2009 bekamen einige Spaziergänger in Kyoto einen Riesenschreck: Aus dem Kamogawa-Fluß stieg ein Riesentier!
Über einen Meter lang, mit einem runden Riesenkopf und schleimig aussehender schlammfarbener Haut schleppte sich das „Monster“auf Stummelbeinen am Fluss entlang.
Diese Meldung erschien heute auf dem Science-Blog „I fucking love Science“.
Bei dem angeblichen Flussmonster handelt es sich natürlich um den Japanischen Riesensalamander Andrias japonicus.
Hier ist ein japanisches Video dazu.
Der IT-Experte und Japan-Fanatiker Dr. Stephan Wonczak hat freundlicherweise den Text übersetzt.
Die japanische Bildunterschrift lautet in lateinischen Buchstaben:
„dekai! kyoto kamogawa ni oosanshouuo shutsubotsu, aruku sugata wo toraeru”
Auf Deutsch:
„Riesig! Am Kamogawa-Fluß in Kyoto ist ein Riesensalamander aufgetaucht; hier ist das Aussehen eingefangen, wie er läuft.“
(Ōsanshōuo ist Japanisch für „Riesensalamander“).
Weiter heißt es im Text (sinngemäß): „Der Molch wurde von der herbeigerufenen Polizei wieder in den Fluss zurückgebracht. Niemand würde einem solchen Tier etwas zuleide tun.“
Auf dem Video ist eine Stimme zu hören, die „daijoubu? (“Alles in Ordnung?“) fragt.
Stephan erzählte auch noch, dass er die Gegend recht gut kennt, und man dort wunderbar spazieren gehen oder Rad fahren könne.
(Ein ganz herzliches Dankeschön an Stephan für die superschnelle Übersetzung und den link zum 2. Video).
In diesem Video sieht man deutlich die reißende Strömung des Flusses, die auf eine Hochwassersituation hindeutet.
Der Molch scheint auch nicht ganz freiwillig aus dem Fluss gestiegen zu sein, es sieht eher aus, als sei er angespült worden. Er ist sonst eher an entschleunigte Wasserverhältnisse angepasst und macht einen hilflosen, verwirrten Eindruck. Diese Situation ist in seinem Verhaltensrepertoire schließlich nicht vorgesehen, der Flussbereich in den Innenstadt von Kyoto war sicherlich nicht sein angestammter Lebensraum: Amphibien sind sehr empfindlich gegenüber Wasserverschmutzung, weil ihre Haut keine Barrieren gegenüber Schadstoffen hat. Daher dürfte ein Aufenthalt im städtischen Flussabschnitt einem Molch eher kein sehr langes Leben bescheren. Es liegt nahe, dass der reißenden Fluss ihn aus seinem eigentlichen Wohnareal flussabwärts gespült oder gerissen hat.
Das fluviatile Getüm vorsichtig einzufangen und in einem weniger bewohnten Flussabschnitt flussaufwärts wieder in den Fluss zu setzen, war goldrichtig.
Der Japanische Riesensalamander – große Klappe und kleine Augen
Andrias japonicus und seine Schwesterart in China, der chinesische Riesenmolch Andrias davidianus, halten den absoluten Größenrekord für Amphibien: Andrias japonicus wird bis zu 150 cm lang! Dann kann er bis zu 35 kg Gewicht auf die Waage bringen (Andrias davidianus kann sogar 180 cm lang werden!).
Die meisten Exemplare sind aber „nur“ zwischen 60 und 90 cm lang.
Das größte in freier Wildbahn gefundene Exemplar war 136 cm lang und wog 26.3 kg.
Zum Vergleich: Die meisten anderen heute lebenden Molche erreichen kaum 15 cm Länge.
Der breite, halbrunde Kopf des Andrias ist flach und trägt kleine, lidlose Augen. Auch der Körper ist flach, die Beine sind klein, nicht sehr kräftig und eng an den Körper angelegt. Die Rücken- und Bauchflossen sind bei dem an Land liegenden Tier nicht gut zu erkennen. Die äußere Gestalt des Tieres zeigt schon, dass der Salamander überwiegend am Boden eines Gewässers liegt und der Körper nicht hochgestemmt werden muss.
Die Haut ist weich, feucht und rötlich-braun bis schwärzlich und mit vielen kleinen Falten und Tuberkeln bedeckt. Andrias lebt überwiegend aquatisch und ist nachtaktiv. Er jagt Krebse, kleinere Amphibien, Insekten und kleine Säugetiere, das Maul ist voller spitzer kleiner Zähne.
Die Tiere leben einzeln, nur in der Paarungszeit vom späten August bis zum frühen September kommen Weibchen und Männchen zusammen. Dafür bauen sie unter Wasser „Hochzeitslauben“ in Form von 100 bis 150 cm langen Bauten am Gewässergrund. Männchen und Weibchen können mehr als ein Nest besitzen, schwere und große Männchen halten oft ein Monopol auf mehrere Nester – sie sind dann “den-masters”. Die Weibchen besuchen die Nester oft mehrmals und legen ihre Eier dort ab, die Männchen befruchten die Eier im Nest und verteidigen die Höhlen mit den Eiern über einen Monat lang gegen andere Salamander-Männer. In dieser Zeit werden in der Nähe der Nester immer wieder tote und sterbende Andrias-Exemplare gefunden – ein Nachweis für heftige Kämpfe (AmphibiaWeb: Andrias japonicus).
In Japan wird zu Ehren der Riesensalamander Ōsanshōuo sogar ein eigenes Festival organisiert.
Die langlebigen Riesenmolche werden seit 1905 in Zoos gehalten, sie können zu über 50 Jahre alt werden. In Deutschland sind sie im Zoo Duisburg zu sehen und sicherlich auch in anderen Tiergärten.
Das Ungewöhnlichste an der Meldung zur Sichtung dieses kapitalen Exemplars des Riesensalamanders ist allerdings nicht das Tier selbst, sondern vielmehr der Umstand, dass eine Nachricht von 2009 jetzt wieder eine Schlagzeile geworden ist.
Molche in der Zukunft: “Der Krieg mit den Molchen”
Ein Bericht über einen Japanischen Riesensalamander wäre nicht vollständig ohne einen Hinweis auf Karel Capeks genialen Roman „ Der Krieg mit den Molchen“.
Der „Krieg mit den Molchen“ (Originaltitel: Válka s mloky) ist ein satirischer Science-Fiction-Roman des tschechischen Schriftstellers aus dem Jahre 1936 und gehört heute zur UNESCO-Sammlung repräsentativer Werke.
Eine intelligent geschriebene, düstere Parabel vom Vorabend des 2. Weltkriegs. Politisch immer wieder bedrückend aktuell nimmt er gleichermaßen auch das wesentlich moderne Thema einer drohenden Klima-Katastrophe vorweg:
„In Capeks Roman geht die Menschheit an einer Mischung aus Profitgier und Größenwahn zugrunde. Vor Sumatra entdeckt man eine unbekannte Molchart. Die gelehrigen Tiere werden rasch zum globalen Wirtschaftsfaktor: hochintelligente Arbeitssklaven, die an den Börsen in Kategorien wie „leader“ oder „trash“ gehandelt werden und der Menschheit eine Ära nie gekannten Fortschritts bescheren. Es kommt, wie es kommen muss. Technisch versiert und von konkurrierenden Staaten hochgerüstet, wenden sich die Molche schließlich gegen ihre Ausbeuter.“ schrieb Bettina Kaibach in ihrem Beitrag “Aufstand der Sklaven“ im Tagesspiegel.
Capeks Meisterwerk ist unbedingt lesenswert, auch fast 80 Jahre nach der Ersterscheinung!
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