Dass Karl Lauterbach kein Homöopathie-Lobbyist ist, ist bekannt. Dass er ernst damit macht, die Homöopathie als Kassenleistung zu streichen, hat dennoch viele überrascht. Für die Homöopathie gäbe es keinen nachgewiesenen Nutzen, also raus aus der Kassenfinanzierung, so Lauterbach vor ein paar Tagen. Gut so. Auf X setzt er noch einen mehr oder weniger gelungenen Vergleich oben drauf:
„Homöopathie macht als Kassenleistung keinen Sinn. Auch den Klimawandel können wir nicht mit Wünschelruten bekämpfen. Die Grundlage unserer Politik muss die wissenschaftliche Evidenz sein.“
Die Wurzel des Übels liegt im Arzneimittelrecht und der dort über den „Binnenkonsens“ aufgebauten Wirksamkeitsfiktion: Für Homöopathika sind nicht die üblichen Wirksamkeitsnachweise mit randomisierten Studien erforderlich, es darf anderes „Erkenntnismaterial“ herangezogen werden, z.B. das homöopathische Schrifttum.
Der Binnenkonsens wurde in den 1970er Jahren durch Lobbyismus ins Arzneimittelrecht gebracht und durch Lobbyismus bis heute darin gehalten, darauf baut letztlich die Möglichkeit der Krankenkassen zur Finanzierung der süßen (wahlweise auch alkoholischen) Mittelchen auf. Vor einigen Jahren wurden bereits die Homöopathie-Wahltarife mangels Nachfrage gestrichen: Mehr für ihre Neigungen bezahlen, wollte das meist gut verdienende Globuli-Klientel nicht. Über die Satzungsleistungen, die derzeit noch bestehende Basis, finanzieren es dagegen alle mit.
Um viel Geld geht es wohl nicht, es kursieren unterschiedliche Angaben, meist im Bereich zweistelliger Millionenbeträge. Insofern sparen die Krankenkassen bei einem Gesamtbudget von derzeit ca. 300 Mrd. Euro rein finanziell gesehen im homöopathischen Bereich. Für sie ist es ein Marketinginstrument im Kampf um junge und gesunde Leute, Risikostrukturausgleich hin oder her. Allerdings würde mit der Streichung ein intellektuelles und ethisches Ärgernis bereinigt. Ansonsten müssen alle Arzneien und Behandlungsmethoden, die die Krankenkassen zahlen, wirksam im Sinne gängiger wissenschaftlicher Standards sein. Es gibt keinen vernünftigen Grund für Ausnahmen und unvernünftige Gründe gäbe es auch dafür, dass die Krankenkassen das Handauflegen, astrologische Gesundheitsberatung oder das Beschwören von Heilgeistern bezahlen. Auch dafür gäbe es Nachfrage, was zugleich das oft vorgebrachte Argument, man müsse doch den Wünschen der Versicherten nachkommen, als das erscheinen lässt, was es ist: kein tragfähiges Argument. Zumal in Zeiten, in den Kassen weder Bagatellarzneimittel finanzieren, egal ob sie wirksam sind oder nicht, noch Brillengestelle, noch guten Zahnersatz und vieles andere, was wirklich hilft, auch nicht.
Um einem Missverständnis vorzubeugen: Dass „die Homöopathie“, die Anwendung der Mittel im Behandlungssetting oder auch zuhause, in manchen Fällen tatsächlich hilft, soll nicht in Abrede gestellt werden. Der Placeboeffekt kann ein mächtiges therapeutisches Agens sein und die Homöopathie mit ihren Glaubenselementen stimuliert vielleicht bei dem einen oder anderen sogar besonders starke Placeboeffekte. Aber der Placeboeffekt ist eigentlich in der Medizin allgegenwärtig – anders als Hahnmanns vermeintliche „geistartige Kräfte“. Deswegen kommt es auf die „Wirksamkeit über Placebo hinaus“ an. Inwiefern man Placebos mehr als bisher in der Medizin nutzen sollte und welche Voraussetzungen dabei zu beachten wären, ist eine andere Diskussion, die Bundesärztekammer hat dazu bereits vor Jahren Empfehlungen formuliert.
Man kann sich fragen, warum Lauterbach ausgerechnet jetzt auf die Idee kommt, die Homöopathie als Kassenleistung zu streichen. Ob er damit, wie manche sagen, von den ganz großen Baustellen im Gesundheitswesen ablenken will? Kann sein, aber zettelt man deswegen einen Krieg mit einer bestens aufgestellten und vernetzten Lobby an? Und das in Zeiten, wo der Ampelregierung ohnehin schon kräftiger Gegenwind ins Gesicht bläst? Da gäbe es sicher sanftere Ablenkungsmittel. Insofern sollte man Lauterbach in diesem Fall, wo er mal etwas zweifelsfrei Richtiges macht, nicht auch noch kritisieren. Die richtig wichtigen Dinge müssen natürlich auch noch angepackt werden.
Man darf gespannt sein, wie weit Lauterbach mit seinem Vorstoß kommt. Die Lobby gibt sich schließlich nicht kampflos geschlagen. So oder so wird die Geschichte beim diesjährigen Homöopathie-Kongress in Lindau am Bodensee für aufgeregte Gespräche sorgen. Ich werde vorsorglich ein Päckchen Dubio C30 in den Bodensee geben, vielleicht wirkt es ja doch.
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Nachtrag 14.1.2024:
Einen guten Übersichtsbeitrag zum Thema Homöopathie an sich hat heute früh der BR online gestellt: “Homöopathie: Bei keiner Krankheit mehr Wirkung als ein Placebo”. Vertiefende Informationen bietet das Informationsnetzwerk Homöopathie.
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