Die Bürgerversicherung, also eine Kranken- und Pflegeversicherung, in die alle einzahlen, war hier im Blog immer wieder mal Thema, zuletzt im Zusammenhang mit einer Diskussion auf dem WIdO-Symposium am 4. Mai 2023, dann beim Buch „Die ökonomische Vernunft der Solidarität“ von Hartmut Reiners und schließlich gerade erst mit dem Hinweis auf Hubert Aiwangers Gedächtnislücken, was das Grundsatzprogramm seiner Partei angeht.

Das Thema kann man identitätspolitisch angehen, als Aufforderung zu einem Bekenntnis in der einen oder anderen Richtung, meist dem alten Schema „Freiheit oder Sozialismus“ folgend, oder man kann sich einzelne ökonomische Argumente ansehen und ihre Tragfähigkeit diskutieren.

Letzteres will ich hier wieder einmal mit Blick auf eine Pressemitteilung der Vereinigung der Bayerischen Wirtschaft e.V. (vbw) vom 1. August 2023 tun. Dort heißt es:

„Insbesondere im ländlichen Raum tragen die Mehrerlöse, die niedergelassene Ärzte durch Privatversicherte erzielen, dazu bei, die Qualität der Versorgung zu verbessern. Würden diese mit der Einführung einer Bürgerversicherung wegfallen, käme es zu einer deutlichen Verschlechterung bei der Versorgung.“

Zur Begründung wird angeführt:

„Dieser PKV-typische Mehrumsatz entsteht, weil Privatpatienten für viele Leistungen höhere Honorare entrichten als sie bei gesetzlich Versicherten anfallen. Die zusätzlichen Finanzmittel können Ärztinnen und Ärzte, Therapeuten und Krankenhäuser in Fachpersonal oder moderne Praxisinfrastruktur investieren. Davon profitieren somit alle Patientinnen und Patienten.“

Richtig ist natürlich, dass Privatversicherte in der Regel mehr Geld beim niedergelassenen Arzt lassen als gesetzlich Versicherte. Eine ganz andere Frage ist allerdings, ob für die Ärzte insgesamt mit einer Bürgerversicherung weniger Geld zur Verfügung stünde. Wenn die Beiträge der Privatversicherten in eine Bürgerversicherung fließen würden, würde das Beitragsaufkommen ja nicht kleiner, es würde nur anders verteilt. Und wenn sie auch noch einkommensabhängige Beiträge entrichten würden, würde das Beitragsaufkommen sogar größer.

Nur nebenbei, weil in den Passus auch die Krankenhäuser angesprochen werden: Bei den Krankenhäusern ist die DRG-Finanzierung für privat und gesetzlich Versicherte gleich, daran würde sich durch eine Bürgerversicherung also nichts ändern. Gesetzlich Versicherte können sich zudem durch eine private Zusatzversicherung auch Einzelzimmer und Chefarzt-Behandlung kaufen, wobei Letzteres nicht immer empfehlenswert ist.

Der Passus in der vbw-Pressemitteilung suggeriert zudem, dass die PKV die Versorgungsinfrastruktur auch für die gesetzlich Versicherten im ländlichen Raum sichert. Das ist aber angesichts von fast 90 % gesetzlich Versicherten in der Bevölkerung eine etwas eigenwillige Sichtweise, umgekehrt wird eher ein Schuh daraus. Die große Zahl der gesetzlich Versicherten und der Sicherstellungsauftrag der Kassenärztlichen Vereinigungen sorgt dafür, dass auch die privat Versicherten im ländlichen Raum einen Arzt in Wohnortnähe haben. Ganz davon abgesehen, dass für Investitionen der Krankenhäuser ohnehin nicht die Krankenversicherung zuständig ist, das ist Aufgabe der Länder. Allerdings kommen die Länder dieser Verpflichtung immer weniger nach, so dass die Investitionen der Krankenhäuser aus den Behandlungserlösen querfinanziert werden. Das ist ein Streitpunkt von vielen bei der aktuellen Krankenhausreform.

Die Aussagen in der vbw-Pressemitteilung stützen sich auf den PKV-Regionalatlas Bayern, darauf deutet dieser Passus der Pressemitteilung hin:

„Im ländlichen Landkreis Wunsiedel erzielen die niedergelassenen Ärztinnen und Ärzte von Privatversicherten Mehrerlöse im Realwert von durchschnittlich 81.755 Euro pro Jahr, in den Praxen im Großraum Nürnberg sind es demgegenüber „nur“ 52.841 Euro.“

Solche „Realwert“-Kennziffern werden im PKV-Regionalatlas Bayern präsentiert. Sie sollten aufzeigen, wie viel Mehrumsatz unter Berücksichtigung von Kostenstrukturen in den Praxen anfällt. Die Daten aus dem PKV-Regionalatlas sind in der Tat beeindruckend. Demnach würden Ärzte im ländlichen Raum deutlich mehr von den PKV-Einnahmen profitieren als Ärzte in den Städten:

Woher in der vbw-Pressemitteilung die Werte für Wunsiedel und den „Großraum Nürnberg“ kommen, ist unklar. Der PKV-Regionalatlas weist für den Landkreis Wunsiedel 67.656 Euro aus, nicht 81.755 Euro, und die Daten für die Region Nürnberg lassen sich im PKV-Atlas ebenfalls nicht finden. Der PKV-Regionalatlas ist von 2019. Falls der vbw neuere Daten von der PKV erhalten hat, wären die großen Unterschiede zu den Daten 2019 ein Hinweis auf die Instabilität der Daten.

Was auch immer die Daten beschreiben, es wirkt befremdlich, wenn z.B. die kreisfreie Stadt Landshut mit 22.275 Euro den geringsten „Realwert“ aufweist, der Landkreis Landshut mit 182.904 Euro den höchsten, also das 8-fache der Stadt. Wie kann das sein? Auch in anderen Regionen gibt solche erheblichen kleinräumigen Differenzen. Unterschiedliche Kostenstrukturen in Stadt und Landkreis Landshut stehen nicht dahinter, die im PKV-Regionalatlas ebenfalls ausgewiesenen Nominalwerte unterscheiden sich der gleichen Größenordnung (Landkreis Landshut 170.026 Euro versus Stadt Landshut 19.603 Euro). Plausibel wären große Kostenstrukturunterschiede unmittelbar benachbarter Regionen ohnehin nicht.

Im PKV-Regionalatlas werden mit den Daten gesundheitspolitisch hoch relevante Thesen begründet (S. 47):

„Das Vorurteil, dass im ländlichen Raum einzelne Privatversicherte als „Trittbrettfahrer“ die von der GKV flächendeckend finanzierte medizinische Infrastruktur nutzen, ist mit Blick auf die Höhe des Realwertes der altersadjustierten Mehrumsätze auf dem Lande als substanzlos zu betrachten.

Darüber hinaus widerlegt der PKV-Regionalatlas Bayern einen weiteren populären und politischen Irrtum. Dass nämlich für die Standortentscheidung medizinischer Leistungserbringer insbesondere der Anteil der Privatversicherten von Relevanz sei und es deshalb zu einer Ungleichverteilung der Ärzte zwischen Stadt und Land käme. Die Regionalergebnisse für Bayern zeigen in diesem Zusammenhang in eine vollständig andere Richtung.“

Die Daten für Stadt und Landkreis Landshut sind dafür ein exemplarischer Prüfstein. Wenn allein der Mehrumsatz durch die PKV-Patienten im Landkreis in einer solchen Größenordnung liegen soll, wie hoch muss dann der Gesamtumsatz sein? Arbeiten im Landkreis Landshut nur Radiologen, oder Ärzte auf deren Einkommensniveau? Und bedarf es dann wirklich noch einer finanziellen Niederlassungsförderung für den ländlichen Raum?

Die Daten sind, wie gesagt, beeindruckend. Aber die Gesundheitspolitik braucht belastbare und überzeugende Daten. Sind sie es?

Kommentare (42)

  1. #1 PDP10
    1. Oktober 2023

    weil Privatpatienten für viele Leistungen höhere Honorare entrichten als sie bei gesetzlich Versicherten anfallen.

    Warum ist das eigentlich so? Gibt es dafür irgendeinen nachvollziehbaren ökonomischen Grund? Das ist was, was ich nie so ganz verstanden habe …

    • #2 Joseph Kuhn
      2. Oktober 2023

      @ PDP10:

      “Gibt es dafür irgendeinen nachvollziehbaren ökonomischen Grund?”

      Die Vergütungsbedingungen sind eben andere (GOÄ versus EBM) und unter anderem erstattet die PKV manche Leistung, die die GKV nicht erstattet und den gesetzlich Versicherten nur als private IGe-Leistung verkauft werden kann. Ansonsten ist das so ähnlich wie bei Marken-T-Shirts, die kosten auch mehr, selbst wennn sie in Bangladesh in der gleichen Fabrik vom gleichen Band laufen wie die billigen Shirts.

      In der Psychotherapie ist es seit einiger Zeit übrigens anders. Daher haben Privatversicherte, die einen Psychotherapieplatz suchen, für sie ungewohnte Probleme.

  2. #3 Staphylococcus rex
    2. Oktober 2023

    Eine kleine Anmerkung: beide ambulante Vergütungssysteme sind kein wirklicher Maßstab für die tatsächliche ärztliche Leistung. Die GOÄ (gilt für PKV und Beihilfe) ist als Abrechnung von Einzelleistungen konzipiert, wurde aber wegen der Kosten für die Beihilfe seit Jahrzehnten nicht mehr aktualisiert (es gab genug Anläufe, aber die GOÄ muss vom Bundestag genehmigt werden). Der EBM ist die ambulante Vergütung für die GKV, dabei ist die Kassenärztliche Vereinigung als Körperschaft des öffentlichen Rechts nicht in der Lage, die Interessend der Ärzte gegenüber der GKV durchzusetzen, dementsprechend ist der EBM eher als Sonderpreisvereinbarung unter dem Diktat der GKV zu verstehen. Das Kassenarztrecht verbietet es den niedergelassenen Ärzten, in einen offenen unbefristeten Streik zu gehen, der einzige echte Ausgleichsmechanismus ist der Versorgungsauftrag, wenn die Ärzte mit den Füßen abstimmen (indem sie freie Kassenarztsitze boykottieren), muss die GKV gegensteuern. Dies erklärt auch die punktuelle Besserstellung der GKV in der Psychotherapie. Streng genommen brauchen wir eine dritte Gebührenordnung, nämlich eine GOÄ für Selbstzahler, welche unabhängig vom politischen Einfluss die realen Kosten abbildet.

    Was die PKV-Erlöse in den Städten und Landkreisen in Bayern betrifft, die Zahlen sind nicht plausibel. Mögliche Erklärungen für die deutlich niedrigeren PKV-Erlöse in den Großstädten wären einerseits die Konkurrenzsituation in den Städten durch lokale Überversorgung, das Vorhandensein rein privatärztlich tätiger Ärzte in den Metropolen, die in der GKV-Statistik nicht auftauchen sowie die Verdrängung von Arztpraxen aus der Stadt in den Speckgürtel aufgrund der Immobilienpreise. Ich kann nicht beurteilen, wie stark diese Effekte sind.

  3. #4 Staphylococcus rex
    2. Oktober 2023

    Nachtrag: Die GKV ist prinzipiell als selbstregulierendes System ausgelegt (Stichwort Selbstverwaltung), allerdings wurde die Selbstregulation auf dem Altar der Kostendämpfung geopfert (und wird unter dem Euphemismus Beitragsstabilität verkauft).

    Das Hauptproblem ist nicht PKV vs Bürgerversicherung, sondern das Hauptproblem ist der Reformstau, unkoordinierte Maßnahmen zur Kostendämpfung sind wie Sand im Getriebe und sorgen für Reibungsverluste und Frustration bei allen Beteiligten. Ich wünsche mir einen runden Tisch aller Leistungserbringer im Gesundheitswesen, damit einerseits die Akteure wieder miteinander anstatt gegeneinander arbeiten und andererseits wieder selbstregulierende Mechanismen aktiviert werden. Der Aufbau neuer Strukturen bzw. Umbau bestehender Strukturen würde sicher eine Anschubfinanzierung erfordern, sollte sich aber nach wenigen Jahren amortisieren. Wenn die Leistung adäquat bezahlt würde, dann wäre es dem niedergelassenen Arzt egal, woher das Geld kommt und dann würde auch die Ungleichbehandlung zwischen GKV und PKV enden. Selbst bei einer Bürgerversicherung wird es irgendwelche Leistungsbegrenzungen geben, wo private Anbieter aktiv werden.

    • #5 Joseph Kuhn
      2. Oktober 2023

      @ Staphylococcus rex:

      “Selbst bei einer Bürgerversicherung wird es irgendwelche Leistungsbegrenzungen geben, wo private Anbieter aktiv werden.”

      Davon gehen alle Modelle aus, das ist auch kein Problem.

      “Ich wünsche mir einen runden Tisch aller Leistungserbringer im Gesundheitswesen”

      Einen erweiterten G-BA? Ob damit etwas besser würde?

      “damit einerseits die Akteure wieder miteinander anstatt gegeneinander arbeiten”

      Das ist nicht der Sinn der Sache in einem pluralistischen System. Da entsteht das Gemeinsame aus dem Kompromiss unterschiedlicher, auch gegensätzlicher Interessen, nicht aus einer Leibnizschen prästabilierten Harmonie.

      “Wenn die Leistung adäquat bezahlt würde …”

      … hätten vor allem die Pflegekräfte mehr vom Kuchen 😉

  4. #6 naja
    2. Oktober 2023

    „Dieser PKV-typische Mehrumsatz entsteht, weil Privatpatienten für viele Leistungen höhere Honorare entrichten als sie bei gesetzlich Versicherten anfallen. Die zusätzlichen Finanzmittel können Ärztinnen und Ärzte, Therapeuten und Krankenhäuser in Fachpersonal oder moderne Praxisinfrastruktur investieren. Davon profitieren somit alle Patientinnen und Patienten.“

    Ja, wenn es um niedergelassene Ärzte geht, ist das eine null Aussage, oder? Klar, das können sie tun. Sie können sich aber auch einen Porsche kaufen, oder eine Millionen Plastik Sponge Bob Figuren aus China. Davon profitiert fast niemand. Oder sind die Ärzte gezwungen, diese zusätzlichen Finanzmittel in ihre Praxis zu investieren?

  5. #7 M. Hahn
    2. Oktober 2023

    „[…] PKV-typische Mehrumsatz . Die zusätzlichen Finanzmittel können Ärztinnen und Ärzte, […] in Fachpersonal oder moderne Praxisinfrastruktur investieren.”
    Ja, *können*.
    Investitionen in Steuer-Abschreibungs-Objekte gehen aber auch.

  6. #8 Neumann
    2. Oktober 2023

    Um es einmal anschaulicher zu machen .
    Für den Zahnarzt gibt es Regelsätze.
    Der Zahnarzt teilt seinem Privatpatienten mit, ob er z.B. das 2,5 fache oder das 3,5 fache des Regelsatzes verlangt.
    Der Privatversicherte fragt bei seiner privaten Krankenversicherung nach, das Wievielfache seine Versicherung vergütet.
    Mein Zahnarzt verlangt das 2,3 fache und leistet dabei gute Arbeit.
    Wenn ein Zahnarzt hohe Gebühren verlangt, bleiben die Kunden weg. Z.B. bei der Zahnreinigung, wo der Patient Vergleiche anstellen kann.
    Ärzten grundsätzlich zu unterstellen, dass sie ihre Einkünfte in Abschreibungsobjekte investieren ist nur bösartig.
    Mein Zahnarzt ist ein ausgesprochener Menschenfreund !

  7. #9 Staphylococcus rex
    2. Oktober 2023

    Auf den heutigen Protest-Tag der niedergelassenen Ärzte gibt es unterschiedliche Sichtweisen:
    https://www.spiegel.de/gesundheit/diagnose/karl-lauterbach-kritisiert-aerzte-vor-streik-am-brueckentag-a-d8a3652e-0ece-4e84-a7a3-c0edcb7992a2
    https://www.aerzteblatt.de/nachrichten/146316/Kampagne-Praxis-in-Not-Protesttag-am-kommenden-Montag

    @JK, das “miteinander arbeiten” bedeutet nicht, dass alle der gleichen Meinung sein müssen, dass aber soviel Kommunikation stattfindet, dass ein Interessensausgleich möglich ist. Die Bemerkung zum runden Tisch war eher ein Ausdruck der Resignation. Wir brauchen keine weitere Schwafelrunde mit asymmetrischen Machtverhältnissen. Mir schwebte eher eine Klausurtagung aller Beteiligten (incl. Minister) vor, die erst verlassen werden darf, wenn weißer Rauch aus dem Schornstein kommt, wenn also ein tragfähiges und mehrheitsfähiges Konzept für den Strukturwandel verabschiedet ist. Im worst case müßte Lauterbach bis zur nächsten Bundestagswahl ausharren, aber das wäre ja Freiheitsberaubung 😉

    Sprachlich ist in der aktuellen Diskussion ein weiteres Detail wichtig: Der niedergelassene Arzt ist ein Kleinunternehmer und für seine Praxis wirtschaftlich voll verantwortlich. Die Arbeitszeit ist nicht nur die vertragsärztliche Sprechstunde sondern auch die gesamte Praxisverwaltung incl. Mitarbeiterführung, Steuer, Einkauf, Weiterbildung etc. Das Praxiseinkommen verteilt sich dadurch auf ein Stundenlimit von deutlich mehr als 40 Stunden und ist ohne einen gewissen Grad an Selbstausbeutung nicht zu schaffen. In einer Staatsmedizin entfällt die Selbstausbeutung und damit sinkt gerade in strukturschwachen Gegenden der Pool an ärztlicher Arbeitskraft.

  8. #10 naja
    2. Oktober 2023

    @ Neumann
    Ich würde das auch nicht grundsätzlich unterstellen. Und selbst wenn jemand lieber in Luxusgüter investiert, ist das ja jetzt nicht unmenschlich, sondern eher erwartbar. Es lastet bei der Sichtweise (“Davon profitieren somit alle Patientinnen und Patienten.”) einfach sehr viel Vertrauen in trickle down Effekte, die am Ende quasi automatisch allen Patienten nutzen.

  9. #11 Neumann
    2. Oktober 2023

    naja
    Man darf die Landärzte nicht vergessen, deren Klientel keine Privatpatienten sind.
    Zu der Frage von Herrn Kuhn, bezüglich Realwert, meint er den Realwert also die Ausstattung mit Geräten oder den Jahresumsatz der Praxis abzüglich der Kosten.
    Neben dem Umsatz gibt es ja noch den Reingewinn, der erst nach den Abschreibungen ermittelt werden kann.
    Und wieviel so eine Praxis real bei einem Verkauf erzielt ist wieder eine andere Sache.
    Anmerkung: Ich bin kein Bilanzbuchhalter also die Wertermittlung einer Praxis ist hier nur bruchstückhaft angedeutet.

    • #12 Joseph Kuhn
      2. Oktober 2023

      @ Neumann:

      “meint er den Realwert also die Ausstattung mit Geräten oder den Jahresumsatz der Praxis abzüglich der Kosten.”

      Lesen würde helfen, entweder im Blogbeitrag oder im verlinkten PKV-Dokument. Es geht nicht um die Ausstattung, um keine Bestandsgröße, sondern um eine Stromgröße. Die zweite Alternative kommt der Sache schon etwas näher, es geht um den Mehrumsatz durch die PKV-Versicherten, nicht nominal, sondern für Kostenstrukturen adjustiert.

  10. #13 Neumann
    2. Oktober 2023

    Der Begriff des Realwertes beinhaltet die gesamte Problematik ob man eine Strukturförderung braucht.
    Und da der „Realwert“ hauptsächlich von der Struktur abhängt, wo die Versicherten wohnen, wie sie versichert sind und vorallem wie alt sie sind, wäre der Begriff „Strukturwert“ aufschlussreicher.

    Man sagt 50 % der Krankenkosten entfallen auf die Jugend und 50 % entfallen auf das Alter.
    In der Statistik ist nicht die Altersstruktur aufgeführt. Der Unterschied bei Stadt und Landkreis Landshut könnte mit der Altersstruktur zusammenhängen. Oder ist die Innenstadt von Landshut sozial heruntergekommen und die Gutverdienenden sind in die Außenbezirke abgewandert ?

    • #14 Joseph Kuhn
      2. Oktober 2023

      @ Neumann:

      XXX

      [Edit: Ich lösche mal meinen eigenen Kommentar und überlege mir im Umgang mit Ihren Assoziationen etwas Neues. JK]

  11. #15 Neumann
    2. Oktober 2023

    Gratualation zu Ihrem Humor. Mit der Wahrheit muss man kämpfen , damit sie auch der andere versteht.

  12. #16 Omnivor
    Am 'Nordpol' von NRW
    2. Oktober 2023

    Liegen die Unterschiede zwischen Stadt und Land vielleicht daran, dass die Ärzte lieber in der Stadt wohnen und arbeiteten und deshalb pro Praxis nicht so viele PKV-Patienten anfallen?

    Den Ärztemangel gibt es doch auf dem Land!
    Also diese Statistik den Medizinstudenten zeigen.
    Da sparen wir uns doch die ganzen Förderprogramme.

  13. #17 Omnivor
    Am 'Nordpol' von NRW
    2. Oktober 2023

    ceterum censeo: Die Gesundheitsversorgung sollte nicht in den Händen von Profit Centern in Privatbesitz (Praxen, apotheken, Krankenhäusern) liegen, sondern durch gemeinnützige Institutionen erfolgen.

  14. #18 naja
    3. Oktober 2023

    @Neumann #11
    Aber im obigen Beitrag steht doch genau das Gegenteil. Ärzte im ländlichen Raum profitieren laut dem PKV Regionalatlas Bayern deutlich mehr von den PKV Einnahmen als Ärzte in Städten.

  15. #19 Neumann
    3. Oktober 2023

    XXX

    [Edit: Kommentar gelöscht. Ich habe eine Münze geworfen, ob ich ihn freischalten soll. Leider waren Sie nicht nur beim Inhalt nicht erfolgreich. JK]

  16. #20 hto
    Wo der "Tanz um den heißen Brei" ...
    3. Oktober 2023

    #5 @Kuhn: “Das ist nicht der Sinn der Sache in einem pluralistischen System. Da entsteht das Gemeinsame aus dem Kompromiss unterschiedlicher, auch gegensätzlicher Interessen, nicht aus einer Leibnizschen prästabilierten Harmonie.”

    In diesem System, wo das “gesunde” Konkurrenzdenken des nun “freiheitlichen” Wettbewerbs die Konfusion der Menschen stets immer weiter spaltet, für den “Individualbewussten” Profit- und Konsumautismus, da muss wohl jeder zum satirischen Zyniker werden, im kategorisch-kantschen Humbug – Schon Kompromissbereitschaft ist der erste Schritt in diese Verkommenheit!?

    • #21 Joseph Kuhn
      3. Oktober 2023

      @ hto:

      Üben Sie christliche Nachsicht mit uns armen Sündern. Uns ist anders als Ihnen die göttliche Offenbarung der absoluten Wahrheit nicht gegeben, wir müssen miteinander sprechen, Kompromisse suchen und auch Interessensgegensätze austragen, im Idealfall friedlich und zivilisiert.

      Das gilt auch für so banale Themen wie die Krankenversicherung. Immerhin reicht die kühnste Phantasie bei manchen von uns so weit, eine Bürgerversicherung für solidarischer und zugleich ökonomisch sinnvoller zu halten als das Nebeneinander von PKV und GKV. Und natürlich glauben auch wir daran, dass man beides im Paradies nicht bräuchte, oder wenn alle reich und gesund wären.

      Probieren Sie es einfach mal mit Calvins Position: Alles ist vorherbestimmt. Ob Sie am Ende der ewigen Verdammnis anheimfallen oder nicht, hängt nicht von Ihren Werken ab, vor allem nicht von Ihren Kommentaren hier im Blog, sondern allein von der Gnade Gottes, der auch Ihr Schicksal bereits vorherbestimmt hat. Vielleicht macht Ihnen das den Verzicht auf denen einen oder anderen Ihrer Kommentare, die in der Regel sowieso im Spamfilter enden, leichter. Alles Gute auf Ihrem weiteren Weg durch’s irdische Jammertal.

  17. #22 Dr. Webbaer
    5. Oktober 2023

    Der Test ist verständlich, aber für den Schreiber dieser Zeilen (im Moment) doch noch ein wenig inhaltlich zu fern, er wird weiter überlegen.
    An sich spricht einiges für die sogenannte Bürgerversicherung, insbesondere die angestrebte Gleichheit der Versicherten.
    Ob Ärzte so vielleicht a bisserl weniger Einkommen haben, ist dem Schreiber dieser Zeilen in diesem Zusammenhang nebensächlich.

    Mit freundlichen Grüßen + weiterhin viel Erfolg (der sich ja sicherlich auch durch fleißigen Beitrag, bei den Science-, oder Kuhnblogs eingestellt hat, die Abnehmerschaft die Leser des Webs meinend)
    Dr. Webbaer

  18. #23 Joseph Kuhn
    5. Oktober 2023

    Äpfel und Birnen

    Ein Kollege, der sich mit Strukturdaten der ärztlichen Versorgung gut auskennt, hat eine Vermutung, wodurch die Daten im PKV-Regionalatlas zustandekommen: Hinter “Ärzten” verbergen sich in Stadt und Land recht unterschiedlich verteilte ökonomische Einheiten: in den Städten recht viele Psychotherapeuten – eine Arztgruppe mit vergleichsweise niedrigen Honoraren, dito mehr Ärzte in Teilzeit und auch Gemeinschafts- und Einzelpraxen sind zwischen Stadt und Land nicht gleichverteilt.

    Mit anderen Worten: Der PKV-Regionalatlas vergleicht womöglich wirklich, wie am Ende des Blogbeitrags gemutmaßt, Äpfel und Birnen. Man müsste statt dessen z.B. Hausärzte in Vollzeit in Stadt und Land vergleichen, oder Psychotherapeuten in Vollzeit in Stadt und Land, usw., und dann schauen, was der Stadt-Landvergleich ergibt.

  19. #24 BPR
    6. Oktober 2023

    Privatversicherte stellen 11 Prozent der Bevölkerung, tragen aber weit überproportional zu den Honoraren im Gesundheitswesen bei. Warum stehen sie nicht auf gegen diese Ungleichbehandlung zu ihren Lasten?
    Vermutlich fühlen sie sich gut versichert. Eine Studie aus dem Institut von Prof. Busse hält fest, dass Privatversicherte im Durchschnitt einen höheren formalen Bildungsabschluss haben, gesünder sind und weniger lange auf Facharzttermine warten als der Rest der Bevölkerung. In der untersuchten Stichprobe leisteten sie im Durchschnitt Zuzahlungen von 504 € pro Jahr, wenig im internationalen Vergleich und für fast alle verkraftbar bei einem durchschn. Netto-Haushaltseinkommen von 5150 € pro Monat.
    Abgesehen von den praktischen Schwierigkeiten eines Wechsels der Krankenversicherung – wo findet der Bürger einen transparenten Preis-Leistungs-Vergleich von PKV und GKV? Oder allgemeiner: Wäre es für Beihilfestellen günstiger, Versicherte mit Anspruch auf individuelle Beihilfe in eine (ihre) Betriebskrankenkasse einzubringen, ihnen den Arbeitgeber-Zuschuss zu zahlen und so gleichzeitig Anreize für eine PKV-assoziierte Überversorgung zu reduzieren? Sollten (junge) Beamte freiwillig der GKV beitreten und eine “pauschale Beihilfe” ihres Dienstherren in Anspruch nehmen (möglich in Sachsen)?
    Man kann das angesprochene Thema also auch aus Perspektive des Verbraucherschutzes sehen.

    • #25 Joseph Kuhn
      6. Oktober 2023

      @ BPR:

      “Privatversicherte stellen 11 Prozent der Bevölkerung, tragen aber weit überproportional zu den Honoraren im Gesundheitswesen bei.”

      Cave: Das gilt nur in Bezug auf die Honorare, die ein einzelner Versicherter in die Praxis mitbringt. Insgesamt, also bezogen auf das Gesundheitswesen, lag der Anteil der PKV 2021 bei 10,67 % der Ausgaben von GKV+PKV (jeweils einschl. Pflegeversicherung), also ziemlich genau entsprechend dem Versichertenanteil.

      Dass jeder PKV-Versicherte mehr Geld zum Arzt mitbringt, hat genau mit der von dir beschriebenen Konzentration von Krankheit auf weniger Versicherte zu tun, weil die PKV-Versicherten statistisch gesünder sind.

      “Wäre es für Beihilfestellen günstiger, Versicherte mit Anspruch auf individuelle Beihilfe in eine (ihre) Betriebskrankenkasse einzubringen, ihnen den Arbeitgeber-Zuschuss zu zahlen und so gleichzeitig Anreize für eine PKV-assoziierte Überversorgung zu reduzieren?”

      Nur, wenn das Leistungsrecht zwischen GKV und PKV angeglichen wird. Sonst würde sich an den Anreizen für eine PKV-assoziierte Überversorgung nichts ändern.

      Die “Überversorgung” ist in der Terminologie der PKV übrigens eine “bessere Versorgung” und der “schnellere Zugang zu Innovationen”. Letzteres ist unter Umständen aber nur der Zugang zum Versuchskaninchenstatus, weil der PKV relevante Qualitätssicherungsinstrumente wie das IQWIG fehlen.


      [Edit: Anteil der PKV an den Gesundheitsausgaben 2021 korrigiert, 10,7 % statt 10,6 %]

  20. #26 uwe hauptschueler
    6. Oktober 2023

    Wäre es für Beihilfestellen günstiger, Versicherte mit Anspruch auf individuelle Beihilfe in eine (ihre) Betriebskrankenkasse einzubringen, ihnen den Arbeitgeber-Zuschuss zu zahlen und so gleichzeitig Anreize für eine PKV-assoziierte Überversorgung zu reduzieren?

    Schwer zu rechnen. Die Lohnkosten der Beihilfestellen würden reduziert und während der Arbeit würden auch keine Formulare für PKV und Beihilfe mehr ausgefüllt werden.

  21. #27 BPR
    8. Oktober 2023

    @JK

    Nur, wenn das Leistungsrecht zwischen GKV und PKV angeglichen wird.

    Wenn die Beihilfestellen ihre Aufgaben über eine Betriebskrankenkasse erbringen, gilt für ihre Betreuten das GKV-Leistungsrecht. Allerdings gilt dann für diese BKK auch der Risikostrukturausgleich. Wenn PKV-Versicherte gesünder sind als GKV-Versicherte, weiß man ohne vergleichende Daten nicht, wie die Einnahmeseite dieser BKK aussieht, was also – trotz geringerer Ausgaben – unter dem Strich als Zusatzbeitrag erscheint.

    • #28 Joseph Kuhn
      8. Oktober 2023

      @ BPR:

      “Wenn die Beihilfestellen ihre Aufgaben über eine Betriebskrankenkasse erbringen, gilt für ihre Betreuten das GKV-Leistungsrecht.”

      Das wäre so, wenn eine solche “Betriebskrankenkasse” eine SGB-V-Kasse wie die anderen Betriebskrankenkassen wäre. Und wie sollte das Gesamtkonstrukt aussehen? Finanziert die Betriebskrankenkasse dann die gesamten Leistungsausgaben? Ein Nebeneinander von Betriebskrankenkasse (statt Beihilfe) und privater Krankenversicherung (für die restlichen Ausgaben) wäre ja leistungs- wie beitragsrechtlich kaum umsetzbar. Wenn aber die Betriebskrankenkasse alles finanziert, wäre das für die Beamten doch dasselbe wie eine Bürgerversicherung? Und für die PKV das Ende ihres Geschäftsmodells, weil sie mit den verbliebenen Versicherten vermutlich nicht mehr gewinnbringend wirtschaften kann?

  22. #29 Staphylococcus rex
    8. Oktober 2023

    @24 und @25, im Großen und Ganzen sind die pro-Kopf Ausgaben bei PKV und GKV bezogen auf die Lebenszeit ähnlich. Ein Unterschied zwischen PKV und GKV ist der Preis pro Leistung, privat Versicherte nehmen weniger Leistungen in Anspruch und zahlen deshalb mehr pro Leistung. Eine Ursache für die geringe Inanspruchnahme mag in der Bildung liegen, für Besserverdiener ist die eigene Gesundheit Teil des Eigenkapitals und wird aktiv bewahrt (und wenn es nur um die Vermeidung von Alkohol, Nikotin und gravierender Fehlernährung geht). Ein weiterer Grund für die geringere Inanspruchnahme ist das Erstattungsprinzip, wenn man für jede Dienstleistung erst einmal eine Rechnung bekommt, hat dies allein schon eine bremsende Wirkung auf die Zahl der Arztkontakte.

    Das Erstattungsprinzip könnte auch in der GKV zu einer Reduktion der Arztkontakte führen, wäre aber problematisch für Personen mit niedrigem Einkommen (weil sie in Vorleistung gehen müssen), für Menschen mit niedrigem IQ, Demenz oder Depressionen (die davon überfordert wären) oder für Suchtkranke. Außerdem steht das Erstattungsprinzip im Widerspruch zu einem Dogma der GKV, der GEDECKELTEN Gesamtvergütung. Beim Erstattungsprinzip bekommt der Leistungserbringer zeitnah ALLE Leistungen bezahlt, während beim aktuellen Sachleistungsprinzip die GKV den Kassenärztlichen Vereinigungen eine gedeckelte Gesamtsumme zur Verfügung stellt, die für alle Leistungen reichen muss. Solange der einzelne Versicherte null Motivation hat, seine eigene Inanspruchnahme des Systems zu begrenzen und die Kassen der GKV dies durch ein unbegrenztes Leistungsversprechen befeuern, wird es immer eine Diskrepanz zwischen dem Leistungsanspruch und der gedeckelten Vergütung in der GKV geben. Der einzige Ausweg der Leistungsanbieter besteht dann darin, ihre Leistungen zeitlich zu strecken, also das Hamsterrad künstlich zu verlangsamen. Die Konsequenz sind unterschiedliche Wartezeiten zwischen den Nutznießern des Erstattungsprinzips und des Sachleistungsprinzips. Das mag subjektiv als ungerecht wahrgenommen werden, das ist aber politisch so gewollt und eine Abschaffung der PKV wird deshalb auch die Wartezeiten für Versicherte der GKV nicht verkürzen, es entfällt lediglich die Vergleichsmöglichkeit.

    Ein weiterer wesentlicher Unterschied zwischen PKV und GKV sind die Ausgaben im Lebensverlauf. In der GKV gilt der Generationenvertrag, während in der PKV im Durchschnitt jeder Versicherte für seine Lebenszeitkosten selbst aufkommen muss. In Zeiten einer wachsenden oder stabilen Bevölkerung funktioniert der Generationenvertrag gut, bei einer überalternden Bevölkerung stößt er an Grenzen. Die PKV hätte in Zeiten einer überalternden Bevölkerung theoretisch einen Systemvorteil durch das Prinzip der Altersrückstellungen, wenn hier der Staat regulierend eingreifen würde. Derzeit sind die Altersrückstellungen höchst intransparent und können nur bei einem Tarifwechsel innerhalb des eigenen Anbieters behalten werden, selbst bei einem Wechsel zu einer anderen PKV geht ein Teil verloren. Lesenswert dazu ist der folgende Spiegel-Artikel:
    https://www.spiegel.de/wirtschaft/service/wie-sie-aus-der-privaten-krankenversicherung-wieder-herauskommen-kolumne-a-e9e64191-94cf-4abd-b862-7f3ac638951e
    Bei den Beamten werden nach meiner Kenntnis Altersrückstellungen nur von der PKV gebildet, einen Großteil der Behandlungskosten bei Beamten kommt aber von der Beihilfe und der Dienstherr (z.B. das Bundesland ist nicht verpflichtet, bisher Altersrückstellungen anzulegen. Damit schieben die Bundesländer einen riesigen Berg an finanziellen Kosten für die Zukunft vor sich her. Hier wäre es z.B. aus meiner Sicht sinnvoll, wenn vom Gesetzgeber sowohl PKV als auch Beihilfeträger verpflichtet wären, diese Altersrückstellungen transparent in einem Sondervermögen anzulegen, z.B. in einem Staatsfond oder unabhängigem Pensionsfond. Ein derartiges Sondervermögen würde auch den Wechsel zwischen PKV und GKV vereinfachen.

    Eine letzte Anmerkung zum PKV-Atlas in der Einführung von JK; einen derartigen Regionalatlas gibt es nur für einige westdeutsche Bundesländer, nicht für die ostdeutschen Bundesländer. Als Surrogatmarker für die Bedeutung der PKV auf niedergelassene Ärzte kann man die rein privatärztlichen Ärzte nehmen:
    https://www.pbv-aerzte.de/
    Dort gibt es eine zoombare Karte mit den Privatärzten in Deutschland. In Ostdeutschland gibt es dort nördlich von Berlin nur drei Privatärzte, während das Verteilungsmuster der Privatärzte in Bayern ganz anders aussieht. Das bedeutet, dort wo es keine Privatärzte gibt, ist der PKV-Kuchen so klein, dass außerhalb von Groß- und Mittelstädten für niedergelassene GKV-Arzte nur wenig übrig bleibt. Das bedeutet, die PKV unterstützt die niedergelassenen GKV-Ärzte im Durchschnitt, aber nicht dort, wo es am dringendsten nötig wäre. Im Rahmen einer Reglementierung der PKV wäre ggf. eine Strukturabgabe der PKV in Höhe z.B. von 3-5% des Gesamtumsatzes als Sicherstellungsumlage in einen Strukturfond sinnvoll.

    • #30 Joseph Kuhn
      8. Oktober 2023

      @ Staphylococcus rex:

      “im Großen und Ganzen sind die pro-Kopf Ausgaben bei PKV und GKV bezogen auf die Lebenszeit ähnlich”

      Haben Sie dazu eine gute Quelle?

      “Eine Ursache für die geringe Inanspruchnahme mag in der Bildung liegen”

      Die wichtigste Ursache sind Unterschiede im Gesundheitszustand aufgrund der soziale Lage.

      “wenn man für jede Dienstleistung erst einmal eine Rechnung bekommt, hat dies allein schon eine bremsende Wirkung auf die Zahl der Arztkontakte.”

      Glauben Sie das wirklich? Ich vermute, auch dafür werden Sie keine gute Quelle haben?

      “Solange der einzelne Versicherte null Motivation hat, seine eigene Inanspruchnahme des Systems zu begrenzen”

      Mit Verlaub, das ist grober Unfug. Wer geht denn gerne zur Koloskopie, oder zum Zahnarzt? Die Moral Hazard-These ist empirisch falsch.

      “und die Kassen der GKV dies durch ein unbegrenztes Leistungsversprechen befeuern”

      Wo tun sie dann denn? Sie sind rechtlich gehalten, ihre Leistungen am medizinisch Notwendigen zu bemessen. Unbegrenzte Leistungsversprechen gibt es eher bei der PKV, auch ausgeprägtere Tendenzen zur Überversorgung.

      “während in der PKV im Durchschnitt jeder Versicherte für seine Lebenszeitkosten selbst aufkommen muss”

      Ich gehe mal davon aus, dass bei der Formulierung “im Durchschnitt jeder Versicherte” das “im Durchschnitt” der entscheidende Part ist, nicht “jeder Versicherte”, dass also “Tarife” (Versichertenkollektive) gemeint sind? Je mehr ich über Ihren Satz nachdenke, desto problematischer kommt er mir vor. Siehe auch das Folgende.

      “Die PKV hätte in Zeiten einer überalternden Bevölkerung theoretisch einen Systemvorteil durch das Prinzip der Altersrückstellungen”

      So stellt man sich die Volkswirtschaft vor, wenn man glaubt, sie funktioniere nach dem Prinzip der schwäbischen Hausfrau – spare, wenn du hast, dann hast du in der Not. Volkswirtschaften funktionieren anders, auch in Zeiten der Globalisierung. Sie sollten sich einmal mit der Mackenroth-These beschäftigen und vor allem das Buch “Die ökonomische Vernunft der Solidarität” lesen. Dann wären Sie vielleicht besser gegen manche unterkomplexe Betrachtung volkswirtschaftlicher Zusammenhänge gefeit.

      —-
      [Edit: Habe meine erste Anmerkung zum vorletzten Zitat wieder gelöscht. Über die “Ansparthese” müsste man ausführlicher diskutieren. JK]

  23. #31 Staphylococcus rex
    8. Oktober 2023

    @JK, es ist ein komplexes Thema, bei dem ich nicht behaupte neutral zu sein. Offensichtlich haben wir unterschiedliche Ansichten bei einigen Grundannahmen, die Suche nach Quellen (soweit verfügbar) ist dabei ein möglicher Ausweg.

    Fangen wir an mit den Ausgaben pro Versichertem:
    https://www.wip-pkv.de/fileadmin/DATEN/Dokumente/Veroeffentlichungen/WIP_Analyse_Mehrumsatz_und_Leistungsausgaben_der_Privatversicherten_Jahresbericht_2022.pdf
    Auf S. 20 gibt es eine Tabelle mit Vergleich der PKV- und GKV-Ausgaben, die PKV-Versicherten haben einen Anteil an 10,5% der Bevölkerung, aber 15,1% der gesamten Gesundheitsausgaben. Das bedeutet, pro Kopf zahlen PKV-Versicherte mehr als GKV-Versicherte für ihre Gesundheit. Das ist mehr als in meiner ursprünglichen Aussage, da hatte ich mich auf Ihre Aussage #25 verlassen: “also bezogen auf das Gesundheitswesen, lag der Anteil der PKV 2021 bei 10,6 % der Ausgaben von GKV+PKV (jeweils einschl. Pflegeversicherung), also ziemlich genau entsprechend dem Versichertenanteil.”

    Um hier nicht Äpfel mit Birnen zu vergleichen, sollte hier geklärt werden, ob die Mehrausgaben der PKV durch mehr Preis pro Leistung oder durch eine höhere Inanspruchnahme des Systems verursacht werden. Die Zahl der Arztkontakte pro PKV-Patient habe ich bisher nicht gefunden. Die Zahl der Arztkontakte für GKV-Patienten ist dagegen bekannt und hier ist Deutschland im europäischen Maßstab ein unrühmlicher Spitzenreiter:
    https://www.versorgungsatlas.de/fileadmin/ziva_docs/14/Arztkontakte_Bericht_2012-02-15.pdf
    https://www.bundestag.de/resource/blob/946330/32530aaa7b57fe59f76ea5d43c95aa37/WD-9-017-23-pdf-data.pdf
    Die erste Quelle analysiert die Inanspruchnahme durch verschiedene Bevölkerungsgruppen, die zweite zieht einen europäischen Vergleich.

    Bei der Steuerungsfunktion des Erstattungsprinzips kommen wir ohne die Arztkontakte bei der PKV nicht weiter. Der Hinweis auf Koloskopie und Zahnarzt ist übrigens billige Polemik, die absolut überwiegende Zahl der Arztkontakte landet beim Hausarzt (und bei Frauen beim Frauenarzt, siehe Versorgungsatlas).

    Meine Bemerkung zu den Altersrückstellungen bezog sich darauf, dass Nettoeinkommen und Gesundheitsausgaben im Leben unterschiedlich strukturiert sind, in der ersten Quelle (PKV-Ausgaben) sieht man in den Abbildungen 1 und 2 für den Ambulanten Bereich und 4 und 5 für den stationären Bereich, dass die Ausgaben im hohen Lebensalter deutlich ansteigen. Dies kann durch den Generationenvertrag kompensiert werden oder dadurch, dass in einer Phase hohen Einkommens Rückstellungen für das Alter gebildet werden. Ob es möglich ist, über Jahrzehnte sichere Rücklagen anzusparen, das würde die Diskussion hier sprengen, es gibt Staatfonds und Pensionsfonds, die genau dies versuchen, wieviele dieser Fonds eine globalisierte Weltwirtschaft verkraften kann, ist eine offene Frage. Ohne Altersrückstellungen besteht das Risiko einer Überforderung der aktuell und zukünftig berufstätigen Generation.

    Wie es bei den Leistungserbringern aussieht, zeigt folgende Quelle:
    https://www.aerzteblatt.de/nachrichten/146450/Stimmung-bei-Niedergelassenen-erreicht-neues-Rekordtief
    Angesichts der Tatsache, dass in wenigen Jahren zahlreiche niedergelassene Arztsitze nachbesetzt werden müssen, ist dies ein Alarmzeichen für einen drohenden Systemkollaps.

    Die Frage nach einer Bürgerversicherung geht aus meiner Sicht an der aktuellen Problematik vorbei. Sowohl GKV als auch PKV haben einen erheblichen Reformbedarf. Wenn dieser Reformstau abgearbeitet wird, kann es durchaus sein, dass es Annäherungen zwischen PKV und GKV geben wird und zukünftig ein neuer Blickwinkel auf diese Problematik möglich wird.

    • #32 Joseph Kuhn
      8. Oktober 2023

      @ Staphylococcus rex:

      “Auf S. 20 gibt es eine Tabelle mit Vergleich der PKV- und GKV-Ausgaben, die PKV-Versicherten haben einen Anteil an 10,5% der Bevölkerung, aber 15,1% der gesamten Gesundheitsausgaben.”

      Meine Daten sind vom Statistischen Bundesamt. 10,7 % waren es übrigens im Jahr 2021, nicht 10,6 %, da hatte ich mich verschrieben. Sie finden die Daten unter http://www.gbe-bund.de, dort Suchwort Gesundheitsausgaben.

      Die Daten aus dem PKV-Papier kann ich anhand der Daten des Statistischen Bundesamtes nicht nachvollziehen. Für 2020 werden dort für die PKV einschl. der privaten Pflegeversicherung 35,4 Mrd. Ausgaben ausgewiesen, deutlich weniger als die 37,6 Mrd. ohne Pflegeversicherung in der Tabelle im PKV-Papier. Die GKV-Ausgaben für 2020 (ohne Pflegeversicherung) werden beim Statistischen Bundesamt mit knapp 241,5 Mrd. ausgewiesen, im PKV-Papier nur mit 211,05 Mrd.

      Diese Diskrepanz wäre aufzuklären.

      Aber selbst wenn die PKV einen an der Versichertenzahl überproportionalen Anteil an der Finanzierung des Gesundheitswesens haben sollte, bliebe das Argument im Blogbeitrag richtig, dass den Ärzten kein Geld verloren ginge, wenn das PKV-Budget in eine Bürgerversicherung ginge, und dass die Ärzte sogar mehr Geld hätten, würden die PKV-Versicherten einkommensabhängige Beiträge zahlen.

  24. #33 Staphylococcus rex
    8. Oktober 2023

    Kleiner Nachtrag: Beim Erstattungsprinzip gehe ich aufgrund der psychologischen Effekte von einer Ersparnis von ca. 15-20% aus, das ist kein Widerspruch zu einer möglichen Überversorgung in der PKV. Ich habe dazu keine Quelle, möchte aber an die Effekte bei der Einführung der Praxisgebühr erinnern, auch wenn dort nicht alles so lief wie geplant. Übrigens bietet auch die GKV einen Erstattungstarif an, spannend wäre der vorher/nachher Vergleich von Personen, die diesen Tarif gewählt haben.
    https://krankenkassen.net/gesetzliche-krankenversicherung/leistungen-der-gkv-allgemein/kostenerstattungstarif.html

    Dagegen ist die Zahl der Arztkontakte in der GKV in Deutschland um Größenordnungen höher als im europäischen Ausland und somit eine Stellschraube, an der definitiv gedreht werden muss.

    Die bisherige Mengensteuerung in der GKV und in der PKV funktioniert nach unterschiedlichen Regeln. In der GKV sorgt die gedeckelte Gesamtvergütung bei höherer Inanspruchnahme zu einer Abwertung der ärztlichen Leistung und geht unmittelbar zu Lasten des Leistungserbringers. In der PKV wird die Menge primär nicht begrenzt, aber statt dessen ist eine Überarbeitung der GOÄ (an neue Leistungen und die Inflation) seit Jahrzehnten überfällig, die GOÄ wird durch politische Blockade künstlich niedrig gehalten. Außerdem steigen in der PKV trotz Altersrückstellungen die Beiträge im Alter überproportional an. Die Leidtragenden der fehlenden Reformen in der PKV sind die älteren Versicherten und die Beihilfekassen wegen der hohen Kosten für ältere Versicherte und im geringerem Maße die Ärzte, denen aufgrund des fehlenden Inflationsausgleiches der GOÄ ein Teil des Honorars vorenthalten wird.

    Wenn die Altersrückstellungen der PKV so hoch wären, dass im Alter die PKV-Beiträge ähnlich wie in der GKV wären, dann müssten bereits im jungen Erwachsenenalter die Beiträge so hoch sein, dass der Wechsel zur PKV nicht mehr attraktiv ist. Und wenn die Beihilfeträger zu vergleichbaren Altersrückstellungen gezwungen wären, dann wäre wahrscheinlich das System der Beamtenbeihilfe ebenfalls nicht mehr vorteilhaft.

    Sowohl die Reformen der GKV als auch der PKV gehören zu den Kernaufgaben von Herrn Lauterbach, in beiden Bereichen hat er noch nicht einmal diskussionswürdige Konzepte vorgelegt.

  25. #35 aristius fuscus
    8. Oktober 2023

    Ich glaube nicht, dass das Erstattungsprinzip so einen grossen Einfluss hat, die PKV haben da ganz andere Instrumente, die Versicherten vom Arztbesuch abzuhalten.
    Da wäre zum einen die Erstattung: meine PKV erstattet jedes Jahr ca. 2 Monatsbeiträge, wenn man im vorhergehenden Jahr keine Rechnungen eingereicht hat. Ausserdem kann man man seinen Tarif deutlich senken, wenn man eine Selbstbeteiligung vereinbart, das ist für Selbständige wie mich, die den Kassenbeitrag vollständig selbst bezahlen, sehr attraktiv. Zusammen mit der Erstattung ergibt das ein ganz hübsches Sümmchen, wodurch man sich in der Tat jeden Arztbesuch dreimal überlegt.

  26. #36 PDP10
    9. Oktober 2023

    @aristius fuscus:

    Sowas ähnliches wie du (bin auch privat versichert – allerdings nicht wirklich freiwillig. Aber das ist eine ganz andere Geschichte …) wollte ich auch gerade schreiben.

    Dabei ist aber zu bedenken, dass das für die PKVen bestenfalls ein Nullsummenspiel, eher ein Minus ist.

    Wenn wir mit dem, was wir in einem Jahr erstattet bekommen hätten deutlich unter einem Monatsbeitrag bleiben (bei mir ist es nach dem ersten Jahr in dem ich mir nichts erstatten lassen habe ein Monatsbeitrag) und dann von der PKV einen ganzen Monatsbeitrag gutgeschrieben bekommen bedeutet das für die ein Minus. Für uns ein Plus. Was aber nicht bedeutet, dass wir seltener zum Arzt gehen. Wir gucken nur genau auf die Behandlungskosten. Letzteres könnte eventuell einen Kosten dämpfenden Effekt haben, wenn alle Patienten immer schwarz auf Weiß lesen könnten, was sie so kosten. Bei mir beispielsweise hat das, wenn ich mir die Rechnungen ansehe auf jeden Fall einen Stirnrunzelnden Effekt bei der Zusammensetzung mancher Honorare.

    Wenn ich beispielsweise Lese, dass da ein “ausführliches Beratungsgespräch, länger als 20 min. etc.” gerade mal mit 13 Euro irgendwas abgerechnet wird … Wenn ich das auf einen Stundensatz hochrechne, dann komme ich auf einen Satz, für den ich, als ich noch Freiberufler war morgens nicht aufgestanden wäre …
    Ein Orthopäde hat von mir – nur zum Vergleich – mal eine einfaches MRT im Lendenbereich, dass ca. 15 min. gedauert hat und vollkommen unnötig war mit mehr als 800 Euro abgerechnet.

    Von wegen “sprechende Medizin” … Ich hätte kein Problem damit, einem kompetenten Hausarzt 30 Euro für besagtes “ausführliches Beratungsgespräch” zu zahlen, wenn die Fachärzte dafür im Gegenzug darauf verzichten würden, ihren teilweise völlig absurden Gerätepark über die Privatpatienten zu amortisieren.

  27. #37 Dr. Webbaer
    12. Oktober 2023

    @ Kommentatorenfreund ‘aristius fuscus’, aktuell Kommentar #35

    So ist es, dieser Schriftverkehr, Abrechnungen meinend, ist schon abschreckend [1], auch wenn der Arzt vorab (!) anbietet – wenn die private Versicherung bereits absehbar nicht alles bezahlen wird – seine Rechnung später neu aufzusetzen, nachzuverhandeln sozusagen.
    Der privat Krankenversicherte wird sicherlich nicht grundlos in die Behandlung sozusagen getrieben, sondern es wird ihm so schon vergellt,

    Dr. W war beides, also “PKV” und “GKV”, die “GKV” zeichnete sich dadurch aus, dass die Ärzte angeblich kaum Zeit hatten, eine sogenannte Zwei-Klassen-Medizin könnte in der BRD vorliegen.

    Mit freundlichen Grüßen
    Dr. Webbaer

    [1]
    In einem Fall musste der Schreiber dieser Zeilen gar seinen Rechtsbeistand herbeirufen, so schien ihm ratsam, vs. ‘müssen’.

  28. #38 Staphylococcus rex
    13. Oktober 2023

    Die Einführung einer Bürgerversicherung kann man als Gedankenexperiment durchspielen und schauen, welche Effekte relevant für die Gesamtbeurteilung sind. Aus meiner Sicht sind drei Fragen relevant:
    1. Ändert sich das Anspruchsverhalten der ehemaligen PKV-Mitglieder in einer Bürgerversicherung?
    2. Die Ausgaben der Einen sind die Einnahmen der Anderen. Dürfen die bisherigen PKV-Einnahmen in einer Bürgerversicherung extrapoliert werden? Welchen Einfluß haben Kapitalerträge und Beitragsbemessungsgrenze?
    3. Welchen Einfluss hat die Einführung der Bürgerversicherung auf die Einnahmen und das Standesrecht des Kassenarztes?

    Zu Frage 1, die wurde hier unter dem Aspekt Erstattungsprinzip und Rückerstattung in Jahren ohne Inanspruchnahme bereits diskutiert. Ich gehe davon aus, dass nach einer Überführung der PKV-Versicherten in die GKV die leicht bremsenden Effekte dieser Steuerungsmechanismen entfallen und die Inanspruchnahme moderat steigen wird, ohne dass ich hier genaue Zahlen nennen kann.

    Zu Frage 2a, GKV-Einnahmen (ohne Betrachtung der Effekte der Änderung bei Kapitalerträgen und Beitragsbemessungsgrenze), hier sollte man beachten, dass dann für alle GKV-Mitglieder gleiche Regeln gelten müssen, eine nachträgliche Benachteiligung ehemaliger PKV-Mitglieder wäre juristisch problematisch. Eine Benachteiligung durch höhere Beiträge würde gegen das Prinzip der Besitzstandswahrung verstoßen und müßte durch das Verfassungsgericht geklärt werden (aus meiner Sicht mit offenem Ausgang). Eine Benachteiligung durch diskriminierende Sonderregeln ist dagegen von vorneherein chancenlos.

    Bei Rentnern sind die PKV-Beiträge im Verhältnis zum Einkommen meist höher als bei GKV-Versicherten. Rentner in der PKV würden in der Mehrheit von niedrigeren Beiträgen profitieren. Bei dieser Gruppe kommt es auf die Altersrückstellungen als Einmaleffekt bei der Überleitung in die GKV an, hier sollte der Gesetzgeber vorher darauf achten, dass die PKV die Altersrückstellungen nicht in ihren Bilanzen zugunsten ihrer Aktionäre verschiebt.

    Zu Frage 2b, bei Berufstätigen oberhalb der Beitragsbemessungsgrenze (hier spielen Beitragsbemessungsgrenze und Kapitaleinkünfte eine Rolle) würde ich in erster Näherung davon ausgehen, dass sich wenig ändert. Geld, welches bei PKV-Versicherten früher in die Altersrückstellungen umgeleitet wurde, würde dann direkt zur Finanzierung des Generationenvertrages genutzt werden. Zusätzliche Kosten würden der GKV entstehen, wo Kinder und Familienmitglieder von ehemaligen PKV-Versicherten dann das Recht zur Mitversicherung hätten.

    Die Idee Kapitaleinkünfte zur Finanzierung der GKV heranzuziehen ist sinnvoll, da Personengruppen ohne eigenes Einkommen (ALG2-Bezieher, Asylsuchende) gern durch den Staat in das GKV-System verschoben werden. Im Wikipedia-Artikel zu Einkommenssteuer findet man folgende Zahlen für 2021: gesamte Einkommenssteuer 311,8 Mrd.€, davon Lohnsteuer 218,4 Mrd.€. Wenn wir vom Differenzbetrag (93,4) den GKV-Beitrag von 14,6% nehmen, dann wären wir bei jährlich 13,6 Mrd.€. Bei den Finanzämtern arbeiten ca. 50 000 Mitarbeiter, ich kann nur kategorisch davor warnen, im Bereich der GKV eine neue Finanzbürokratie aufzubauen, um an diese Gelder zu kommen. Wesentlich besser wäre eine festgelegte Überweisung seitens der Finanzämter.
    Bisher wird die Einkommenssteuer zwischen Bund, Ländern und Kommunen verteilt, wenn diese 13 Mrd.€ fehlen, steht die Frage ob Steuererhöhungen zur Kompensation notwendig sind. Wenn die Beitragsbemessungsgrenze steigt oder wenn Kapitaleinkünfte zusätzlich benötigt werden, in jedem Fall kommen zusätzliche Kosten eine eine Gruppe von “Gutverdienern” zu. Dies kann man als heimliche Steuererhöhung sehen, wenn die GKV diese Gelder einzieht oder als offene Steuererhöhung, wenn z.B. die Spitzensteuersätze steigen. Eine offene Steuererhöhung müßte durch die öffentliche Diskussion gehen, wäre aber langfristig die billigere (weniger Bürokratie) und juristisch sichere Lösung.

    Ein weiterer Aspekt wäre die Reaktion der betroffenen “Gutverdiener”. Dies ist jetzt nicht statistisch untermauert (n=1), aber ich bin derzeit am überlegen, ob ich bis 67 Vollzeit arbeite oder vorher aufhöre oder in Teilzeit gehe. Das Verhältnis vom Brutto zum Netto hat Einfluss auf diese Entscheidung. Eine Massenflucht von hochqualifizierten Fachkräften in die Rente oder in die Teilzeit könnte die gewünschten Zusatzeinnahmen der GKV deutlich schmälern und den Fachkräftemangel in der Wirtschaft deutlich verschärfen.

    Aus meiner Sicht wäre es riskant, abgesehen vom einmaligen Sondereffekt der Überführung der Altersrückstellungen auf deutlich höhere Einnahmen in der Bürgerversicherung zu hoffen. Mein Beitrag hat bereits jetzt Überlänge, auf Frage 3 werde ich später eingehen.

  29. #39 Staphylococcus rex
    13. Oktober 2023

    Angenommen, die PKV wird abgewickelt und alle ehemaligen PKV-Versicherten landen in der GKV. In Bezug auf die Vermutung, dass sich dadurch die Einnahmesituation der GKV signifikant bessert, habe ich bereits Bedenken angemeldet.

    Bei einem Wegfall der PKV entstehen aber neue Fragen: Ist der Kassenarzt noch selbstständig oder ist er weil er sein Geld ausschließlich von der GKV bekommt als Scheinselbstständiger zu betrachten. Muss der Kassenarzt dann auch rückwirkend Arbeitslosenversicherung bezahlen? Vor einer Abwicklung der PKV sollten hier unbedingt entsprechende Rechtsgutachten eingeholt werden.

    Die nächste Frage betrifft das Kassenarztrecht. Bisher gilt für Kassenärzte ein Streikverbot, welches auch damit gerechtfertigt wird, dass ein niedergelassener Arzt die formelle Alternative einer rein privatärztlichen Tätigkeit hat. Wenn der Kassenarzt faktisch ein Angestellter der GKV ist, dann ist dieses Streikverbot vor dem Verfassungsgericht nicht mehr haltbar. Auch hier sind frühzeitig entsprechende Rechtsgutachten unbedingt erforderlich.

    Spätestens wenn das Streikverbot fällt, steht die Mengensteuerung durch die Gesamtvergütung zur Disposition. Wie aufgeladen das Thema Budgetierung ist, zeigt folgender Beitrag aus dem Ärzteblatt:
    https://www.aerzteblatt.de/nachrichten/146514/Aerzte-monieren-Rechnungshofbericht-zur-extrabudgetaeren-Verguetung

    Allen Beteiligten ist klar, dass für das Gesundheitssystem nur begrenzt Geld vorhanden ist und dass Reformen dringend nötig sind. Die Verantwortung für die Mengensteuerung allein den Ärzten zuzuweisen, wird auf Dauer nicht funktionieren. In der Zeit vor der Chipkarte gab es z.B. ein AOK-Heft mit einer abgezählten Menge an Scheinen. Warum kann man in Zeiten der vernetzten Kassenpraxen nicht dem Patienten eine altersabhängige Anzahl an Arztkontakten pro Jahr zugestehen und erst dann wenn dieses Kontingent überschritten ist, gibt es Zuzahlungen seitens der Patienten?

  30. #40 Dr. Webbaer
    15. Oktober 2023

    Nur zwei Ergänzungen, Kommentatorenfreund ‘Staphylococcus rex’ (zu Ihren breiten Ausführungen) :

    1.) Das Recht kann angepasst werden, auch das Verfassungsrecht, bei einer so wichtigen Frage wie der allgemeinen Gesundheitsversorgung könnte dies gar pflichtig erscheinen.

    2.) Ein Arzt wird nicht, wie Sie meinen, abhängig von dieser dann “Bürgerversicherung”, von diesem staatlichen Unternehmen, sondern kann weiterhin Privatkunden betreuen. (Sicherlich steht dann diese Bürgerversicherung im Wettstreit mit Privatkunden, die zwar “bürgerversichert” sind, aber nebenbei noch ihr großes Portemonnaie öffnen können, doch besteht dieses Problem, sollte es eines sein, nicht bereits heutzutage?)

    Mit freundlichen Grüßen
    Dr. Webbaer

  31. #41 Joseph Kuhn
    14. November 2023

    Die PKV-Studie in der Süddeutschen

    Heute ist in der Süddeutschen (leider hinter der Paywall) ein Artikel von Nina von Hardenberg “Land lohnt sich für Ärzte”, der den Regionalatlas der PKV aufgreift, “der der SZ exklusiv vorliegt”. Ob damit eine neue Ausgabe gemeint ist oder der oben zitierte, weiß ich nicht.

    Die SZ weiter:

    “Die Studie schlüsselt die Umsätze mit Privatpatienten erstmals nach Städten, Landkreisen sowie Regionen auf. Es zeigt sich, dass die Landärzte keinen Grund zu klagen haben.”

    Nun denn. Auf die unplausiblen Daten etwa bei Stadt und Landkreis Landshut geht Frau v. Hardenberg nicht ein.

    Und weiter:

    “Die Studie ist für die PKV damit auch ein Argument gegen die immer wieder geforderte Zusammenlegung von gesetzlicher und privater Krankenversicherung.”

    So sieht das der PKV-Verband. Aber muss man das auch so sehen? Müssten, wenn die Daten stimmen, nicht Einkommen von den reichen Landärzten an die armen Stadtärzte umverteilt werden? Und vor allem, gibt es jenseits dieser regionalen Aspekte keine anderen, stärkeren Argumente für die Beseitigung dieser fast weltweit einmaligen Parallelstruktur in der Vollversicherung?

    Sie zitiert dann noch aus dem Koalitionsvertrag von CSU und FW:

    “Wir stehen zu gesetzlicher und privater Krankenversicherung. Eine Einheitsversicherung lehnen wir ab.”

    Wäre es da nicht zumindest geboten, darauf zu verweisen, dass im Grundsatzprogramm der FW etwas ganz anderes steht und bei den FW nachzufragen, wie dieser Widerspruch bewertet wird?

    Nina von Hardenberg übernimmt die Argumentation des PKV-Verbands völlig kritiklos. Sie hinterfragt weder die Daten noch die damit verbundene politische Strategie. Das war kein Highlight des Medizinjournalismus.

  32. #42 Staphylococcus rex
    20. November 2023

    Eine kleine Anmerkung zu dem Druck, der sich in der ambulanten Versorgung aufbaut: der 15.11.23 war der “Zero pay day”, rein statistisch werden nach diesem Tag aufgrund der Budgets den niedergelassenen Ärzten ihre Leistungen für den Rest des Jahres nicht mehr bezahlt.
    https://www.aerzteblatt.de/nachrichten/147359/Honorare-Zero-Pay-Day-fuer-die-Niedergelassenen