Im Mai 2015 waren 20 tote Wale an den chilenischen Küsten angespült worden. Nicht so ungewöhnlich, an den 2400 Kilometer langen Küsten Chiles. Chiles Südspitze ragt ins Südpolarmeer, der Südpazifik vor Südamerika bietet reiche Nahrungsgründe für viele Walarten.
Aber eine Massenstrandung von Seiwalen, überhaupt von Bartenwalen, ist sehr ungewöhnlich. Vreni Haussermann, die Direktorin der Chile’s Huinay Scientific Field Station hatte so etwas in ihrer 15-jährigen Tätigkeit noch niemals gesehen, sie alarmierte den National Fisheries Service. Die Behörden verpsrachen eine Untersuchung.
Seiwale (Balaenoptera boreali) sind mit durchschnittlich 12 bis 16 Metern Länge und 20 bis 30 Tonnen Gewicht die drittgrößten Bartenwale. Auf der Südhemisphäre leben die Südlichen Seiwale (B. b. schleglii).
Sie sind die schnellsten Bartenwale und schwimmen bis zu 25 Knoten schnell (ca 45 kmh).
Die schlanken Tiere haben kurze Barten im Oberkiefer, mit denen sie ihre Nahrung aus dem Meer schöpfen: Krill, Sardinen und Schwarmfische von bis 30 Zentimeter Länge. Hier ist ein Seiwal beim Fressen zu sehen. (Das Video stammt aus der BBC-Doku „Blue Planet“ und stammt, wenn ich mich recht erinnere, aus dem Südatlantik vor der Küste Namibias im Benguela-Strom. Eine sehr ähnliche Situation wie im Humbold-Strom – ein extrem nahrungsreiches Upwelling-Gebiet.)
Ende November 2015 zählte dann das Team um Carolina Simon Gutstein (Universidad de Chile und Consejo de Monumentos Nacionales in Santiago) über 337 Seiwal-Kadaver. 305 verwesende Wale und 32 Skelette.
Das Wal-Sterben hat den ganzen Sommer über angedauert. Es war kein einmaliges Ereignis von kurzer Dauer. Und es ist das größte Massenstrandungs-Ereignis, das je dokumentiert wurde.
Im Video sind die Wale ungewöhnlich rosa: Das ist ein Teil des Verwesungsprozesses. Die eigentlich graue Hautoberfläche ist abgeschilfert bzw. verwest. Bei einigen Walen haben die Verwesungsprozesse den Magen aus dem Maul gedrückt. Im frühen Verwesungsstadium blähen Fäulnisgase die Kadaver stark auf. Später entweichen die Gase durch Körperöffnungen und die Körper fallen zusammen. Gleichzeitig verflüssigt sich ein Teil des Gewebes und „läuft aus“.
Tatort: Patagonien. Täterin: Eine Giftalge?
Alle Wale lagen in einem begrenzten Areal der Fjordlandschaft zwischen dem Gulf von Penas und Puerto Natales. Viele Kadaver waren schon stark verwest, so dass ihre Identifikation nicht einfach war, erklärte die leitende Wissenschaftlerin Carolina Simon Gutstein. Aber aufgrund der Größe und anderer Merkmale seien es sehr sicher Seiwale.
Kann das Walsterben vor Chile zwischen Mai und November auch auf eine Giftalgenblüte zurückgeführt werden?
Bisher deutet alles darauf hin.
- Ein besonders starker El Niño hat für die Erwärmung der Meeresoberfläche gesorgt.
- Eine wärmere Meeresoberfläche und viel Sonne sorgen oft für eine besonders starke Algenblüte.
- Unter den Algen können giftige Arten sein. Es kann zu einer Giftalgenblüte kommen.
- Algen sind die Basis der Nahrungskette, viele kleine Organismen fressen Algen. Das Gift reichert sich entlang der Nahrungskette an.
- Bartenwale nehmen beim Fressen große Mengen Nahrung – Krill, Sardinen, andere kleine Schwarmfische – und Wasser auf.
- Die Wale zeigten keine sichtbaren äußeren Verletzungen
- Gleichzeitig war ein UME (unique mortality event) in Alaska, mit bis jetzt über 30 Todesopfern, vor allem Buckelwalen.
Dort wird nach allen vorliegenden Fakten eine Giftalgenblüte als einzig plausible Erklärung vermutet.
Der Massentod der großen Bartenwale ist am wahrscheinlichsten durch eine Giftalgenblüte zu erklären. Es ist vorstellbar, dass die Seiwale etwa in einer Wanderungsbewegung in großer Anzahl durch ein bestimmtes Meeresgebiet mit einer sehr hohen Giftalgenkonzentration geschwommen sind und dabei Nahrung aufgenommen haben. So wäre zu erklären, dass fast nur diese eine Walart betroffen ist.
Normalerweise leben diese Wale in sehr kleinen Gruppen oder allein. Manchmal treffen sich sehr viele von ihnen in Meeresgebieten mit besonders reichhaltigem Nahrungsangebot.
Die beim Survey gesichteten Bartenwal-Skelette deuten auf frühere Massenstrandungen hin. Gelegentliche Gilftalgenblüten sind offenbar kein neues Problem: Fossilfunde an der südamerikanischen Küste sind Hinweise auf Giftalgen-Events mit vielen toten Bartenwalen vor mehren Millionen Jahren.
Leider passt diese großflächige Seiwal-Katastrophe gut in das Schema der Meereserwärmung durch El Nino, die in 2015 und 2016 rekordverdächtig ist.
Seiwale sind wenig erforscht, über ihren Bestand und die Population im Südpazifik gibt es nur Schätzungen. Experten schätzen den derzeitigen weltweiten Bestand wird auf 60.000 bis 80.000 Tiere geschätzt in zwei Unterarten und mit jeweils mehreren Populationen. 300 tote Tiere sind jedenfalls ein harten Schlag für einen Großwalbestand. Nach der Ausbeutung in der Zeit des kommerziellen Walfangs sind die heutigen Walbestände ohnehin immer noch dezimiert. Seiwale gelten, wie alle anderen Großwale, nach IUCN-Regeln als bedrohte Art.
Sie pflanzen sich nur langsam fort: Erst mit etwa 10 Jahren werden sie geschlechtsreif, die Tragezeit dauert dann 12 Monate lang. Diese Wale sind erst mit 25 Jahren ausgewachsen und werden bis zu 75 Jahre alt. Das bedeutet, dass die Population im Südpazifik den Verlust so vieler Tiere nur sehr langsam wird ausgleichen können. Der Bestand ist jetzt noch viel gefährdeter als je zuvor.
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