Anomalocaris, die anormale Garnele, erreichte eine Größe von bis zu zwei Metern, lebte weltweit in den Ozeanen und war ein Prädator! Allerdings haben neuere Untersuchungen ergeben, dass sie mit ihrer runden Mundöffnung keine harten Schalen knacken konnte. Statt Trilobiten zu knuspern hat sie wohl eher Würmer geschlürft.

Professor Derek Briggs ist ein genialer Paläontologe und versierter Spurenleser in den Gesteinsschichten längst vergangener Ökosysteme. Sein Special ist die Weichteilerhaltung bei sehr alten Wirbellosen. Wo andere Menschen nur helle und dunkle Flecken im Stein sehen, erkennt er die Reste von Lebensformen – die Paläontologen seiner Arbeitsgruppe sind jedenfalls immer wieder für Überraschungen gut.

Wie kommt es, dass so alte Fossilien so gut erhalten sind?

Wie viele Arthropoden (Gliederfüßer) hatte auch dieses Urzeitviech ein Außenskelett aus Panzerplatten, die lose miteinander verbunden waren.
Nach dem Tod eines gepanzerten Meeresbewohners sinkt der Körper auf den Boden und zerfällt oder wird gefressen. Der Zerfall der einzelnen Bestandteile ist abhängig von ihrer Stabilität. Weiche Teile des Körpers zerfallen schneller als Panzerplatten. Sowie die Teile des Außenskeletts nicht mehr miteinander verbunden sind, werden sie von den Strömungen unterschiedlich weit und schnell verdriftet – je nach ihrer Form und ihrem Gewicht.
Damit ein Körper zusammenhängend versteinert, muss er gegen Strömung geschützt sein. Etwa, indem er nach dem Tod schnell und vollständig von Schlamm bedeckt wird. Oder in einer geschützte Senke fällt.

Alle Exemplare von Anomalocarididae stammen aus Konservat-Lagerstätten, die eine exquisite Erhaltung von organischen Strukturen ermöglicht haben. Die Erhaltung in den meist schwarzen Sedimenten deutet auf eine lebensfeindliche Umgebung hin – wahrscheinlich sind die Tierleichen auf den Meeresboden gesackt, an dem Sauerstoffmangel herrschte.
Eine lebensfeindliche Umgebung ist das Glück der Paläontologen – nur so kommen sie an Fossilien. Normalerweise werden Tierleichen nämlich in den Stoffkreislauf zurückgeführt – also gefressen.

Noch ein Special für die Astro-Fans: Anomalocaris ist eines der wenigen Gliedertiere, nach dem ein Himmelskörper benannt wurde: Der Asteroid 8564 Anomalocaris. 8564 Anomalocaris (1995 UL3) ist ein Asteroid im Asteroidengürtel. Er wurde am 17. Oktober 1995 von Y. Shimizu und T. Urata vom Nachi-Katsuura Observatorium entdeckt.

Zum Weiterlesen über

“Aegirocassis benmoulae”:
https://www.npr.org/2015/03/11/392359786/think-man-sized-swimming-centipede-and-be-glad-its-a-fossil?utm_source=facebook.com&utm_medium=social&utm_campaign=npr&utm_term=nprnews&utm_content=20150311

Aegirocassis (mein erster eigener Wikipedia-Eintrag!)
https://de.wikipedia.org/wiki/Aegirocassis

„Great Ordovician Biodiversification Event”
https://www.geosociety.org/gsatoday/archive/19/4/pdf/i1052-5173-19-4-4.pdf

Burgess-Shale:Conway Morris, S. (1998). The crucible of creation: the Burgess Shale and the rise of animals. Oxford [Oxfordshire]: Oxford University Press. pp. 56–9. ISBN 0-19-850256-7.

Whittington, H.B.; Briggs, D.E.G. (1985). “The largest Cambrian animal, Anomalocaris, Burgess Shale, British Columbia”. Philosophical Transactions of the Royal Society B 309 (1141): 569–609. Bibcode:1985RSPTB.309..569W. doi:10.1098/rstb.1985.0096.   Conway Morris, S. (1998). The crucible of creation: the Burgess Shale and the rise of animals. Oxford [Oxfordshire]: Oxford University Press. pp. 56–9. ISBN 0-19-850256-7.

Whittington, H.B.; Briggs, D.E.G. (1985). “The largest Cambrian animal, Anomalocaris, Burgess Shale, British Columbia”. Philosophical Transactions of the Royal Society B 309 (1141): 569–609. Bibcode:1985RSPTB.309..569W. doi:10.1098/rstb.1985.0096.

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Kommentare (12)

  1. #1 rolak
    14. März 2015

    Diese Körperform ist eindeutig ein lokales Optimum evolutionär optimierender Prozesse…

    Gliedertiere + Himmelskörper

    Ist bei mir seit Stross’ Accelerando mit ‘Hummer’ festverdrahtet.

  2. #2 Bettina Wurche
    15. März 2015

    @ Charles Stross? Seaquest? : )
    Ich finde ja auch, dass diese ganzen paläzoischen Viecher das Potentiel für SF-Helden haben. Die sehen so anders aus, als alles, was heute so schwimmt und kreucht und fleucht

  3. #3 Fliegenschubser
    16. März 2015

    Schöner Artikel. Ich stelle mir grade 2 Meter große Flohkrebse vor…recht beängstigend, einige Arten sind Räuber und sehen ziemlich fies aus, wenn man sie genau anschaut^^

    Ein Fehler hat sich eingeschlichen:
    “…Merkmale aller Arthropoden (Gliedertiere)…”
    Hier passt die Erklärung nicht zum Fachwort

  4. #4 meregalli
    16. März 2015

    So wie jede andere Naturwissenschaft ist die Paläontologie spannend und faszinierend. Dabei ist sie eine sehr junge Wissenschaft. Gerade mal seit 250 Jahren wird geforscht und gesammelt.
    Was machten eigentlich die präpaläontologischen Kulturen mit den Zufallsfunden? Hielten unsere Vorfahren die Ammoniten für Monsterschnecken oder einen Archeopteryx für ein erschlagenes Hendl und warfen alles auf die Halde? Neugier und kombinatorische Intelligenz ist doch eine alte menschliche Eigenschaft. Bei einer Recherche findet man, dass bereits ein Eratosthenes oder Leonardo da Vinci richtige Vermutungen anstellten, aber über besondere Funde in den Jahrtausenden vor der Aufklärung ist zumindest mir nichts bekannt.
    Weiß da jemand was?

  5. #5 Bettina Wurche
    16. März 2015

    Besondere Steine wurden schon immer irgendwie gesammelt und oft auch irgendwie erklärt.

    Bernstein etwa ist mindestens seit dem Neolithikum ein begehrtes Handelsobjekt von der Ostseeküste bis in den Orient gewesen. Ob da auch andere Fossilien gehandelt wurden, weiß ich nicht.

    Über die Zeit zwischen Antike und 14. Jahrhundert weiß ich wenig:
    In Ägypten wurde der Nummulitenkalk der Pyramiden von Herodot als Reste von versteinerten Linsengerichten der Arbeiter interpretiert. Ohne die Versteinerung näher zu klären.
    https://de.wikipedia.org/wiki/Nummuliten

    Versteinerte Haizähne hießen „Zungensteine“ oder „Natternzungen“ und galten oft als Amulett gegen üble Nachrede bzw. als Mittel gegen Gift (13. Jahrhundert).

    Ammoniten wurden als Schnecken eingeordnet, pyritisierte als Goldschnecklein.
    Was die Menschen über die Funde aus Orten wie Eichstätt, Holzmaden, den Kohleschächten, etc gesagt haben, darüber habe ich noch nie etwas gefunden.

    Die versteinerten Schädel der Zwerg-Inselelefanten auf griechischen Inseln wurden aufgrund ihrer großen Öffnung mitten im „Gesicht“ (typische Nasenöffnung für Rüsseltiere) als Zyklopen (einäugige Riesen) interpretiert.

    In China sind Fossilien lange Zeit als Drachensteine erklärt worden.

    Solche scheinbar logischen Erklärungen gibt es bestimmt auch für viele andere Fossilien, sie sind regional sehr unterschiedlich.

    Fossilien sind auf jeden Fall in Sammlungen und Kuriositätenkabinette geraten, weil sie als etwas Besonderes erschienen. Diese „Wunderkammern“ gehen bis ins 14. Jahrhundert zurück.
    Ich habe bisher in keinem Museum und keiner Sammlung ältere Stücke als „Wunderkammer-Zeit“ gefunden.
    Ich könnte mir vorstellen, dass Fossilien einfach als Amulette oder Schmuck eingesetzt wurden, ohne es weiter zu hinterfragen.
    – es so gut wie keine schriftliche Überlieferung gibt, weil nur wenige menschen schreiben konnten
    – die Kirche Fossilien und das Darüber-Nachdenken als Teufelswerk abgetan hat

    Gesner und Steno (1638 – 1686) hatte ganz gute Erklärungsansätze für einige häufige Fossilien, gehören wohl aber schon in die Aufklärung.
    https://de.wikipedia.org/wiki/Conrad_Gesner
    https://www.amazon.de/Die-Muschel-auf-dem-Berg/dp/3813501884

    Mein Fazit:
    Die Form der Fossilien und ihre Ähnlichkeiten und Unterschiede zu lebenden Organismen wurden seit der Antike festgestellt, ohne aber wirklich Erklärungen dafür zu haben.
    Die hat ja erst die Geologie geliefert, die mit dem Eisenbahnbau so richtig aufkam. Da erst wurde die strukturierte Abfolge der Gesteinsschichten erkannt und interpretiert.
    (s. Deborah Cadbury: Dinosaurierjäger).

  6. #6 meregalli
    16. März 2015

    Danke für die prompte Antwort.
    Die Bedeutung des Bernsteins in der Geschichte war mir natürlich bekannt. Von den Haifischzähnen hab ich auch schon gehört. Aber die Nummuliten waren mir nicht bekannt und von den Linsensteinen in Guttaring höre ich als Kärntner zum ersten Mal. Shame on me! Die Zwergelefanten von Sizilien und Griechenland waren fast noch in kulturgeschichtlicher Zeit rezent, die Zyklopen-Erklärung höre ich aber auch erstmals.
    Der segensreiche Einfluss der christlichen Kirche war natürlich eine verordnete Ignoranz, man darf aber nicht vergessen dass es in der Antike zuvor und im Morgenland auch im Mittelalter ein tolerantes und wissenschaftsförderndes Umfeld gab. In den zahlreichen Steinbrüchen und Bergwerken muss es auch sensationelle Funde gegeben haben, die sich aufgrund ihrer Größe nicht als Schmuck oder kleine Dekoration geeignet haben. Der Eisenbahnbau mag sicherlich zu vielen Funden beigetragen haben. Sieht man sich den Aufbau einer guten Römerstraße an können sich die dazu erforderlichen Grabarbeiten nicht allzusehr unterschieden haben.

  7. #7 Bettina Wurche
    16. März 2015

    @ meregalli: Der Eisenbahnbau war so ein Riesenschub für die Geologie, weil erstmals über große Distanzen hinweg in England Gesteine systematisch betrachtet wurden. Dabei fiel auf, dass die Schichtenfolgen in einer spezifischen Reihenfolge standen. Die Geologie der Britischen Inseln ist glücklicherweise geschichtet wie umgefallene Dominosteine: vom Präkambrium bins zum Pleistozän. So wurde die sich wiederholende Schichtung augenscheinlich.
    Die Fossilien waren da eher Beiwerk.

  8. #8 meregalli
    16. März 2015

    Ja danke. Anzufügen wäre aber auch, dass etwa zur gleichen Zeit die Meteorologie und Abstammungslehre geboren wurde, auch in England!

  9. #9 ipunkt
    17. März 2015

    Stark anzunehmen, dass seit Menschengedenken über seltsame Funde aus der Erde gerätselt wird.
    Nachweislich Gedanken gemacht haben sich schon die Griechen der Antike: https://de.wikipedia.org/wiki/Geschichte_der_Geologie
    Etwas später kam dann ein Schweizer: https://de.wikipedia.org/wiki/Johann_Jakob_Scheuchzer
    Die Engländer hatten wohl etwas weniger Probleme mit ihrer (anglikanischen) Kirche als mit der wissenschaftlichen Konkurrenz.
    Auf dem Kontinent stritt Georges Cuvier wacker mit. https://de.wikipedia.org/wiki/Georges_Cuvier
    Und weil ein Mondkrater und ein Asteroid nach ihm benannt wurden, wären wir wieder im All.

  10. #10 Bettina Wurche
    17. März 2015

    @ Danke, ipunkt : ): Scheuchzer mit seinem Sintflut-Sünder und den Georges Cuvier (Schorsch Küfer) hatte ich nicht genannt, weil sie ja schon in die Aufklärung fallen.
    Scheuchzer und sein armer Sünder waren mir auch schon einen Artikel wert:
    https://scienceblogs.de/meertext/2014/07/13/molch-tot-und-lebendig-vom-armen-suender-zum-jules-verne-protagonisten/

  11. #11 meregalli
    17. März 2015

    Leonardo da Vinci stellte einen Zusammenhang der Fossilien mit der Sintflut bereits in Abrede. Ich hab das Gefühl, dass Scheuchzer seine Interpretation als Sintflutkadaver ironisch gemeint hatte.
    Übrigens: Mit der korrekten Aussprache des Namens Scheuchzer kann man einen Italiener zur Verzweiflung bringen.
    Danke für das feedback

  12. #12 Rüdiger Kuhnke
    München
    17. Februar 2016

    Ich glaub, ich setz dich auf die Liste der täglichen Pflichtlektüre. Gleich neben Astrodicticum Simplex.