Gerade ist ein Film in die Kinos gekommen, voller Pottwale, Walfang, Schiffe und Dramatik.
Achtung: Spoileralarm!
Der Angriff eines Pottwalbullen auf ein Walfangmutterschiff, das „seine“ Weibchen tötete, ist verbürgt. Das Buch „Im Herzen der See. Die letzte Fahrt des Walfängers Essex“ (Originaltitel: In the Heart of the Sea: The Tragedy of the Whaleship Essex) von Nathaniel Philbrick basiert auf den Tagebuchaufzeichnungen eines Überlebenden. Heute ist sicher, dass in der Zeit der hölzernen Segelschiffe mindestens drei Walfangschiffe von Pottwalbullen versenkt worden sind: 1821 traf es die „Essex“ und 1851 die „Ann Alexander“. (Philbrick, 2000, s. u.). Der russische Pottwal-Expeerte Berzin (1971, s. u.) nennt einen weiteren Angriff auf die „Parker Cook“ und beruft sich auf „Starbuck, 1878“ (A history of the American Whale Fishery from its earlier Inception to the Year 1976).
Film „Im Herzen der See“ (2015)
Ist bei mir gar nicht gut angekommen.
Der Regisseur Ron Howard hat mich grundlegend verärgert.
Erstens: Er hat das Drama um die „Essex“ auf den Machtkampf zwischen dem Kapitän George Pollard und seinem Ersten Maat Owen Chase fokussiert. Das Meer und die Pottwale sind eher die Bühne, der Hintergrund, für den Kampf dieser beiden Männer um das Kommando.
Dieses Menschen-Drama entwertet das eigentliche Drama, in dem die Männer der „Essex“ gegen den Wal kämpfen – und verlieren – und dann noch gegen den Ozean kämpfen – auch hier sind die meisten der Schiffbrüchigen Verlierer. Nur drei überleben, als Kannibalen gebrandmarkt.
Die Pottwale und das Meer sind mir zu kostbar, um als Komparsen zu dienen. Sie sind gewaltig genug, um selbst die Hauptrollen zu übernehmen. Stattdessen werden sie zurechtgestutzt und bekommen nicht genügend Raum, um zu wirken.
Und mal, ernsthaft: Das Drama zwischen Pollard und Chase ist so schablonenhaft inszeniert, mit so aufgesetzten Dialogen und Trotzreaktionen wie eine Kita-Streit um ein Sandschäufelchen.
Drama um die Schiffsführung haben wir in „Meuterei auf der Bounty“ und „Der Seewolf“ (den alten Verfilmungen jedenfalls) schon deutlich besser gesehen. Ein Machtkampf zwischen zwei Männern wird durch schweigende Blicke viel eindrucksvoller inszeniert.
Zweitens: Die Darstellung der Pottwale nehme ich Ron Howard persönlich übel.
Computeranimierte hopsende Pottwale, die wie Delphine breachen. Lustig hüpfende Drama-Walen. Nicht mal das Abtauchen war noch glaubwürdig.
Och nöööö…
Pottwale bewegen sich an der Oberfläche äußerst sparsam und langsam. Sie wirken total überheblich, weil sie fast nie auf ein Schiff reagieren. Und sie haben absolut pottwalspezifische Bewegungen.
Die langsamen Bewegungen eines Meeresgiganten, seine ruhige Lage an der Wasseroberfläche, bei Pottwalen die angedeutete Interaktion in Zeitlupe mit den Familienmitgliedern, nur unterbrochen vom prustenden Blas – und dann, auf einmal, nimmt der Pottwal gewaltig Schwung, schwingt die Fluke senkrecht nach oben und taucht senkrecht ab.
Drittens: Der Film weicht vom Buch mit seinem hohen dokumentarischen Anspruch weit ab. Verständlich, dass Ron Howard zwecks mehr Dramaturgie noch mehr Drama hineinbringt. Und natürlich auch noch die Charaktere stärker ausmalt, schließlich soll der Zuschauer sie erst ins Herz schließen und dann mit ihnen leiden und um sie zittern.
Der Auftritt von Herman Melville ist keinesfalls historisch korrekt. Melville hatte natürlich die „Essex“-Story mitbekommen, schließlich war er selbst kurz auf einem Walfänger gefahren. Aber erst nach der Veröffentlichung von „Moby Dick“ hat er einen Fuß auf die Insel Nantucket gesetzt und mit Captain Pollard gesprochen.
Und dann noch etwas Kapitalismuskritik an den bösen Reedern…“Occupy“ – jetzt auch maritim.
Zugegeben: Der Walfänger-Jargon war im Film 1:1 umgesetzt: Die „Nantucket-Schlittenfahrt“ und „Rauch im Kamin“ waren absolut korrekt. Dafür haperte es an vielen anderen „Kleinigkeiten“: Quäker-Kapitäne haben NIEMALS Goldstrotz-Uniformen mit Dreimaster getragen, sondern schwarze Röcke und Zylinder. Undundund…
Die meisten Kinobesucher werden das Buch nicht gelesen haben und gehen mit dem Eindruck nach Hause, eine gut gemachte Dokumentation gesehen zu haben. Haben sie aber nicht.
Fazit: Hmpf
Was mich an dem Film insgesamt genervt hat, ist, dass er Naturgewalten wie das Meer und Wale so verkitscht darstellt, wie ein schlechtes Gemälde. Eher gewollt und nicht gekonnt. Eine hübsche theatralische Inszenierung in Grisaille, mit Lichtreflexen aus Sonne und Feuer.
Sehr ästhetisch.
Und warum gefällt es mir dann nicht?
Liegt es vielleicht an mir?
Habe ich zu viele echte Wale gesehen?
Und zu viel echtes Meer?
Kommentare (10)