Vor gut drei Jahren, noch vor dem Überfall Putins auf die Ukraine und dem Massaker der Hamas in Israel mit dem darauf folgenden massenhaften Töten und Sterbenlassen in Gaza, gab es hier einen Blogbeitrag über Barbarei als Option für die Mächtigen, die keine sie einschränkenden Regeln mehr anerkennen. Von der Sorte gibt es einige, mit ganz unterschiedlichen Mindsets. Es gibt libertäre Anarchisten, Imperialisten, einfache Autokraten, korrupte Kleptokraten, Monarchisten und wer weiß was noch alles.

Trotz aller ideologischen Differenzen vor allem zur Rolle des Staates teilen sie durchaus gemeinsame Topoi, z.B. sind sie gegen alles, was sie als „woke“ einstufen, Minderheitenrechte sind ihnen so egal wie Frauenrechte, die freie Presse ist ihnen ein Dorn im Auge, sie scheren sich nicht um wissenschaftliche Fakten und auch nicht um moralische Verantwortung. Die meisten sind sich auch darin einig, dass sie die Demokratie ablehnen und Menschenleben als Verfügungsmasse ihrer persönlichen Präferenzen sehen.

Das Geschäft wird diesen Leuten dadurch erleichtert, dass die „Werte des Westens“ über die Jahrzehnte hin immer fadenscheiniger geworden sind, außenpolitisch, wenn man z.B. an den völkerrechtswidrigen Irakkrieg 2003 denkt oder die Ignoranz gegenüber dem Massenmord 1994 in Ruanda, innenpolitisch, wenn man das Versagen vieler demokratischer Regierungen in zentralen Fragen der Daseinsvorsorge betrachtet, vom bezahlbaren Wohnen über die Pflege bis zum Umgang mit dem Klimawandel.

Auch den rechten Vordenkern in den USA dienen solche Skandale als Anschauungsmaterial für ihre Behauptung, die Demokratie sei ein Auslaufmodell, eine gescheiterte Beta-Version des Regierens. „Democracy – The god that failed“, hatte Hans-Hermann Hoppe, Habermas-Schüler, wie übrigens auch Alexander Karp, seinen Abgesang auf die Demokratie 2001 betitelt. Eine Monarchie wäre ihm lieber. Aus seiner Sicht klare Verantwortlichkeiten, keine Verschleierung von Interessen. Curtis Yarvin, der sich im Dunstkreis von Peter Thiel, Elon Musk und JD Vance bewegt, mit Nick Land eine der Galionsfiguren der „Dunklen Aufklärung“, meint ebenso, die demokratische Entwicklung der letzten 100 Jahr sei ein Irrweg gewesen und man müsse im Interesse einer besseren Regierung die Angst vor der Diktatur ablegen. Auch er spricht sich für die Monarchie aus. Ein Monarch, ein Staatseigentümer, habe schließlich mehr Interesse am Erhalt seines Eigentums als das demokratisch gewählte Polit-Management.

Historisch ist das völliger Unsinn, Monarchen haben bekanntlich über Jahrhunderte die Welt mit Blut getränkt und immer wieder ganze Landstriche verwüstet, wenn auch nicht unter der Flagge „freedom and democracy“.

Ökonomisch ist es auch Unsinn. Yarvin unterstellt privaten Unternehmen pauschal Effizienz, als ob nicht ständig Unternehmen pleite gingen. Die Effizienz von Unternehmen wiederum führt er auf Hierarchie zurück und folgert, daher sollten auch Staaten so geführt werden. Vielen Tech-Milliardären gefällt so was. Aus schlechter Betriebswirtschaftslehre wird so noch schlechtere Politikwissenschaft. McDonalds-Science. Dass unternehmerisch geführte Staaten, quasi neomerkantilistische Diktaturen, innovativer und effizienter wären, weil sie nicht durch die demokratisch in Macht übersetzten vielfältigen Interessen der breiten Masse gelähmt seien, ist eine bloße Behauptung. Gibt es überhaupt Beispiele?

Nordkorea ist gewiss nicht innovativer als die Schweiz, Russland ist auch nicht dafür bekannt, ständig neue Medikamente oder Handys auf den Markt zu bringen, und die USA vielleicht bald auch nicht mehr. Wie die Geschichte in China ausgeht, ob dort auf Dauer ein Amalgam aus autoritärer Führung und kreativer Problemlösung möglich ist, muss sich erst noch zeigen. Der Umgang Chinas mit der Coronakrise spricht eher dagegen und ob das Heil der Menschheit in der Massenproduktion von Industriewaren liegt, ist ohnehin fraglich. Autokratische Kleinstaaten wie das wirtschaftlich erfolgreiche Singapur müssen als Belege herhalten, als ob sich daraus eine Blaupause für die Welt ableiten ließe.

Aber die Behauptung, es sei so, ist verführerisch, und umso verführerischer, je mehr sich die Menschen selbst in dieses Bild einfügen, sich primär als Kundschaft verstehen und Politik als gutes Management. Paradoxerweise erwärmt sich dann mit einer gehörigen Portion Zerstörungslust sogar die spießbürgerliche Kundschaft für den Umsturz, für Disruption, auch wenn deren Vordenker diese postheroische Konsummentalität geradezu verachten. Sie sehen darin Nietzsches letzten Menschen, so sehr ihnen die demokratische Anspruchslosigkeit dieser Menschen entgegenkommt. Das bisschen Fußball und Kinderschrei‘n möge doch nicht alles gewesen sein, hatte Wolf Biermann seinerzeit die Frankfurter Kritische Theorie verdichtet. Den Lebensstil der Konsumgesellschaft mag man kritisieren, auch die dunklen Seiten der Aufklärung. Jetzt ist der kritische Blick auf die unerfüllten Versprechen der Marktwirtschaft und der liberalen Demokratie allerdings in einer unguten Weise nach rechts gewandert – und zeigt in eine andere Richtung. Hoffentlich nicht in Richtung Zukunft. Die hatten wir schon mal.

Kommentare (12)

  1. #1 hto
    22. Mai 2025

    @Kuhn: “… sich primär als Kundschaft verstehen und Politik als gutes Management.”

    Während meiner Zeit mit einer trotzkistischen Partei auf der Straße (das Wort Alternative war/ist auch im Parteinamen SAV!), hatte ich die Erfahrung gemacht, dass die rasch wachsende Zahl der Symphatiesanten vor allem keine Lust mehr auf herkömmlich-gewohnte Politik und das Wählengehen hatte, doch leider ist das am harten Kern der SAV abgeprallt, was blieb war “verbrannte Erde”, SCHADE, aber über sowas willst Du NATÜRLICH nicht diskutieren. 😉

    • #2 Joseph Kuhn
      22. Mai 2025

      @ hto:

      “über sowas”

      Über was? Über Ihre Erfahrungen? Über die Enttäuschung vieler Menschen über die Politik in Deutschland? Über die Ablehnung des politischen Systems an sich durch manche Gruppen? Über den Sinn von Wahlen? Über die Splitterpartei SAV?

  2. #3 Robert
    22. Mai 2025

    Soweit ich weiß, gab es noch nie einen Krieg zwischen zwei demokratischen Staaten (wobei ich Scheindemokratien wie Russland ausschließe). Das ist doch schon mal etwas.

    Durch die Demokratie ist nicht automatisch alles gut, aber es ist in vielen tausend Jahren Staatsgeschichte das beste, was wir bisher hervorgebracht haben.

  3. #4 hto
    22. Mai 2025

    “Barbarei, Anarchie, Monarchie – Oder doch lieber etwas mit Demokratie?” – Einer Demokratie des Status quo ante, im Sinne der Margarine DU DARFST und dem Slogan: ICH WILL SO BLEIBEN WIE ICH BIN? 😉

  4. #5 hto
    wo der wettbewerbsbedingt-konfuse Konsum- und Profitautismus ...
    22. Mai 2025

    @Kuhn: “… sogar die spießbürgerliche Kundschaft …”

    Seltsam, was anderes als Spießbürger soll einer wie Du dann sein???

    • #6 Joseph Kuhn
      22. Mai 2025

      … nichts anderes. Die Rolle des revolutionären Helden bleibt selbstverständlich Ihnen vorbehalten.

  5. #7 naja
    22. Mai 2025

    Die Idee, die Reichen würden das alles für uns kostengünstig, qualitativ hochwertig und nachhaltig für uns wuppen, ist echt “Wag the dog “- mässig beknackt. Im Gegenteil. Die wollen kurzfristig hohe Renditen und keine Investitionen. Das ist doch auch ein alter Hut. Wir bräuchten eher das Gegenteil.
    Zumindest ist es oft genug schiefgegangen, bestimmte Dienstleistungen zu privatisieren. Das betrifft auch bezahlbare Mieten und z.B. die Bahn heute. Auch im Zuge der Austeritätspolitik nach der Weltwirtschaftskrise 2007/2008 wurden in der EU fragwürdige Entscheidungen getroffen.

  6. #8 noch'n Flo
    Schoggiland
    23. Mai 2025

    @ hto:

    Seltsam, was anderes als Spießbürger soll einer wie Du dann sein???

    Da halte ich es mal mit einem etwas älteren TV-Werbespot: “Wenn ich gross bin, möcht’ ich auch mal Spiesser werden!”

  7. #9 RPGNo1
    23. Mai 2025

    hto ein Revolutonär? Dann doch eher der maoistische Opa im weissen Feinrippunterhemd, der sich aus dem Fenster lehnt und die Spaziergänger mit seinen “klugen” Sprüchen “beglückt”.

  8. #10 Ludger
    23. Mai 2025

    Demokratie ist mir als Schlagwort ein bisschen wenig. Wenn ein Regierungschef demokratisch gewählt wurde, ist er dadurch noch lange kein Demokrat. Es gibt reichlich Beispiele.
    Essentiell für die Demokratie sind u.a. Gewaltenteilung, Rechtsstaatlichkeit, Menschenrechte und Minderheitenschutz. Daran mangelt es z.B. Putin und leider auch Herrn T.

    • #11 Joseph Kuhn
      24. Mai 2025

      @ Ludger:

      “Wenn ein Regierungschef demokratisch gewählt wurde, ist er dadurch noch lange kein Demokrat.”

      So ist es.

      “Es gibt reichlich Beispiele.”

      Historische wie ganz aktuelle.

  9. #12 Joseph Kuhn
    9. Juni 2025

    Endzeitfaschismus

    In der aktuellen Ausgabe der “Blätter für deutsche und internationale Politik” ist ein sehr lesenswerter Artikel von Naomi Klein und Astra Taylor “Der Aufstieg des Endzeitfaschismus”. Das englische Orginal “The rise of end times fascism” im Guardian ist ohne Paywall zugänglich.

    Die Autorinnen diskutieren die Neigungen einiger Superreicher wie Thiel, Musk oder Zuckerberg, die Hoffnung auf eine lebenswerte Welt für alle aufzugeben und sich das eigene Überleben angesichts bevorstehender Katastrophen in privaten Fluchtburgen zu sichern. Das in die gleiche Richtung gehende Buch “Survival of the Richest” von Douglas Rushkoff liegt gerade als Bestseller in den Buchläden, aber der Artikel von Klein & Taylor bringt es m.E. viel kürzer und prägnanter auf den Punkt.

    Als Version für den “kleinen Mann”, so die Autorinnen, bieten nationalistische Suprematisten wie Bannon das Konzept eines abgeschotteten Staats an, quasi als “Bunker” für Auserwählte. Solche Staaten haben folglich rücksichtslos nur die eigenen Interessen im Auge und müssen sich unbedingt die für ihr Überleben nötigen Ressourcen sichern – Panamakanal, Grönland usw.

    Gemeinsam sei den Prepper-Phantasien der Superreichen und der nationalistischen Suprematisten eine Armageddon-Vorstellung, eine Endzeitvorstellung, sozusagen eine finale Version vom “Ende der Geschichte”, wonach es keine gemeinsame Zukunft der Menschheit mehr gibt.

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    Nachtrag: Adam Tooze sieht die Bestrebungen des Milieus um Trump anders als Klein & Taylor nicht als “Endzeitfaschismus”: https://www.surplusmagazin.de/tooze-trump/. Man man muss der Steigerung des technokratischen Solutionismus der Tech-Milliardäre zum Endzeitfaschismus bei Klein & Taylor nicht folgen. Ob Musk & Co. “nur” die Demokratie als Behinderung ihrer egomanen Visionen loswerden wollen oder wirklich das Ende der Geschichte einkalkulieren, wer weiß. Jedenfalls geht Adam Tooze zu schnell über die Differenzierung hinweg, die Klein & Taylor zwischen den Bestrebungen der Tech-Milliardäre und Leuten wie Bannon vorgenommen haben.

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    Noch ein Nachtrag, 15.6.2025:

    Eine gegenüber den Idealen der Demokratie und des sozialökologischen Umbaus gegenüber kritische Perspektive nimmt seit Längerem auch Ingolfur Blühdorn ein. Sein neues Buch “Unhaltbarkeit” liegt aber noch auf dem Lesestapel.