Die Welt“ bringt einen schmissigen Artikel über gierige Pottwal-Gangs, die die Langleinen der armen Fischer plündern: “Vor “Jack the Stripper” ist kein Fischkutter sicher“. Und die Leser schütten einen Sack voll ätzender Kommentare über das Haupt der Autorin. Es ist immer sehr einfach, einem Nicht-Experten sein Nichtwissen vorzuhalten. Und die Autorin hat zwar nicht so doll recherchiert, aber es ist ja auch ein sehr spezielles Thema.
Zufälligerweise kenne ich mich mit Pottwalen und Fischerei ganz gut aus. Da bietet es sich an, noch mal den Hintergrund auszuleuchten. Und die Story hinter der Story zu berichten.
Vor Alaska „plündern“ Pottwale die Langleinen der Fischer
Die kalten, nährstoffreichen Gewässer Alaskas sind ein Schlaraffenland für Meeresbewohner – vom Plankton bis zum Wal tummelt sich hier das Leben in jeder Größe. Auch Pottwale leben hier. Wie in anderen subpolaren Gewässern sind es lockere Gruppen von Männchen (mehr dazu s. unten).
Pottwalweibchen leben mit ihren Jungtieren in den wärmeren Gewässern. Hat ein junger Bulle die Pubertät erreicht, verlässt er die Gruppe und schließt sich mit einer „Bachelor“-Gruppe zusammen, sie schwimmen dann in die subpolaren Gewässer und treffen sich dort mit älteren Männchen. Die Männchen stehen irgendwie in Kommunikation miteinander, aber Genaues weiß darüber bisher niemand.
Diese fischreichen Gewässer sind natürlich auch begehrte Fanggründe für zweibeinige Fischer: Unter anderem wird hier viel Kohlenfisch gefangen, vor allem für den japanischen Markt. Kohlenfische (Anoplopoma fimbria (Pallas, 1814), Sablefish, black cod) werden bis zu 1,20 Meter groß, sind Barschverwandte und haben einen besonders hohen Gehalt an langkettigen Omega-3-Fettsäuren. Die Fischer fangen die großen, schweren Fische mit Langleinen. Eine Langleine kann bis zu 3.2 km lang sein und bis zu 2,000 Haken haben. Die Haken sind am Grund, wo die Fische stehen, in 200 bis 800 Metern Tiefe. Anfang und Ende der Leine sind mit Bojen markiert, die Leine wird samt Beute hydraulisch an Deck gehievt. Die Fischerei unterliegt strengen Regulierungen, was Lizenzen, Fangmenge, Zeitraum und Areal angeht.
Die Pottwale vor Sitka plündern seit den 70-er Jahren die Black Cod-Langleinen: Die Fische verbeißen sich in die Köder und hängen dann sauber aufgereiht an der Leine. Der Fischer holt die Leine ein und sammelt die Fische ab. Soweit die Theorie. Beim Einholen der Leinen (Hawling) sind die großen Zahnwale zu Stelle und „pflücken“ die Fische. Das ist offenbar wesentlich bequemer, als aktiv zu jagen.
Seit den 90-er Jahren ist die Zahl der Fischleinen abräumenden Pottwale zu einem ernsten Problem geworden. Auf der einen Seite jammern die Fischer, dass ihre Ausbeute sehr stark gesunken ist. Auf der anderen Seite besteht natürlich für die Pottwale die Gefahr, sich in den Fangleinen zu verheddern. Die modernen Kunststoffleinen sind so stabil, dass selbst große Wale die Netze und Leinen oft nicht zerreißen können, sondern darin gefangen bleiben. Dieses „Entaglement“ (Verheddern) eines unter Schutz stehenden Meeressäugers kostet die Fischer oft ihr Fangeschirr und den Pottwal schlimmstenfalls das Leben. Schlechte Publicity bringt es allemal.
Darum sind 2002 Wissenschaftler des North Pacific Research Board aktiv geworden, um eine Lösung zu erarbeiten: Southeast Alaska Sperm Whale Avoidance Project – SEASWAP. (Avoidance: Vermeidung).
SEASWAP: Methoden und Ergebnisse
- Biopsien für den Gentest
- Eine systematischen Photo-ID der Fluke jedes Wals, was bei Pottwalen so gut wie ein Fingerabdruck bei Menschen ist
- Aufnehmen der Akustik und Videos
- Verhaltensbiologische Studien
- Tracken markierter Tiere über Satellit und Akustik
Insgesamt sind 90 Wale von mehr als 125 Tieren in dem Seegebiet vor Sitka an den „Raubzügen“ beteiligt. Die Tiere tauchten nach dem Fisch in viel geringerer Tiefe, als ihrer üblichen Jagdtiefe. Die Pottwale “stehlen” den Kohlenfisch meistens im Frühjahr und Sommer von den Langleinen und scheinen von dem veränderten Geräusch der Schiffsdiesel angezogen zu werden, wenn die Fischer das Fanggeschirr einholen. Dieses Geräusch ist über zwei Meilen hinweg hörbar. Die Wissenschaftler haben auch die Laute der Wale identifiziert, wenn diese den Fisch von den Leinen nehmen. Das sind spezifische Laute, die auf die anderen Tiere wie eine „Essensglocke“ wirken.
Die akustischen und Video-Aufnahmen zeigten, dass die Pottwale auch bei guter Sicht ihre Echolokation einsetzten
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