PS: Ein ganz herzliches Dankeschön an Johannes für die beiden herrlichen Photos des Kragenhai-Präparats aus dem Meeresmuseum Stralsund (johannes-maria schlorke fotografie)!
Der Kragenhai-Hype – eine mediale Evolution
Seit der Jahrtausendwende gibt es alle paar Jahre einen Kragenhai-Haipe.
Pardon: Hype.
Woran liegt das?
Diese Häufung von Sichtungsberichten in jüngerer Zeit dürfte mehrere Gründe haben.
Erstens sind mittlerweile so viele Fischarten in so großen Bereichen der Ozeane abgefischt und dezimiert, dass die Fischerei auf der Jagd nach Beute in immer größeren Tiefen fischt.
Dazu kommt, dass die medialen Zugänge auch für Fischer sehr viel einfacher geworden sind.
Ein besonders aufregender Fischfang um 1950 hatte vielleicht eine Chance auf eine kleinen Beitrag im Fischerboten oder einer ähnlichen fachspezifischen Publikation mit kleiner Verbreitung.
Damit blieben diese Fänge vor der Öffentlichkeit meistens verborgen. Nur sehr selten kam solch ein ungewöhnliches Tier bis in ein Museum.
Heute hat fast jeder Fischer ein Handy mit Photomöglichkeit und kann seinen Fang schnell dokumentieren und weiterschicken. Ein gutes Bild von einem „grauslichen Viech“ trägt so eine Story dann sehr schnell in die Medien weiter. Die immerwährend hungrig und in schneller Taktung nach der nächsten Sensation fischen.
“It’s a freaky thing. I don’t think you would want to show it to little children before they went to bed.” – auch hier irrt Mr. Boag. Nach meinen Erfahrungen finden Kinder so etwas wahn-sin-nig spannend. Wenn man es ihnen richtig erklärt.
Das Bild des verletzten Tieres mit dem blutverschmierten Maul sieht sehr reißerisch aus.
Für mich zeigt es weniger den angeblichen Blutdurst des Hais, als vielmehr die Verschwendung von Meerestieren in der Fischerei.
Der Hai liegt in seinem eigenen Blut. Für die Fischerei ist er unerwünschter Beifang, die nicht kommerziell verwertet werden kann und auf dem Abfallhaufen landet.
Also: Es ist de facto ein seltener Fang.
Und ich finde es sehr bedauerlich, dass dieses Tier in einem Fischernetz landete.
Ich hätte ihm noch ein langes Leben in der dunklen Tiefe des Ozeans gewünscht.
Der Kragenhai – ein lebendes Fossil?
Der Begriff „Lebendes Fossil“ ist von Darwin eingeführt worden.
Darwin hatte damit Organismen bezeichnet, deren Bauplan sich über einen erdgeschichtlich langen Zeitraum –also viele Jahrmillionen – nicht oder nur wenig verändert hat.
Vor allem Tierarten, die in unzugänglichen Lebensräumen existieren, können manchmal überraschend „altmodisch“ aussehen. Der Kragenhai, Nautilus oder der Quastenflosser Latimeria sind gute Beispiele dafür.
Aus heutiger Sicht sollten wir diesen Begriff nicht mehr benutzen.
Denn heute wissen wir:
Alle drei genannten Tiere waren vor 60 bzw. 80 Millionen Jahren weit verbreitet. Heute kommen sie nur noch in großen Meerestiefen vor und – jedenfalls Nautilus und der Latimeria – in geographisch eng umrissenen Arealen. Sie sind Reliktvorkommen.
Um in diesen Tiefen leben zu können, haben sie sicherlich andere physiologische Anpassungen als ihre Ahnen. Aber diese „soft skills“ wie physiologische Spezifikationen oder verhaltensbiologische Sonderheiten können wir an Fossilien nicht nachweisen.
Aber wir dürfen es annehmen.
Denn in der Evolution gibt es keinen Stillstand.
Hier regiert die Rote Königin!
Aber das ist eine andere Geschichte…
Den Begriff „Lebende Fossilien“ sollten wir heute jedenfalls nicht mehr benutzen. Er hat Darwin für seine Überlegungen zur Evolution gute Dienste geleistet und darf nun in den Ruhestand eingehen. Auch unsere Konzepte der Biologie sind einer Evolution unterworfen.
Darwins Erbe wird dadurch nicht geschmälert.
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