Der lange erwartete neue Referentenentwurf für das Errichtungsgesetz des BIPAM ist da, wenn auch noch nicht öffentlich*.

Teil A (Problem und Ziel), Teil B (Lösung) sowie die Begründung des Gesetzes stellen ausführlich dar, warum es ein neues Bundesinstitut geben soll und was es leisten soll. Hier wurden erkennbar Kritikpunkte der Fachöffentlichkeit aufgenommen, z.B. wird dem „Health-in-all-Policies“-Gedanken und seiner gewünschten politischen Umsetzung hoher Stellenwert zugemessen, ebenso der notwendigen Stärkung des ÖGD. Lange Zeit sah es so aus, als ob alle diesbezüglichen Stellungnahmen in den Wind gesprochen worden wären.

Der antiquierte Name „BIPAM“ – Bundesinstitut für Prävention und Aufklärung in der Medizin – bleibt, offensichtlich hängt das Herz des Ministers daran. Überraschend und positiv ist, dass für das BIPAM nun doch finanzielle Mittel zur Verfügung gestellt werden:

„Durch die Errichtung des BIPAM und die vorgesehenen neuen Aufgaben entstehen dem Bund ab dem Jahr 2025 laufende jährliche Mehrausgaben für Sachmittel. Diese betragen im Vergleich zum Jahr 2024 im Jahr 2025 ca. 30 Mio. Euro. Hinzu kommen im Jahr 2025 einmalige Investitionskosten in Höhe von ca. 19,3 Mio. Euro.“

Die 30 Millionen Euro jährlich sollen wie folgt eingesetzt werden:

• 14,4 Mio. Euro für den “Aufbau eines Public Health-Datenmanagements und passender Analyseinstrumente (inkl. Aufbau eines Gesundheitspanels) sowie Stärkung der Prävention, Gesundheitsförderung und Gesundheitskommunikation unter Berücksichtigung von gewonnen Synergien”.
• 12,1 Mio. Euro für die “Stärkung und Vernetzung der Öffentlichen Gesundheit und des Öffentlichen Gesundheitsdienstes”.
• 3,5 Mio. Euro für die “Stärkung der Koordinierung von Ressortforschung, Aufbau einer Geschäftsstelle für Public Health-Konferenzen und weitere übergreifende Kosten”.

Die Mittel sind hoffentlich mit dem Finanzministerium bereits verhandelt. Eigentlich sollte das kein Koalitionsstreitthema sein, 30 Mio. Euro sind – gemessen an den Milliarden, die im Haushalt strittig sind – wirklich Peanuts. Ein deutsches CDC wird damit nicht entstehen. Aber besser Peanuts als Steine. Die Mittel für ÖGD-bezogene Aufgaben sind zudem umso wichtiger, sollte der „Pakt für den ÖGD“ nach 2026 tatsächlich nicht mehr weitergeführt werden.

Die bereits im ersten Referentenentwurf vorgesehene Verlagerung der Gesundheitsberichterstattung vom RKI ans BIPAM wird beibehalten. In § 2 des Gesetzentwurfs heißt es:

„Das Bundesinstitut nimmt Aufgaben nach Absatz 1 insbesondere auf folgenden Gebieten wahr:

1. Gesundheitsberichterstattung des Bundes, einschließlich Gesundheitsmonitoring,
2. Stärkung der Öffentlichen Gesundheit, soweit es sich um Aufgaben des Bundes handelt, durch freiwillige Kooperation und Vernetzung mit Akteuren der Öffentlichen Gesundheit,
3. evidenzbasierte, zielgruppenspezifische, insbesondere auf vulnerable Bevölkerungsgruppen ausgerichtete Kommunikation im Zuständigkeitsbereich des Bundesministeriums für Gesundheit,
4. Stärkung der Vorbeugung und Verhütung von Krankheiten, Stärkung der Gesundheitsförderung und der Gesundheitskompetenz in der Bevölkerung, jeweils im Rahmen der Zuständigkeit des Bundes,
5. wissenschaftliche Forschung und Zusammenarbeit mit Institutionen auf europäischer und internationaler Ebene, einschließlich Unterstützung bei der Entwicklung von Leitlinien und Standards, soweit es sich um Aufgaben des Bundes handelt.“

Insgesamt ist auch der neue Entwurf mit 7 Paragrafen sparsam gehalten. Unklar ist, ob auch die im Aufbau befindliche KI-Abteilung des RKI ans BIPAM wechselt, wie Ende April einmal vom BMG angekündigt. Einige wichtige Themen, z.B. die Zusammenarbeit mit der Wissenschaft, die Einrichtung eines Beirats, die Form der Kooperation mit den Ländern bei ÖGD-Themen oder das Verhältnis zu den Sozialversicherungsträgern sowie zu anderen Public Health-Einrichtungen und thematisch nahen Gremien, wie z.B. dem Sachverständigenrat Gesundheit, bleiben ungeregelt. Die „freiwillige Kooperation und Vernetzung“ lässt vieles zu, und vieles offen. Manches, etwa die Mitarbeit in der Nationalen Präventionskonferenz, wird kursorisch in der Begründung gestreift. Eine Evaluation ist nach wie vor nicht vorgesehen. Ein Format für Bürgerbeteiligung an den Aufgabenstellungen des BIPAM wurde ebenfalls nicht gefunden – die Bürger:innen kommen nur als Adressaten der Gesundheitskommunikation bzw. Aufklärung vor. Schade, hier hätte man einmal einen institutionalisierten Bürgerbeirat ausprobieren können.

Inwiefern bei solchen Punkten noch Nachbesserungen über die nun bevorstehende Verbändeanhörung, in der Abstimmung mit den Ländern und dann im Bundestag erreichbar sind, bleibt abzuwarten.

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* Nachtrag: Der Entwurf ist jetzt auch öffentlich verfügbar: https://www.politico.eu/wp-content/uploads/2024/06/13/98745CEB-1D1C-43BE-ABC9-85CD30C6ACDD-1-clean.pdf

Nachtrag zum Nachtrag: Die Version, die bei “Politico” online gestellt wurde, wurde zur Verbändeanhörung noch einmal an einer entscheidenden Stelle, der Finanzierung, verändert. Sie ist inzwischen auf der Seite des BMG mit den Gesetzentwürfen abrufbar: https://www.bundesgesundheitsministerium.de/service/gesetze-und-verordnungen/detail/gesetz-zur-staerkung-der-oeffentlichen-gesundheit.html

Kommentare (8)

  1. #2 Joseph Kuhn
    17. Juni 2024

    Präventions(ankündigungs)minister Lauterbach?

    Im Tagesspiegel Background kommentiert Thomas Trappe heute die gesetzgeberische Hyperaktivität von Lauterbach so:

    “Das Ziel ist klar: Karl Lauterbach will als Präventionsminister punkten. Mit einem neuen Institut und einem „Gesundes-Herz-Gesetz“, außerdem einer Ausweitung von Vorsorgeuntersuchungen in Apotheken. Die Ankündigungen eignen sich für Schlagzeilen – angesichts entnervter Ampelfraktionen aber kaum für einen gelingenden parlamentarischen Prozess.”

    Der neue BIPAM-Gesetzentwurf trage kein Datum und sehe formal nicht wie ein Entwurf aus, wie er üblicherweise in die Ressortabstimmung geht. Beim gestern über die Bildzeitung lancierten Herzgesetz seien die Ampelfraktionen genervt, dass sie davon schon wieder aus der Presse erfahren würden. Trappe fragt, ob es hier am Ende zu einem “umgekehrten Präventionsparadox” komme: Lauterbach rede so viel und so lange über Prävention, dass am Ende nichts dabei rauskommt:

    “BIPAM-Errichtungsgesetz und das Herz-Gesetz jedenfalls sind in der aktuellen Kabinettszeitplanung, die bis Ende Juli reicht, nicht zu finden.”

  2. #3 BPR
    17. Juni 2024

    Danke für die Info.
    Die zum Gesetzesentwurf gehörende Begründung erklärt eine gesetzliche Regelung der BIPAM-Evaluation für “nicht erforderlich” (Abschnitt VII). Angesichts der starken, unbelegt gebliebenen Kritik, die es vor Tisch an der Arbeit der BZgA aus dem BMG gab, finde ich das schlitzohrig.
    In seiner Praxis wird das BIPAM um eine Evaluation auch der eigenen Prozesse, Ergebnisse und Strukturen nicht herum kommen, wenn es “Evidenzbasierung” als Grundlage seiner Arbeit ernst nimmt. Also den Evaluationsauftrag besser gleich ins Gesetz schreiben.

  3. #4 Joseph Kuhn
    18. Juni 2024

    Superbehörde im Aufbau?

    zm online kommentiert den Gesetzentwurf unter der Überschrift “Superbehörde ist im Aufbau”. Ich glaube, eine “Superbehörde” wird aus dem BIPAM nicht. Die dafür nötigen Milliarden sind nicht da, sondern woanders.

  4. #5 Joseph Kuhn
    21. Juni 2024

    Verbändeanhörung

    Der Gesetzentwurf ist jetzt bis 2.7. in der Verbändeanhörung. Danach soll er noch vor der Sommerpause, am 17.7., ins Kabinett.

  5. #6 Joseph Kuhn
    24. Juni 2024

    Doch kein Geld?

    Im Entwurf, der in die Verbändeanhörung ging, heißt es jetzt zu den Finanzen:

    “Mehrbedarfe im Bereich des Bundes sollen finanziell und (plan-)stellenmäßig im jeweiligen Einzelplan gegenfinanziert werden. Über die Einzelheiten zur Deckung der Mehrbedarfe wird im Rahmen kommender Haushaltsaufstellungsverfahren zu entscheiden sein.”

    Als Nullsummenspiel angelegt, bleibt dann zum ersten Satz dieser Vorgabe die Frage, wo die Gegenfinanzierung realisiert wird. Im RKI? Wird das dann analog zum “Negativwachstum” in manchen Konjunkturmeldungen eine “Negativstärkung” des RKI? Und der zweite Satz stellt alles in den Nebel einer ungewissen Zukunft.

    Karl, was ist dein Plan?

  6. #7 Joseph Kuhn
    29. Juni 2024

    “Verstehen statt Bevormunden”: Ganz neue Perspektiven?

    Das BIPAM verkörpert die Zukunft (des Jahres 1980). Im Ärzteblatt heißt es:

    “Es solle künftig darum gehen, nach den Beweggründen beim Gesundheitsverhalten zu fragen”

    Wie man sieht, setzen sich wissenschaftliche Entwicklungen auch im BMG durch. Jetzt hat man die Gesundheitspsychologie und vielleicht, wer weiß, sogar die Gesundheitssoziologie entdeckt. Es dauert nur ein paar Jahrzehnte und es muss Denglisch verpackt werden:

    “Man müsse nun genau hinsehen und orientiere sich an einem Ansatz der Weltgesundheitsorganisation (WHO): Behavioural and Cultural Insights. Dieser ziele darauf ab, Faktoren zu verstehen, die das Gesundheitsverhalten beeinflussen.”

    Manchmal fragt man sich, ob es nicht doch Paralleluniversen und Zeitreisen gibt.
    Vielleicht will das BMG aber auch nur endlich sein eigenes Meinungsforschungsinstitut haben.

    “Verstehen statt Bevormunden” hat die Gesundheitsförderung in Abgrenzung zur alten Gesundheitserziehung seit jeder angeleitet. “Gesundheit fördern statt kontrollieren” hieß beispielsweise ein Buch von Alf Trojan und Brigitte Stumm – 1992 erschienen.

    “Verstehen statt Bevormunden” ist fraglos ein guter Vorsatz, aber sicher nicht die Stärke von Karl Lauterbach – und neue Instrumente der Bürgerbeteiligung sind im Zusammenhang mit dem BIPAM bislang auch nicht bekannt geworden. Ganz davon abgesehen, dass der politische Zeitgeist auch insgesamt derzeit nicht in Richtung “wir wollen mehr Demokratie wagen” weht.

  7. #8 Joseph Kuhn
    17. Juli 2024

    Kabinettsbeschluss

    Das Bundeskabinett hat heute den Entwurf des “Gesetzes zur Stärkung der öffentlichen Gesundheit” beschlossen. Inwiefern der Entwurf noch Rückmeldungen aus der Verbändeanhörung aufgenommen hat, ist noch nicht bekannt.

    Karl Lauterbach wird zum Kabinettsbeschluss so zitiert:

    “Deutschland muss bei Vorsorge und Früherkennung von Krebs- oder Herzkrankheiten endlich von den hinteren Plätzen in Europa an die Spitze kommen. Vorbeugung durch Aufklärung und Früherkennung müssen stärker werden! Mit dem BIPAM fördern wir den Austausch von Wissenschaft, Politik und Praxis und stärken endlich die Prävention in der Bevölkerung. Das wird helfen, chronische Krankheiten und deren kostenintensive Behandlungen zu vermeiden.”

    Nachtrag und Korrektur:

    Inzwischen liegt der Kabinettsentwurf vor. Die Grundkonstruktion des BIPAM ist zwar gegenüber dem Referentenentwurf unverändert, aber in der Gesetzesbegründung gibt es einige relevante und in kleineren Punkten auch positive Neuerungen. Die Mittelverwendung ist differenziert worden und die Public Health-Surveillance einschl. der wichtigen Mental Health Surveillance hat nun immerhin eine Basisfinanzierung von 750.000 Euro. Allerdings sind zugleich die Mittel insgesamt empfindlich gekürzt worden, von jährlich 30 Mio. Euro auf 14,5 Mio. Euro.

    Des Weiteren ist jetzt auch eine Evaluation vorgesehen, im Referentenentwurf war sie noch explizit ausgeschlossen. Damit wird man dann auch noch einmal datengestützt diskutieren können, ob das BIPAM wirklich hilft, “chronische Krankheiten und deren kostenintensive Behandlungen zu vermeiden” bzw. was dazu an Weiterentwicklung des BIPAM nötig wäre.

    Insofern ging die Kritik der Verbände nicht ganz spurlos am Gesetzeswerk vorüber, leider auch nicht die Sparvorgaben des Finanzministeriums. Eventuell können über das nun anschließende parlamentarische Verfahren noch Verbesserungen erreicht werden.

    [Edit: Den ursprünglichen, noch auf den Referentenentwurf gestützten Passus im Kommentar, dass es keine Evaluation gibt, habe ich gelöscht, samt einem unnötig polemischen Satz. Ergänzt wurde der Hinweis auf die Kürzung des Gesamtbudgets, der Kommentar insgesamt wurde am 18.7. noch einmal aktualisiert.]