“Potential function of the spermaceti organ in aggression”?
Carrier et al (2002, s. u.) stellen die Hypothese auf, die Nase des Pottwals sei eine „battery ram“ – ein Sturmbock. Sie interpretieren die einzigartige Konstruktion des Junk (s. , zu dem es bei keinem anderen lebenden Wal ein Pendant gibt, als zentrales Organ im Kommentkampf erwachsener Pottwalbullen: „the greatly enlarged and derived melon of sperm whales, the spermaceti-organ, evolved as a battering ram to injure the opponent“ in male-male interaction.
Dazu haben sie eine Reihe von theoretischen Experimenten zur Belastbarkeit der Pottwalnase durchgeführt und verweisen auf Kommentkämpfe anderer Säugetiere. Freilandbeobachtungen von kämpfenden „Moby Dick“-Verwandten haben sie nicht.
Ist der wuchtige Rammstoß mit dem Kopf wirklich eine „normale“ Verhaltensweise von „Moby Dick“?
Kommentkämpfe kommen bei vielen Tierarten vor: Kämpfe der erwachsenen männlichen Tiere, die um Weibchen und Territorien kämpfen. Sie sind zum Kräftemessen zweier Rivalen und laufen nach strengen Ritualen ab. Dabei kann es zu Verletzungen kommen, es kann auch Blut fließen – aber das Ziel ist nicht, den Gegner zu töten. In der Regel stehen die Gegner Kopf an Kopf und kämpfen kontrolliert mit Stirn, Hörnern, Geweih, Zähnen, Hufen, etc. Bei Tierarten, die Kommentkämpfe austragen, sind die Männchen oft wesentlich größer als die Weibchen und haben stark entwickelte Stirnen, Hörner, Geweihe oder Zähne.
Erwachsene Pottwal-Männchen haben Narben im vorderen Bereich ihrer gewaltigen Köpfe: Auf der dunkelgrauen Haut sind deutliche Kratzer in Linien und Kurven „eingeritzt“.
Der Zahnabstand beweist: Die Zahnspuren stammen von anderen Pottwalen. Manchmal sind auch die Spuren von Orcazähnen zu sehen, aber das ist eine andere Geschichte.
Zahnspuren nur im vorderen Kopfbereich und nur bei erwachsenen Bullen sind ein starker Hinweis auf Kommentkämpfe. Angeblich sollen die Bullen dabei ihre Unterkiefer verhaken, Spuren davon sind etwa beschädigte Zähne und gebrochene oder sogar abgerissene Unterkiefer.
Augenzeugenberichte sind Mangelware.
Der russische Pottwalexperte Berzin (1971, s. u.) hat in seiner sehr detaillierten Monographie „The Sperm Whale“ den damals aktuellen Stand der Forschung unter Berücksichtigung aller englischsprachigen, russischen und japanischen Quellen wiedergegeben. Er kommt auf gerade mal vier moderne Berichte von kämpfenden Pottwalbullen.
Hal Whitehead bringt ebenfalls nur die historischen Augenzeugenberichte, moderne kennt er nicht. Und Whitehead hat Jahrzehnte seines Lebens mit den Tieren verbracht, er ist sozusagen der „Pottwal-Papst“ und eine sehr glaubwürdige Quelle.
Der Biologe interpretiert die Seltenheit der Berichte über kämpfende Männchen so, dass sie selten und kurz sind (Whitehead 2003, s. u.: S. 280). Er selbst hat vor Chile eine solche kurze Begegnung gesehen: Ein einzelnes Männchen schwamm auf ein Pärchen zu, dann kam es zur Rangelei – größtenteils unter Wasser – zuletzt umschloss ein Bulle mit seinen Kiefern den Schwanz des Rivalen. Daraufhin zog sich eines der Männchen – vermutlich das unterlegene – schnell zurück.
Whitehead meint, dass Pottwale, die sich gegenseitig beträchtlichen Schaden zufügen könnten, Kämpfen wahrscheinlich meistens aus dem Weg gehen. Über die Sonarortung könnten sie schon Größe und vermeintliche Stärke des Gegners abschätzen.
Carriers Interpretation der Pottwalnase als Sturmbock (battery ram) teilt er nicht. Auf S. 319 schreibt er dazu: „there are a number of problems with this hypothesis as it stands.“ Zunächst haben auch die weiblichen Pottwale eine Melone, die etwa 20 % ihres Körpergewichts ausmacht und genauso hoch entwickelt ist wie die der Männchen. Die Melone der Männchen ist zwar wesentlich größter, aber Whitehead leitet aus ihrer Funktion als Akustikorgan eher eine geschlechtsspezifische akustische Nutzung ab. Die akustischen Signale dienen zur Darstellung der Paarungsbereitschaft und zum Abschätzen der Größe und Stärke des Gegners und würde die Tiere vor schweren Verletzungen bewahren.
Rammstöße, die hölzerne Schiffe zerbrechen, würden auch einen Gegner im Kommentkampf schwer verletzen. Das liegt aber nicht im Sinne der Arterhaltung.
Dazu halte ich es für wenig wahrscheinlich, dass die Wale ihre hochkomplexen Nasen-Organe für Rammstöße riskieren. Von der Funktionsfähigkeit der „Nase“ hängt ihr Überleben ab. Ohne funktionierendes Sonar und Spermacetiorgan wären sie in Tiefe der See blind und könnten weder Nahrung finden noch den Kontakt zu ihrer Gruppe halten.
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