„Da in vorigem Monat auff der Reise nach
Halle mein Haar eine Weile nicht pouderte, mu-
ßte sehen daß es gantz fett, von dem Sale volatili
oleoso per poros vel sensibiliter[…] insensibiliter
excerni solito.“
Demgegenüber vermitteln die Aufzeichnungen in den „nichtärztlichen“ Tagebüchern ein lebhaftes und oft mit sehr spitzer Feder formuliertes Bild der Stadt Frankfurt und ihrer Bewohner über Jahrzehnte hinweg. Die „Notizzettel“ umfassen hierbei alle nur denkbaren Bereiche: So erfährt man neben vielem Unbekannten aus der Geschichte Frankfurt gleichzeitig Wissenswertes im Hinblick auf die zeitgenössische Medizin, Pharmazie, Botanik, die neuesten Erkenntnisse zu Chemie, Physik, Mineralogie, Meteorologie… Daneben bergen die Aufzeichnungen Notate, die interessant sind für Wissenschafts- und Universitätsgeschichte, Theologie, Philosophie, Psychologie, Literaturgeschichte, Literaturwissenschaft, Wirtschaftsgeschichte, Kunstgeschichte,… und natürlich allgemein die Erforschung von Geschichte und Kultur der Frühen Neuzeit.
Seine philosophischen und theologischen Diskussionen mit anderen Gelehrten notierte er oft wortwörtlich. Diese Wortprotokolle geben uns heute einen Einblick in wissenschaftliche Diskussionsrunden und Diskurse zur Zeit der Aufklärung.
Die „ärztlichen“ Tagebücher enthalten regelrechte Krankenakten: Er beschreibt Krankheitsbilder und Symptome, Gespräche mit den Patienten, notiert seine Therapien und Rezepte und dokumentiert schließlich, sofern der Kranke verstarb, die Ergebnisse der Sektion. Je nach Patient umfassen diese Notizen bis zu 100 Seiten.
Der damaligen Medizin entsprechend erklärte er viele Krankheiten mit dem Ungleichgewicht der Körpersäfte. „Seine wichtigste Therapieempfehlung war eine strenge Diät mit viel Gemüse, wenig Fleisch und ohne Alkohol, sowie ausreichende Flüssigkeitszufuhr, zum Beispiel durch Trinkkuren“ erzählt Frau Dr. Marschall. Damit erzielte er beachtliche Heilerfolge.
Interessanterweise war Senckenberg als Arzt nicht nur für Menschen zuständig, sondern manchmal auch für Tiere. Schließlich gab es zu dieser Zeit noch keine Tierärzte. Während einer Viehseuche in Frankfurt 1762/63 sorgte er sich um die vierbeinigen Patienten. Senckenbergs akribische Aufzeichnungen dazu finden sich in einem Sonderteil in den Tagebuchbänden auf die Jahre 1762/63.
Das war ein Teil seines Weltbildes, Senckenberg war ein frommer Mann und kümmerte sich um alle Geschöpfe Gottes – Menschen und Tiere. Das Gesundheitssystem des damaligen Frankfurt hielt er für erbärmlich und setzt sich nachdrücklich für Reformen ein. Da die Stadt Frankfurt untätig blieb, gründete er schließlich im Rahmen seiner Stiftung selbst das Bürgerhospital und förderte gleichzeitig die Ausbildung der Ärzte und Chirurgen.
Das Projekt Senckenberg
In einem 2-jährigen Pilotprojekt, das von der Dr. Senckenbergischen Stiftung und der Universitätsbibliothek (UB) gemeinsam getragen wurde, wurden die „nichtärztlichen“ Tagebücher Senckenbergs der Jahre 1762/63 digitalisiert (Bde. 42, 44 und 45) und eine TEI-/XML-internetbasierte Paralleldarstellung von Digitalisat, Transkription und Erläuterungen erarbeitet. Aufbauend auf diesen Vorarbeiten sollen nun in einem Anschlussprojekt, das durch die Universitätsbibliothek, die Dr. Senckenbergische Stiftung, die Stiftung Polytechnische Gesellschaft und die Gemeinnützige Hertie-Stiftung gefördert wird, die Bände 1-18 aus den Jahren 1730 bis 1742 in eine heute lesbare Form gebracht und online zur Verfügung gestellt werden.
Die Texte werden von der Universitätsbibliothek J.C. Senckenberg herausgegeben.
Ein gewaltiges Unterfangen! Aber der faszinierende Inhalt der Tagebücher rechtfertigt ganz bestimmt den Aufwand.
Der Tratsch- und Cat-Content ist ein kleines Dankeschön für die LeserInnen, die in der vergangenen Woche die abstrakten Themen über das Wesen der Science-Blogs mitdiskutiert haben. Ein weiterer Cat-Content wird noch folgen.
Dieser Artikel erschien erstmals am 04.04.2014 in “puls.”, dem Online-Magazin für Medizinstudierende der Goethe-Universität. “puls.” wurde im Mai 2014 eingestellt, das Archiv befindet sich auf puls.meertext.eu
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