Die kleine Gruppe von Resident Orcas der Britischen Gewässer ist durch Lulus Tod auf 8 Tiere geschrumpft. Die Tiere werden seit den 80-er Jahren erforscht und sind den Wissenschaftlern gut bekannt:Sie leben überwiegend in Schottischen Gewässern und ziehen bis vor die Irische Küste. Eines der Männchen, „John Coe“, hat eine stark beschädigte Fluke: Ein großer Teil der Schwanzflosse fehlt, er ist vermutlich bei einem Haiangriff abgebissen worden.
Die verbleibenden 5 Männchen und 3 Weibchen sind geographisch und genetisch isoliert von anderen Resident-Gruppen. Sie hatten seit den 80-er Jahren keinen Nachwuchs. Biologen wie der Orca-Experte Dr. Andrew Foote von der Universität Kopenhagen (vormals University of Aberdeen) befürchten, dass die Britischen Resident Orcas damit zum Aussterben verurteilt sind. Er erforscht diese Orca-Gruppe seit 1992.

Neben den in Küstengewässern ansässigen Resident Orcas ziehen auch andere Orcas – Migrating Orcas – durch die Schottischen Gewässer.
Das Leben der Nordatlantik-Schwertwale dreht sich im Winter vor allem um Hering.
Die Schwertwale vor Norwegen und Island fressen sich vor allem im Winter an den fetten Schwarmfischen satt. In einigen Regionen wie in Nord-Norwegen schwimmen die Heringe und Orcas regelmäßig bis dicht unter die Küsten und sind dann die Stars der Whale-watching-Unternehmen.
Heringe sind sehr fetthaltig und eine reichhaltige Nahrung. Allerdings sind sie Schwarmfische und nicht sehr groß. Darum haben die Orcas besondere Jagd- und Freßmethoden entwickelt: Sie „fahren“ mit den Heringen Karussel – „carousel feeding“ (meertext: „Whale watching in Nord-Norwegen mit Wal-Drama: Orcas jagen Schweinswal“).

Die Orcas des Nord-Atlantik bestehen aus drei verschiedenen Populationen, die vor Island und Norwegen sind Population A. Wenn sie in den Küstengewässern sind, können auch die Wissenschaftler die Tiere erforschen – sie für die Photo-ID erfassen (vor allem die Finne und der „Sattelfleck“ sind wichtige Erkennungsmerkmale) und ihr Verhalten beobachten und dokumentieren. Über die Orcas in isländischen und norwegischen Küstengewässern ist schon viel bekannt, nicht zuletzt durch die Pionierarbeit der unermüdlichen Dr. Tiu Similää. Sie hatte die Tiere zwischen der Heringsorgie vor den Lofoten und Möre/Südnorwegen im Winter per Photo-ID katalogisiert. Mittlerweile 600 Individuen!

Die Orcas, die im Winter vor Island Hering fressen, schwimmen im Sommer 1300 km weiter an die schottische Küste und treiben sich dort herum.
Aber was tun die großen schwarz-weißen Delphine – manche Leute nennen sie scherzhaft „Pandas der Meere“ – außer Sichtweite?
“Killer whales in the Northeast Atlantic are thought to follow specific prey stocks but their seasonal movements are still poorly understood,” schrieben Andy Foote et al 2014 in “The killer whales of the North Atlantic”

Die geographische Verbreitung der Schwertwale, ihre Bewegungen im Laufe des Jahres und die Interaktionen einzelner Gruppen sind die Basis für ihren Schutz und das Verständnis ihrer Biologie. Orcas haben einen gewaltigen Appetit und damit auch einen nicht unerheblichen ökologischen Impact.

Dazu haben die Walforscher Orcas photographiert und immer wieder überprüft, welche Tiere wann wo auftauchen. Dass Orcas fast immer in festen Familiengruppen leben, erleichtert die Photo-ID im Nordatlantik beträchtlich.
Dabei kam unter anderem heraus, dass die isländischen Schwertwale im Sommer keinesfalls den Heringen folgen. Sondern sich aus irgendwelchen anderen Gründen auf zur schottischen Küste machen. Bis jetzt ist diese regelmäßige Wanderbewegung über mehrere Jahre hinweg erst bei 7 Individuen sicher nachgewiesen, aber es ist schon mal ein wertvoller Hinweis.
Vor Island haben sie das übliche Herings-Karussel betrieben, das konnten die Wissenschaftler deutlich beobachten. Was die Orcas vor Schottland fressen, ist bislang nicht bekannt. Es könnte ein anderer Heringsbestand sein. Oder ganz andere Fische, wie Makrele. Oder auch Meeressäuger wie Robben, Schweinswale und andere Wale. Wie kürzlich bei ihren norwegischen Kumpeln beobachtet.
Durch neue Forschungsmethoden wie genetische „Fingerabdrücke“ wird die Katalogisierung und Identifikation der Orcas in den nächsten Jahren bestimmt rasante Fortschritte machen.
Wenn mehr über die Wanderungen der Wale bekannt wird, kann man sie vielleicht sogar besser schützen.

Ich wage nicht zu hoffen, dass wegen einer jährlichen Orca-Wanderung eine Warnung an Fischereischiffe ergeht, bestimmte Areale für Tage oder Wochen zu meiden. Aber hoffen darf ich ja mal. Vor Alaska hat man ja immerhin gerade ein Frühwarnsystem für Pottwale, die Langleinen leer fressen, initiiert. Ob das auch für andere Wale denkbar wäre.
Diese Forschungsergebnisse sind für mich persönlich gute Meldungen. Denn es bedeutet, dass eine Walart nicht nur von einer Beute abhängig ist. Eine größere Flexibilität im Nahrungsspektrum bedeutet einen großen Vorteil für das Überleben der Art in einem veränderlichen Ökosystem. Die Fischerei erschöpft immer mehr Fischbestände. Fischschwärme ändern durch ozeanographische Vorgänge ihre Wanderrouten. Der Klimawandel und die steigenden Temperaturen in den Ozeanen werden zu massiven Veränderungen der Ökosysteme führen. Dadurch werden sich die Nahrungsnetze ändern. Und vielleicht erhöht sich dadurch sogar die Gefahr giftiger Algenblüten, an denen auch immer wieder Wale sterben.

Das Wichtigste ist für mich:
Mittlerweile ist der Orca durch Whale-watching-Aktivitäten ein Sympathieträger. In den 70-er Jahren wurden die älteren Tiere bzw. die Eltern des heutigen Bestands vor Island noch als Fisch-Schädlinge mit Wasserbomben beworfen. Davon spricht heute niemand mehr. Kommerzielles Whale-watching ist der beste Schutz für lebende Wale, den es zurzeit gibt. Als nächstes hätte ich gern, dass die Isländer sich vom Piraten-Walfang verabschieden und die Norweger auch ihre kleine Quote weiter reduzieren. Am liebsten auf Null. Wale aufzuessen passt einfach nicht mehr ins Bild eines modernen Europas.

Übrigens:
Die Orcas in norwegischen Gewässern haben ihre Freßtour mit den Heringen verlagert. Sie sind jetzt nicht mehr so regelmäßig im Winter im Tysfjord, sondern viel häufiger vor den Vesteralen anzutreffen. Vor allem vor Andenes kann man wunderbar Whale-watching betreiben: Die Orcas sind oft schon von Land aus sichtbar. Außerdem bietet die Whalesafari Andenes Wal-Safaris an. Mit Nahezu-Walgarantie. Dort kann man auf jeden Fall guten Gewissens einsteigen, denn diese Wal-Touren werden streng nach IFAW-Richtlinien durchgeführt. Im Sinne der Wale.

Auch vor den Hebriden gibt es Whale watching-Touren. Sie werden ebenfalls auf wissenschaftlicher Basis durchgeführt. Das Online-Angebot sieht für mich gut aus, ich habe aber selbst noch keine Erfahrungen vor den Hebriden gesammelt.

Quellen:
https://www.mba.ac.uk/marinebiologist/wp-content/uploads/2015/04/TMB_Issue4_Orca.pdf

u. a.