Am 06. Dezember ist ein seltsamer Fisch vor die Unterwasser-Kamera des ROVs (remotely operated vehicle)geschwommen.
8,143 m tief im pazifischen Marianengraben. Er ist wächsern-durchsichtig, bleich und sieht vorn wie ein Gummiball mit Augen und hinten wie eine Kaulquappe aus. Die Durchsichtigkeit und die scheinbare Substanzlosigkeit lassen ihn unwirklich wirken. Mit den Bewegungen seiner weißlichen, flappenden Brustflossen und des durchscheinenden Schwanzes wirkt er fast wie ein Gespenst – eines von der guten alten Sorte, die in Bettlaken herumspuken.
Dieses Fischlein von 15 Zentimetern Länge schlägt den bisherigen Tiefsee-Rekordhalter-Fisch um 500 m. Alan Jamieson, ein Tiefsee-Biologe der Aberdeen University und Co-Leiter der Expedition, identifizierte den Tiefseeschwimmer als Scheibenbauch („snailfish“ – auf Deutsch “Schneckenfisch”). Scheibenbäuche sind bekannte Tiefseebewohner.
Dieser allerdings sieht ganz anders aus, als seine bisher bekannten Vettern: „Its head looks like a cartoonish version of a dog’s head. But the body is incredibly delicate. You can see its liver through the side of the fish, like tissue paper being dragged through the water.” And the way it moves, “it’s like there’s no structure to it. It just glides.” erzählt Jamieson im Interview.
Das Tier schwimmt dicht über dem Meeresboden und wirbelt mit den Spitzen der Brustflossen Schlieren von Sediment auf. Der Expeditionsleiter Jeff Drazen – ein Tiefsee-Ökologe der University of Hawaii erklärt, dass der Fisch offenbar gerade auf Nahrungssuche sei. Die Flossen könnten mit Sensoren versehen sein, mit denen der Scheibenbauch kleine Tiere im Schlamm aufspüren kann. An einer Stelle schnappt er sogar nach etwas im Boden:„In fact, we actually saw it strike at something [in the mud] and try to eat it.”
Leider hat sich der Auftritt des Tiefseebewohner als Cliffhanger erwiesen. Die Forscher hatten mit Ködern potentielle Bewohner des Tiefseegrabens vor ihre Kameras gelockt. Sie konnten allerdings kein Tier fangen, um es detailliert zu untersuchen. Nur so könnten Fischexperten eine korrekte wissenschaftlichen Beschreibung des Tieres anfertigen und dann nachweisen, ob es sich um eine neue Art oder einen alten Bekannten handelt. “Unfortunately,” sagt Jamieson, “it’s going to remain nameless until someone can catch it.
Pech für die Fischforscher. Glück für den Scheibenbauch.
Die Tiefseebiologen hoffen allerdings, bei einer weiteren Expedition ein ROV oder Tauchboot mit dem Equipment für eine Probennahme einzusetzen.
Scheibenbauch mit strengem Körpergeruch
Scheibenbäuche sind aus den Tiefen der Tiefseegräben schon länger bekannt: Im März 2014 fischten Tiefsee-Biologen des NOAA aus dem Kermadec Graben bei Neuseeland einige Scheibenbäuche aus 7000 m Tiefe. Die Fische hatten den leckeren Makrelenhäppchen nicht widerstehen können und waren gleich zu mehreren in die Lebendfalle geschwommen. Kein Wunder – in der Tiefsee ist Futter eine rare Ressource. Und die Bewohner des Hadals, wie der Bereich des Ozeans unter 4000 Meter Tiefe heißt, haben meistens sehr gute Geruchsdetektoren und erschnuppern Futter über große Distanzen.
Der Biologe Rowdon verglich den Fisch, nachdem er ihn in der Hand, hatte, mit einem wassergefüllten Kondom. Die Tiere sind dann allerdings sehr schnell aus der Hand in den Kühlschrank gewandert. Sie neigen zu unangenehmem Körpergeruch. Tiefseefische enthalten viel Trimethylaminoxid, ein Molekül, dass Eiweiße gegen hohen Druck schützt. Das Trimethylaminoxid verhindert, dass die Tiere in großer Tiefe durch die osmotischen Prozesse zu viel Salz in den Körper aufnehmen. Eine andere Spezies des Tiefsee-Scheibenbauchs lebt im Japan-Graben, üblicherweise zwischen 6500 und 7500 Metern Tiefe.
Je tiefer man kommt, desto höher sei die Konzentration dieser Substanz, erklärt Jamieson im Interview. Ab 8200 Metern Tiefe gibt es nicht einmal mehr theoretisch eine Chance für Fische. Denn: In noch größerer Tiefe wurde der Druck Zellen einfach zerquetschen. Ein Fisch, der noch tiefer leben wurde, müsste ganz anders sein als alle anderen heute bekannten Fische.
Zum Weiterlesen über Tiefseegräben:
https://web.whoi.edu/hades/
Übrigens:
Scheibenbäuche gibt es auch in der Nordsee. Die Bauchflossen liegen bei diesen Fischen weit vorn, zwischen den Brustflossen. Ihr Name kommt daher, dass ihre Bauchflossen zusammengewachsen und zu einem Saugnapf ausgebildet sind. Damit halten die Fische sich gern an einem Stein fest und klappen dann den Schwanz nach vorn, neben den Kopf. Ihr englische Name „snailfish“ kommt von ihrer schleimigen Oberfläche. Sie sind gar nicht selten, geraten aber nur sehr selten in Fänge und sind darum recht unbekannt. In der Nordsee leben der Große Scheibenbauch (Liparis liparis; 8 bis 14 Zentimeter) und der Kleine Scheibenbauch (Liparis montagui; 6,5 bis 10 Zentimeter).
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