreisen siedlungsstrukturelle Regionstypen des Bundesinstituts für Bau- Stadt- und Raumordnung (BBSR) zugeordnet. 1 für städtische Regionen, 2 für Regionen mit Verstädterungsansätzen, 3 für ländliche Regionen.
Allerdings ist das die Klassifikation der 18 Raumordnungsregionen in Bayern, bei der das BBSR bestimmte Kriterien anlegt, die eine größere Region kennzeichnen. Wenn man das einfach auf alle Kreise und Städte in den jeweiligen Regionen überträgt, wie es der PKV-Regionalatlas gemacht hat, bekommt beispielsweise der Landkreis Erding die 1 des Großraums München, dafür die Stadt Bamberg mit ihren immerhin fast 80.000 Einwohner:innen die 3, also „ländlicher Raum“, weil in der Raumordnungsregion keine Großstadt liegt. Regensburg mit seinen 150.000 Einwohner:innen erbt immerhin die 2 der umgebenden Planungsregion. Augsburg mit ca. 300.000 Einwohner:innen bekommt aber auch nur eine 2.
Von den 25 kreisfreien Städten in Bayern sind nach diesem Schema 16 (!) dem Regionaltyp 3, ländlicher Raum, zugeordnet, nur 5 dem Regionaltyp 1, städtische Region. Es gibt in Bayern nur zwei Raumordnungsregionen vom Regionaltyp 1 – der Großraum München und der Großraum Nürnberg. Man hätte mit BBSR-Daten auch feinere siedlungsstrukturelle Einordnungen vornehmen können, Erding wäre dann z.B. als ländliche Region eingestuft worden.
Vielleicht ist das ja in der aktuellen Version des Regionalatlas bereits berücksichtigt, wenn nicht, ist die Differenzierung nach Regionaltypen auf Kreisebene sinnbefreit, und ebenso die daran geknüpften Aussagen über Stadt-Land-Unterschiede.
Allerdings ist rund um die Städte der Marktanteil der PKV in der Tat oft etwas höher als in den Städten selbst: viele Besserverdiener wohnen im Einfamilienhaus im Grünen. Das kennzeichnet aber eben nicht die ländlichen Regionen insgesamt.
Am Ende des Artikels wird die Katze aus dem Sack gelassen:
“Die Studie ist für die PKV damit auch ein Argument gegen die immer wieder geforderte Zusammenlegung von gesetzlicher und privater Krankenversicherung.”
Darum also geht es. Aber wie tragfähig ist das Argument? Einmal unterstellt, die Daten im PKV-Regionalatlas gäben die Einkommensverhältnisse in Bayern korrekt wieder: Entfallen damit alle anderen, stärkeren Argumente für die Beseitigung dieser fast weltweit einmaligen Parallelstruktur in der Vollversicherung? Und müsste aus der Studie dann nicht die Forderung folgen, alle finanziellen Förderprogramme für Niederlassungen im ländlichen Raum zu streichen? Schließlich hätten doch, so Frau von Hardenberg, „die Landärzte keinen Grund zu klagen“? Diese Forderung erheben aber – zu Recht – weder der PKV-Verband noch Frau von Hardenberg.
Frau von Hardenberg zitiert vielmehr zum Abschluss noch aus dem Koalitionsvertrag von CSU und FW:
“Wir stehen zu gesetzlicher und privater Krankenversicherung. Eine Einheitsversicherung lehnen wir ab.”
Es wäre guter Journalismus gewesen, an der Stelle zumindest darauf aufmerksam zu machen, dass im Grundsatzprogramm der FW etwas ganz anderes steht und bei den FW einmal nachzufragen, wie dieser Widerspruch bewertet wird.
Stattdessen übernimmt Nina von Hardenberg die Argumentation des PKV-Verbands völlig kritiklos. Sie stellt den Daten des PKV-Verbands keine anderen Befunde gegenüber, sie hinterfragt weder die Daten noch die damit verbundene politische Strategie. Das war kein Glanzstück des Medizinjournalismus.
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