Seit Mai 2015 sind im Golf von Alaska 30 große Wale gestorben: 11 Finnwale, 14 Buckelwale, ein Grauwal und vier unidentifizierte marine Säugetiere. Die Tiere waren im Bereich des Westlichen Golfs von Alaska, um die Inseln Kodiak, Afognak, Chirikof, Semidi und an den südlichen Küsten der alaskanischen Halbinsel tot angespült worden oder trieben tot im Wasser. Auch vor Nord-Kalifornien und von der kanadischen Pazifikküste aus British Columbia gibt es Meldungen über weitere angespülte oder treibende tote Wale. Bis auf einen Pottwal vor Nord-Kalifornien waren es ausschließlich Bartenwale verschiedener Arten. Die Kadaver waren im Zustand fortgeschrittener Verwesung.
Die hohe Anzahl toter Wale und die ungewöhnlichen Umstände haben Experten alarmiert. Die National Oceanographic and Atmospheric Administration (NOAA), die die Untersuchung solcher Strandungen national und international koordiniert, und andere Organisationen wie naturkundliche Museen und Universitäten haben die 30 toten Bartenwale in Alaska als „ungewöhnliches Massensterben“ – „Unusual Mortality Event“ (UME) eingestuft.
Dass Wale stranden, ist nicht ungewöhnlich und passiert in jedem Jahr.
30 tote Großwale innerhalb weniger Monate übersteigt die normale Strandungsrate in diesem Seegebiet aber um ein Vielfaches. NOAA-Experten weisen außerdem darauf hin, dass an den unzugänglichen langen Küsten Alaskas noch mehr Tiere liegen können, die nie gefunden werden. Die tatsächliche Zahl kann also noch höher sein.
Die Einstufung als UME bedeutet, dass finanzielle und personelle Ressourcen zur Verfügung stehen, um diese Vorgänge detailliert zu dokumentieren und zu untersuchen.
“NOAA Fisheries scientists and partners are very concerned about the large number of whales stranding in the western Gulf of Alaska in recent months,” sagte Dr. Teri Rowles (NOAA Fisheries’ marine mammal health and stranding response coordinator) gegenüber der Presse.
https://www.rt.com/usa/313306-alaska-whale-deaths-toxic-bloom/
“While we do not yet know the cause of these strandings, our investigations will give us important information on the health of whales and the ecosystems where they live. Members of the public can greatly assist the investigation by immediately reporting any sightings of dead whales or distressed live animals they discover.”
NOAA hat zur Information für die Öffentlichkeit über den Stand der Untersuchungen eine Webseite eingerichtet: “FAQs on the 2015 Large Whale UME in the Western Gulf of Alaska“.
Im Folgenden steht das Massensterben in Alaska im Vordergrund.
Todesursache Algenblüte?
Die wahrscheinlichste Erklärung ist eine giftige Algenblüte, da sind sich die Experten einig.
Giftalgenblüten in den Ozeanen nehmen seit 1996 kontinuierlich zu. Seit 2014 sind die Küstengewässer des Pazifiks zwischen Alaska und Kalifornien 4 bis 6 C° wärmer als sonst, das warme Wasser begünstigt das Wachstum von Algen. Im August 2015 hatte NOAA eine außergewöhnlich große Ausdehnung von Giftalgen zwischen dem Golf von Alaska und bis vor die mexikanische Küste entdeckt (exploratorium: whale mystery number whale deaths ).
“It’s a bloom of phytoplankton in the ocean that actually releases toxins,” erklärt Dr. Bree Witteveen, eine Expertin für Meeressäuger der University of Alaska gegenüber der Presse. “Those get accumulated into various preys and it works its way up the food chain, and can cause paralysis and death.”
Solche harmful algal blooms (HAB) können Zahnwale vergiften. Es ist mehrfach nachgewiesen worden, dass Delphine über ihre Beute große Mengen der von Algen produzierten Neurotoxine aufgenommen hatten. Die Toxine führen zu Lähmungen und zum Tod.
Auffallend ist, dass es sich bei dem Massensterben 2015 fast ausschließlich um große Bartenwale handelt. Bartenwale ernähren sich von Plankton und kleinen Fischen. Sie filtern ihre Nahrung mit den Barten aus dem Wasser, dabei schlucken sie natürlich auch andere Planktonbestandteile mit.
Für die Todesursache „Giftalgen“ bei Bartenwalen gibt es wenige Präzendenzfälle. Aber in diesem Fall deutet vieles darauf hin, dass die Mikroorganismen die Ozeanriesen getötet haben. Die Wissenschaftler werden bei der Nekropsie der Wal-Kadaver ein Augenmerk auf Biotoxine haben.
Forensik XXL – Ursachenforschung am Walkadaver
Die Wissenschaftler sind jetzt dabei, die Walkadaver zu untersuchen und Proben zu entnehmen. Bei der Nekropsie werden sie an der Dicke der Blubberschicht auch den Ernährungszustand der Wale überprüfen. Dann sind Gewebeproben wichtig, um mögliche Toxine nachzuweisen.
Ein so großes Tier kann man nicht einfach einsammeln und in ein Labor bringen, sondern muss es vor Ort, am Platz der Strandung „bearbeiten“. Die Untersuchung der Wale am Strand ist sehr schwierig: Die meisten Tiere liegen an schlecht zugänglichen felsigen Stränden.
Mit Gerätschaften zur Beprobung eines großen Wals über nasse Felsen zu klettern ist anstrengend und riskant. Messer mit großen Klingen und Skalpelle, Gefäße zur Aufnahme der Proben, Kanister mit Wasser und Konservierungsflüssigkeiten, Schriftstücke für das Protokoll und natürlich warme und wetterfeste Kleidung und 1001 andere Ding muss über glitschige Felsen geschleppt werden. Die Untersuchung eines gestrandeten Wals ist körperliche Schwerstarbeit. Das weiss ich aus eigener Erfahrung.
Dazu kommt: Die Kadaver sind im fortgeschrittenen Zustand der Verwesung. Das macht ihre Untersuchung nicht einfacher. Bis jetzt haben die Wissenschaftler erst einen Wal beproben können.
Giftalgen und Klimawandel
NOAA hatte vor der pazifischen Küste zwischen Kalifornien und Alaska ein um 4 – 6 °C höhere Wassertemperatur als in den vorangegangenen Jahren gemessen. Das warme Wasser hat zu einem erhöhten Algenwachstum geführt.
Einige Algen produzieren Giftstoffe. Die bekannteste Giftalge ist Pfiesteria, ein rötlicher Dinoflagellat.
https://www.spektrum.de/magazin/eine-giftalge-mit-vielen-tarnkappen/826041
Das massenhafte Auftreten von Pfiesteria verursacht die berüchtigte „Rote Flut“ („red tide“).
Der Warmwassereinbuch vor der Pazifikküste ist (noch) nicht automatisch ein Produkt des Klimawandels, solche Warm- oder Kaltwassereinbrüche kamen und kommen in marinen Ökosystemen auch ohne menschlichen Einfluss immer wieder vor.
Paläontologen erklären sogar fossile Walfriedhöfe mit solchen Giftalgenblüten: Der US-amerikanische Paläontologe Pyenson hatte 2011 einen 6 – 9 Millionen Jahre alten Walfriedhof in der Atacama-Wüste untersucht und vier übereinander abgelagerte und fossilisierte Massenstrandungen von großen Bartenwalen gefunden (meertext: “Cerro Ballena: Todesursache – die Rote Flut”).
Es ist allerdinsg zu erwarten, dass der Klimawandel langfristig zu höheren Wassertemperaturen führen wird und langfristig das Algenwachstum im Ozean begünstigt. Solche Red Tide-Events mit ihren Auswirkungen bis in die menschliche Nahrunsgkette werden dann wahrscheinlich häufiger auftreten.
Warum sind andere Todesursachen unwahrscheinlich?
Wale können aus sehr unterschiedlichen Gründen sterben und stranden.
Um die Todesursache finden zu können, müssen die Anzahl der Arten und Individuen, der Zeitraum, die äußeren Umstände und das Aussehen der Kadaver genau analysiert werden.
Die Strandung verschiedener Spezies über diesen Zeitraum hinweg spricht für eine äußere Ursache. Eine artspezifische Infektion einer Art oder einer Gruppe von Tieren ist auszuschließen.
Eine Ölpest kann man ausschließen, denn dann müssten noch viele andere Walarten und andere Meeresbewohner wie Seevögel betroffen sein.
Das gilt auch für andere anthropogen verursachte Vergiftungen.
Ein Marine-Manöver mit Sonareinsatz ist als Ursache ausgeschlossen: Sonar stört und tötet in erster Linie Zahnwale, vor allem Schnabelwale. Das ist hier nicht der Fall. Außerdem hatte in der fraglichen Zeit in dem Seegebiet kein Manöver stattgefunden.
Es gab keine Hinweise darauf, dass die Tiere durch Fischereiaktivitäten getötet wurden.
Bei den Walkadavern aus British Columbia wird ein Tier als „ship-strike“ genannt. Das bedeutet, dass der Wal eine Kollision mir einem Schiff hatte. Dabei besteht die Möglichkeit, dass das Schiff mit einem bereits tot treibenden Wal kollidiert ist. Dass all diese Wale aufgrund von Kollisionen mit Schiffen gestorben sind, ist ausgeschlossen.
In diesem Meeresabschnitt gibt es weder starken Schiffsverkehr noch derartige Fischereiaktivitäten.
Die Blüte von Giftalgen ist zurzeit aufgrund der Erfahrung die wahrscheinlichste Erklärung für den vielfachen Waltod.
Erst eine detaillierte Untersuchung der Kadaver, die toxikologische Analyse, die Analyse aller ökologischen und ozeanographischen Daten und aller anderen erreichbaren Informationen kann möglicherweise sichere Hinweise auf die Todesursache der Finn-, Buckel- und Grauwale und des Pottwals geben.
Nach Aussage der NOAA werden diese Arbeiten noch Monate dauern.
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